Nach Gewalt und Trauma: Diese Bielefelderin kennt und lindert das Leiden der Opfer

Bielefeld. Ilse Haase (72) kennt das Elend unserer Welt. Mord, Vergewaltigung, Leid, Angst und oft langwierige Traumata, die sich dem oft unweigerlich anschließen – all diese Themen haben die Bielefelderin 18 Jahre lang nahezu täglich beschäftigt. Als Leiterin der Bielefelder Außenstelle der Opferschutzorganisation &bdquo;Weißer Ring“ war sie oft der erste Kontakt zu den Menschen, die direkt nach der erlittenen Straftat Hilfe suchten. Ilse Haase und ihr Team haben ihnen meist ganz unbürokratisch und vor allem schnell weitergeholfen. 20 bis 30 Anrufe pro Monat gehen seit Jahren bei Ilse Haase ein. Oft sind es Menschen, die akut nach einer oft traumatischen Straftat Hilfe benötigen, aber alleine noch gar nicht in der Lage sind, diese Hilfe sich selbst zu organisieren. Ilse Haase versteht sich deshalb von Anbeginn ihrer Arbeit im Jahr 2007 als &bdquo;Lotsin“. &bdquo;Wir vom Weißen Ring liefern schnelle Erste Hilfe. Oft sei das zunächst nur das Zuhören, das Ernstnehmen, das Verständnis zeigen.“ Im zweiten Gang seien es aber auch konkrete Hilfen wie Beratungsscheine für den Anwalt, finanzielle Unterstützung, bis die ersten Anträge wirksam werden, Begleitungen ins Krankenhaus oder bei bürokratischen Hürden. Nach 18 Jahren übergibt Ilse Haase ihre Lotsinnen-Aufgabe an ihre Nachfolgerin. Eine Wahl mit der Ilse Haase sehr zufrieden ist: &bdquo;Gabriele Syrbe ist Ärztin für Psychotherapie und ab sofort die neue Leiterin der Außenstelle Bielefeld“. Gespräche mit Opfer von Amokfahrt Die 72-Jährige erinnert sich an die Anfänge ihres langjährigen ehrenamtlichen Engagements: &bdquo;Ich wusste damals nicht, was auf mich zukommt.“ Sie lernte nahezu alle Opfer schwerer Straftaten kennen. Sie begleitete Bielefelderinnen, die 2018 in Münster die Amokfahrt am berühmten &bdquo;Kiepenkerl“ miterleben mussten und Monate benötigten, um wieder langsam ins Leben zurückzukehren. Sie betreute Angehörige von Mordopfern, Mütter, deren Kinder getötet wurden, und immer wieder Opfer von Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt. Lesen Sie dazu: Amokfahrt in Münster: Wie eine Bielefelderin gegen ihr Trauma ankämpft Nicht jeder sei für diese Arbeit geeignet, sagt Ilse Haase. &bdquo;Man darf nicht mitweinen. Das geht einfach nicht. Wir wollen effektiv helfen.“ Auch habe sie Ehrenamtliche erlebt, die helfen wollten, aber entweder viel zu leise sprachen, nur über sich selbst redeten oder mit den Erlebnissen der Opfer nicht umgehen konnten. &bdquo;Ich hatte glücklicherweise von Anfang an einen guten Umgang mit all den belastenden Ereignissen.“ Ihr Ehemann Christian war auch von Anfang an mit im Lotsenboot: &bdquo;Ich konnte bei ihm alles sofort loswerden. Das war wichtig.“ Bielefelderin muss lernen, mit Traumatisierten umzugehen Aber auch die Jöllenbeckerin musste erst lernen, wie sie mit schwer belasteten Frauen und Männern am besten umgehen kann. Ein wenig Vorerfahrung hatte sie aus ihrem Berufsleben als Verwaltungsangestellte der Polizei: &bdquo;Ich kannte die Protokolle der Mordkommissionen.“ Aber das hatte sie nicht darauf vorbereitet, wie Menschen mit Traumabelastungen oft agieren. Manche seien schroff und abweisend, andere total in sich zurückgezogen, wieder andere kämen kaum zur Ruhe. Auch Helfende müssten sich darüber klar sein, dass Traumatisierte auch Helfenden gegenüber sehr unwirsch agieren könnten. Der Wunsch nach einer Besserung der persönlichen Situation sorge bei manchem für große Ungeduld. Doch bis erste Hilfsgelder fließen, kann das dauern: &bdquo;50 Prozent der Opferentschädigungsanträge werden abgelehnt“, weiß die Expertin. Der &bdquo;Weiße Ring“ helfe dann oft mit Sozialanwälten bei den Widersprüchen – &bdquo;mit sehr viel Erfolg“. Für die Anerkennung einer Therapie benötige der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) meist die Strafakte. Doch bis die vorliegt, müssten ja erst die Ermittlungen fortgeschritten sein. Viele schafften es aufgrund ihrer psychischen Situation auch gar nicht, die Schreiben zu beantworten. Antrag beim LWL: Infos zur Opferentschädigung Hilfe durch Traumaambulanz Auch in solchen Fällen kann der &bdquo;Weiße Ring“ unter die Arme greifen – entweder beim Briefwechsel, mit der Vermittlung in die Traumaambulanz oder einfach mit Geld (für nötige Doppelmieten, Beerdigungs- oder dringende Fahrtkosten). Einen Etat dafür habe sie nicht zur Verfügung, sie könne immer nur von Einzelfall zu Einzelfall entscheiden. Zum Thema: Bielefelder Mutter wünscht sich für ihre getöteten Kinder einen Grabstein Insbesondere bei betroffenen Kindern achte der Verein sehr darauf, dass diese therapeutisch begleitet oder einfach in der Notlage gut betreut (Nachhilfe, Mal- oder Kunstkurse oder Selbstbehauptungskurse) werden. &bdquo;Superwichtig“ sei für ihre Arbeit ein gutes Netzwerk. Der Opferschutzverein &bdquo;Weißer Ring“ stößt meist die wichtigsten Hilfen an, in dem er die Betroffenen an die passenden Hilfsorganisationen oder Opferanwälte vermittelt. Bielefelderin ist oft die Erste, die von der Tat erfährt Grundlegend für erfolgreiche Hilfe sei aber immer das Gespräch: &bdquo;Manchmal bin ich die Erste gewesen, mit der das Opfer über die Tat ausführlich gesprochen hat. Manchmal war es bei einem gemeinsamen Spaziergang, manchmal erst nach einem langen Gespräch unter vier Augen.“ Deshalb sei Zuhörenkönnen für ihre Arbeit so wichtig. Schnelle Hilfe in der Not: Weißer Ring sucht Wohnung für das Opfer der Hammerattacke Ilse Haases Hilfe beschränkte sich aber nicht immer nur auf Zuhören und Netzwerken. Mit ihrem Ehemann zusammen brachte sie Frauen, die von ihren Partnern bedroht wurden, in entfernte Frauenhäuser. Eine Mutter mit Kind durfte bei den Haases auch übernachten, um nach einem Tötungsversuch in der Familie zur Ruhe kommen zu können. Eine von Zwangsprostitution Betroffene schöpfte bei der Familie Kraft, um dann am nächsten Tag mit warmen Sachen und Proviant endlich heimreisen zu können. Stalking, Sexualdelikte und Häusliche Gewalt im Vordergrund &bdquo;Wir haben viel mit Stalking-Fällen, Sexualdelikten und immer wieder mit Häuslicher Gewalt zu tun“, sagt die erfahrene Opferschützerin rückblickend. Diese Fälle machen einen Großteil ihrer Arbeit aus. Das rein ehrenamtliche Team bestehe idealerweise aus etwa zwölf Personen. Zum Glück gebe es in Bielefeld immer wieder neue Interessierte, die sich bei dem Opferschutzverein engagieren wollen. Auch wissenswert: Horror im eigenen Haus: Nachbar macht Bielefelderin das Leben zur Hölle Bielefeld habe zudem auch ein hervorragendes Hilfsnetzwerk unterschiedlicher Vereine und Organisationen: &bdquo;Viele Außenstellenleiter beneiden mich um die guten Bielefelder Verhältnisse“, sagt die 72-Jährige. Auch dass sich Entführungsopfer Richard Oetker für den Weißen Ring stark engagiert, habe sicherlich oft geholfen: &bdquo;Mit seiner menschlichen bodenständigen Art kann er jeden erreichen, besonders wenn er seine eigene Geschichte erzählt.“ Ilse Haase möchte all den Menschen einen großen Dank aussprechen, &bdquo;mit denen ich jahrelang sehr vertrauensvoll zusammengearbeitet habe“. Viele von ihnen habe sie persönlich angeschrieben, um nochmals Danke zu sagen. Längst nicht alle seien möglich gewesen. Rückblickend sagt Ilse Haase: &bdquo;Ich habe für unsere Hilfe oft Freude und Dank zurückbekommen. Eine Jugendliche, die von Missbrauch betroffen war, habe vor Glück losgeweint, als Haase ihr ein Wochenende mit ihrer Mutter finanziert hatte. &bdquo;Sie konnten sich das nicht leisten, brauchten aber dringend Ruhe. Das hat mich sehr gerührt.“ Mit Blick auf die vergangenen 18 Jahre sagt die Mutter dreier erwachsener Töchter und Großmutter von sechs Enkelkindern: &bdquo;Ich hätte die Zeit nicht besser nutzen können.“ Rückblickend sagt sie: &bdquo; Die Menschen sind zerbrechlich. Nach einer erlittenen Straftat fühlen alle Menschen gleich. Das Gute ist: Wir können ihnen helfen.“ Kontakt: Weißer Ring Bielefeld, Gabriele Syrbe, Tel. 0160 4112754.

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