Ernüchterung bei der Bielefelder Fahrrad-Lobby „Radentscheid“

Bielefeld. Vor fünf Jahren war der Vertrag mit der Initiative Radentscheid ein dickes Wahlkampfgeschenk an die Radler-Lobby. Die damalige Paprika-Koalition aus SPD, Grünen und Kleinstparteien schreckte vor den wuchtigen 26.000 Unterschriften des Bürgerbegehrens zurück, das der Radentscheid initiiert hatte. Das galt zwar als rechtlich ungültig, aber die Ratsmehrheit scheute drohende juristische Auseinandersetzungen – und wollte wichtige Wählerstimmen nicht verlieren. Jetzt ist bald wieder Wahltag, und Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) und Verkehrsdezernent Martin Adamski (Grüne) schlagen eine Neuauflage des Vertrages für weitere fünf Jahre vor. Diese soll in der letzten Sitzung des alten Rates kurz vor den Sommerferien beschlossen werden. Wieder wirkt es, als wolle man die wachsende Zahl der Radler in der Stadt vor dem Urnengang milde stimmen. Doch diesmal will die Initiative Radentscheid nicht mitmachen. Sie argumentiert, der neue Rat und mögliche neue Mehrheiten sollten darüber entscheiden, wie es mit einem Vertrag und dem Radverkehr in der Stadt weitergehen soll. Das ist aus Sicht der Initiative nachvollziehbar und deutlich ehrlicher, als sich kurz vor Toresschluss auf eine Hauruckentscheidung einzulassen. Zu viel versprochen, nur Minimal-Ziele erreicht Denn, ganz ehrlich, viel herausgekommen ist nicht bei dem vor fünf Jahren mit so viel Enthusiasmus geschlossenen Vertrag. Mal zur Erinnerung: Der Vertrag übernahm nahezu komplett die elf Ziele des Radentscheides, also etwa pro Jahr mindestens fünf Kilometer geschützte Radwege an Hauptstraßen zu bauen oder Kreuzungsbereiche radverkehrsfreundlicher zu gestalten. Diese Ziele sollten bis 2025 umgesetzt werden mit der Option einer einjährigen Verlängerung. Die Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens erhielten ein zweimaliges Vetorecht, wenn sie mit den vorgelegten Planungen nicht einverstanden waren. Für die Umsetzung der Ziele gingen die Initiatoren des Bürgerbegehrens von Kosten in Höhe von rund 75,3 Millionen Euro aus, die Stadt von 137,4 Millionen. Nicht nur, dass seitdem die Kosten davon gesprintet sind, von den angestrebten Zielen ist so gut wie nichts umgesetzt worden. Es gibt einiges auf der Habenseite: die Bikelane auf der Artur-Ladbeck-Straße, die Fahrradstraße Ehlentruper Weg, einen radgerechten Jahnplatz oder das Radhaus, das Fahrradparkhaus gegenüber dem Rathaus. Aber der erhoffte konsequente Ausbau der Rad-Infrastruktur blieb aus. Stattdessen wurde manche Planung in den Mühlen von Verwaltung und Politik zermahlen oder scheiterte am Widerstand von Anwohnern wie der geplatzte Umbau des Johannistals. Clausen räumte 2023 ein, dass die Vertragsziele wohl nicht einzuhalten seien. Der neue Vertragsentwurf ist deshalb auch deutlich schwammiger formuliert. Konkrete Kilometerangaben fehlen. Die Zurückhaltung des Radentscheides erklärt sich vielleicht auch daraus, dass einige seiner Ideen, wie die Mittel für den Rad- und den Autoverkehr fifty-fifty aufzuteilen, nicht berücksichtigt wurden. Bundesweite Initiative: Euphorie weicht Ernüchterung Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag der Stadt mit einer Initiative war schon 2020 eher ein juristisches Kuriosum. Bielefeld stand damit allerdings nicht allein. 2016 hatte sich aus einer Berliner Initiative eine bundesweite Radentscheid-Bewegung entwickelt, und viele Kommunen von Aachen bis Würzburg stiegen darauf ein. Entweder wurde Bürgerbegehren entsprochen oder wurden ähnliche Vereinbarungen wie in Bielefeld geschlossen. Doch die Euphorie von damals ist auch in vielen dieser Städte eher Ernüchterung gewichen. In Berlin nahm ein neuer Senat manches zurück, was zuvor beschlossen worden war. Zum Thema: Radentscheid und Stadt Bielefeld wollen neue Vereinbarung – aber nicht zum selben Zeitpunkt Streit um jeden wegfallenden Parkplatz und die Aufmerksamkeit heischende Berichterstattung der Medien machen Clausen und der Radentscheid mit dafür verantwortlich, dass in Bielefeld der Ausbau der Radinfrastruktur noch nicht weit genug gediehen ist. Ohne Frage gehört zur Verkehrswende eine Stärkung des Radverkehrs. Aber vielleicht empfinden es manche auch schlicht als ungerecht, wenn eine Gruppe in diesem Prozess per Vertrag ein Vorzugsrecht erhält. Wie denken Sie darüber? Ich freue mich auf Ihre Meinung an michael.schlaeger@nw.de 📱 News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW-Bielefeld

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