Bielefelder Gericht zeigt schockierende Tatvideos der selbst ernannten „Pädophilenjäger“

Bielefeld. Sie wirken beeindruckt – das erste Mal sitzen sie am Freitag, 4. Juli, vor einem Gericht. Ihre Stimmen sind teilweise noch sehr schüchtern. Ihre Aussagen sind teilweise stockend, vieles gleicht sich. Der Druck innerhalb der Gruppe sei so groß gewesen, sie wüssten heute auch nicht mehr, wie es hätte passieren und vor allem so eskalieren können. Drei jugendliche Mädchen und fünf Halbstarke stehen seit Freitag vor Gericht, weil sie als &bdquo;Pedo Hunter“ (engl.: Pädophilenjäger) die Justiz selbst in die Hand genommen haben sollen. Ihre eigenen Tatvideos zeigen eine andere Seite der acht Protagonisten. Sie zeigen Bilder von blutiger Gewalt, Lust an Erniedrigung und Freude an körperlichen und psychischen Misshandlungen. Die Staatsanwaltschaft wirft den acht Angeklagten (sieben sind zur Tatzeit noch minderjährig, einer ist heranwachsend) aus Bielefeld gemeinschaftlichen schweren Raub (210 Euro aus der Geldbörse) sowie gefährliche Körperverletzung vor. Weil sie einen vermeintlichen Pädophilen in einem Waldstück direkt an der A33 gelockt und dann böse zusammengetreten und zusammengeschlagen haben sollen – zumindest einige von ihnen. Lesen Sie dazu: Selbstjustiz angeblicher &bdquo;Pädophilenjäger“: Bielefelder sollen Opfer schwer misshandelt haben Auslöser der beiden Taten vom 11. und 31. Juli 2024 waren den Zeugenaussagen nach Chats des Hauptangeklagten und seiner besten Freundin (14), die sich bei Snapchat als zwölf- und elfjährige Mädchen ausgegeben hatten, um so pädophile Männer auf sich aufmerksam zu machen. Wie es zu dem Kontakt der beiden späteren Opfer gekommen ist, wurde zum Prozessauftakt nicht erörtert. In zwei Fällen kommt es aber zu Verabredungen: zum Eisessen. Doch so unschuldig, wie das klingt, ist es vermutlich nicht. Der 27-Jährige aus Baden-Baden war zur Übernachtung den weiten Weg nach Bielefeld-Sennestadt angereist. In den Tatvideos ist davon die Rede, dass er auch verbotene Fotos verschickt haben soll. Aus dem Dickicht springen plötzlich vermummte Männer auf den Weg Es wäre der richtige Moment gewesen, die Polizei einzuschalten, sagt einer der Angeklagten später. Doch keiner von ihnen kommt auf die Idee, die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten. Der Vorsitzende Richter Magnus Gröger zeigt daraufhin sieben Tatvideos, eines vom 11. Juli und sechs vom 31. Juli. Die Männer, die auf diesen Tätervideos zu sehen sind, ahnen nicht, was ihnen blüht, bis auf einer vermeintlichen Abkürzung durch den Wald plötzlich Vermummte aus dem Dickicht auftauchen. Betroffene diskutieren: Wie kann die Gesellschaft mit Pädophilie umgehen? Bei der ersten Tat ist nur der Hauptangeklagte mit einer Sturmhaube zu sehen. Seine 14-jährige Begleiterin filmt das Geschehen. Der junge Mann, der inzwischen Soldat bei der Bundeswehr ist, schlägt den Mann zu Boden, wirkt mehrfach auf ihn ein, als dieser wieder aufstehen will. Sie bedrohen den Mann, fordern ihn auf, &bdquo;zu Gott zu beten“ und die Snapchat-App zu löschen. Er wird gezwungen, sich zu entschuldigen. Zwei Passanten kommen dazu, fragen nach, schreiten aber nicht groß ein. Trotzdem lässt der Täter den Mann schließlich gehen. Nicht ohne noch einmal zu drohen: &bdquo;Ich bin in einer Community. Die machen alle das Gleiche wie ich.“ Das heißt, auch das nächste Mal könnte ihm eine Abreibung drohen. 15-Jährige schreibt: &bdquo;Junge, Du hättest ihm noch ins Gesicht treten sollen“ Der junge Bielefelder ist &bdquo;mies stolz“ auf sich, wie er später einer Freundin schreibt. Er zeigt ihr das Video. Die Freundin (15) ist begeistert und schreibt zurück: &bdquo;Junge, Du hättest ihm noch ins Gesicht treten sollen, als er da wie ein Opfer lag. Hahaha.“ Er antwortet: &bdquo;Nicht im Video.“ Sie antwortet: &bdquo;Und hast Du es gemacht?“ Er antwortet: &bdquo;Ich habe noch Schlimmeres getan.“ Auch interessant: Pädophilen-Jäger locken Bielefelder Verdächtige in umstrittene Youtube-Falle Der Vorsitzende Richter hakt hier ein. Unter anderem diesen positiven Zuspruch der Jugendlichen sieht er als Grund dafür, dass die Gewalteskalation am 31. Juli noch größer war. Diesmal sind acht Personen beteiligt. Alle acht Angeklagten legten am Freitag Geständnisse ab. Alle betonten, dass ihr Handeln falsch war und dass sie es bereuten. Alle acht berichteten, dass sie sich nicht erklären könnten, warum sie nicht früher aufgehört hätten. Die sechs Tatvideos lassen darauf schließen, dass die Misshandlungen rund zehn Minuten angedauert haben dürften. An keiner Stelle ist zu bemerken, dass jemand dem blutigen Treiben ein Ende setzen will. Zwei junge Bielefelder übertrumpfen sich mit der Gewalt Im Gegenteil: Fünf junge Männer umringen ihr Opfer, beschimpfen und schubsen es. Mindestens zwei von ihnen übertrumpfen sich gegenseitig mit den Gewalttätigkeiten. Mit Anlauf wird getreten und geschlagen. Die drei Mädchen filmen alles und wirken dabei fast schon euphorisch, eine von ihnen lächelt in die Handykamera. Auch als Schlüssel und Ketten genutzt werden, um die Wirkung der Schläge zu erhöhen, greift niemand ein. Als Amtsrichter Gröger die Videos über einen großen Bildschirm im Gerichtssaal zeigt, wendet der Gewalttätigste unter den Angeklagten seinen Kopf ab. Er hält eine Hand vor seine Augen. Seine Schwester und sein Vater verlassen unter Tränen den Gerichtssaal. Auch eine weitere Angeklagte will die Videos nicht mehr sehen, die sie alle kannten. Die Videos hatten die jungen Leute nach der Tat in ihrer &bdquo;Pedo Hunter“-Chatgruppe geteilt. &bdquo;Ich verstehe das nicht“, sagt der Vorsitzende Richter zu der 15-Jährigen, die sich zwei Wochen zuvor noch einen Tritt ins Gesicht gewünscht hatte. Alle sagten aus, dass sie nicht damit gerechnet hatten, dass die Sache &bdquo;so eskalieren“ würde. &bdquo;Was hast Du denn gedacht, wenn Du Dir einen Tritt ins Gesicht wünscht, was diesmal passieren würde?“ Initiator der Gruppe spricht von Propaganda bei TikTok Der Initiator der selbst ernannten &bdquo;Pedo Hunter“ gibt zu, dass er sich vor der Tat intensiv mit dem Thema beschäftigt hatte. In unzähligen TikTok-Videos habe er zahlreiche Vorbilder für seinen Plan gefunden. Vor Gericht sprach er nun von einer &bdquo;Propaganda“, die ihn beeinflusst habe. Dort werde für solche Menschen die Todesstrafe gefordert. Er selbst hatte bei seinen Freunden zunächst gar nicht so viel Zuspruch erhalten. Denn der junge Mann leistet Überzeugungsarbeit, und so kommt ein Mitstreiter zum nächsten. Nicht alle sind begeistert. Einer der Angeklagten wollte den Initiator sogar von der Tat abhalten. Doch er tat im Video gut sichtbar am Ende nichts. 15-jähriger Bielefelder hat an seine Nichte gedacht Der 15-Jährige, der auf den Videos besonders brutal agierte, erzählt dem Gericht, das zu jener Zeit seine Schwester ein Kind bekommen habe: &bdquo;Ich hatte mich vorher nicht mit dem Thema beschäftigt. Als ich mir aber vorgestellt habe, dass so etwas mit meiner Nichte passieren könnte, da habe ich mich entschlossen mitzumachen.“ Alle acht Angeklagten entschuldigten sich mit persönlichen Worten bei dem 27-jährigen Zeugen. Alle acht boten je nach ihrer Tatbeteiligung eine angemessene Schmerzensgeldzahlung an. Das Opfer nahm die Entschuldigungen und die finanziellen Angebote zur Wiedergutmachung zur Kenntnis. Der Prozess wird fortgesetzt. Zum Thema: Schüler bei Cybergrooming im Fokus: Bielefelder Polizei warnt

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