Bielefelderin wehrt sich viele Jahre nach dem Kindesmissbrauch – mit Erfolg

Bielefeld. Sie war 7 Jahre alt, als ein junger Mann, der damals im Haus ihrer Familie lebte, das Mädchen sexuell missbrauchte. Es kam immer wieder zu Übergriffen – zwei Jahre lang. Viele Jahre war dem Mädchen nicht bewusst, ein Missbrauchsopfer geworden zu sein. &bdquo;Ich dachte immer, ich hätte es gewollt. Ich habe mich geschämt.“ Der Täter hatte sein Opfer geschickt manipuliert, ihr die Schuld und die Verantwortung für das Erlebte gegeben. Es dauerte lange, bis die junge Frau offen von schwerem sexuellem Missbrauch sprach. Es verging nochmals viel Zeit, bis sie stark genug war, sich zu wehren und Anzeige zu erstatten. Sie erlebte plötzlich Drohungen aus dem Umfeld seiner Familie. Trotzdem blieb die Bielefelderin konsequent in ihrem Ziel, endlich Gerechtigkeit zu erwirken. Ende 2024 – fast 30 Jahre nach dem ersten Missbrauch – wurde der Täter nun doch noch vor dem Landgericht Bielefeld verurteilt. &bdquo;Ich wusste nicht, dass ich die Tat überhaupt noch anzeigen kann“, sagt die 36-Jährige heute. &bdquo;Ich dachte, der Fall wäre längst verjährt.“ Das wäre früher auch so gewesen, aber der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren die Verjährungsfristen mehrfach verlängert. So ist es aktuell so, dass die Zeit überhaupt erst anfängt zu zählen, wenn das Opfer das 30. Lebensjahr erreicht hat. Ab diesem Zeitpunkt haben die Betroffenen zehn Jahre Zeit, bis &bdquo;einfacher Kindesmissbrauch“ verjährt, bei schwerem Kindesmissbrauch sogar 20 Jahre. Verjährungsfristen bei Kindesmissbrauch unterschiedlich lang Das Problem: Bei länger zurückliegenden Taten gelten je nach Tatzeitpunkt noch ältere Gesetzesregelungen und damit kürzere Verjährungsfristen. Bei Taten vor 1997 verjährt Kindesmissbrauch etwa schon mit dem 28. Lebensjahr. Magdalene Sadura vom Frauennotruf Bielefeld begleitet seit vielen Jahren Opfer sexualisierter Gewalt im Rahmen der psychosozialen Prozessbegleitung. Sie unterstützt also Frauen theoretisch von der Anzeige bis zum Urteil und sogar darüber hinaus. Sie begrüßt die gesetzlichen Veränderungen: &bdquo;Der Gesetzgeber hat erkannt, dass die Täter meist im häuslichen Umfeld leben. Oft ist es den Opfern erst möglich, sich juristisch zu wehren, wenn sie dieses Umfeld verlassen haben. Dazu gehört das Lösen aus der Herkunftsfamilie, ein eigenes Leben aufzubauen und dann auch genug Ruhe und Stabilität zu finden.“ Das brauche Zeit. Bielefelderin will andere Frauen ermutigen, sich noch zu wehren Die Bielefelderin will andere Opfer, die über Jahre geschwiegen haben, ermutigen, sich auch nach langer Zeit noch zu wehren: &bdquo;Ich habe das erste Mal 2017 über die Tat gesprochen – mit meinem heutigen Ehemann.“ Er ermutigte seine Frau, auch die Familie darüber zu informieren. Die Reaktionen waren nicht bei allen wie erhofft. Ein Mitglied der Familie meinte, sie sollte besser weiter schweigen. Sie benötigte anschließend die Hilfe einer Therapie und weitere drei Jahre, bis sie endlich gefestigt genug war, den Täter, der zum Tatzeitpunkt 18 Jahre alt war, anzuzeigen. Sadura: &bdquo;Eine Anzeige zu erstatten, kann sehr befreiend sein. Das gilt nicht für alle, aber es tue vielen Betroffenen sexualisierter Gewalt gut, sich aus der Opferrolle zu lösen.“ Die 36-Jährige bestätigt das: &bdquo;Ich war unfassbar glücklich, als die Staatsanwaltschaft nach den Ermittlungen Anklage gegen ihn erhoben hat.“ Im Herbst 2024 sollte der Fall vor dem Landgericht verhandelt werden, doch der Angeklagte hatte sich nach Angaben der Bielefelderin in die Türkei begeben. Politische Debatte: Bielefelder Frauennotruf alarmiert: Expertinnen fassungslos, Protest geplant In dieser Phase sollen Mitglieder der Täterfamilie Angehörige des Opfers in ganz Europa und der Türkei bedrängt haben. Sie wollten nach Aussage der Bielefelderin zunächst erreichen, dass sie ihre Anzeige zurückzieht. Ein unsinniges Ansinnen, denn Kindesmissbrauch ist ein Offizialdelikt. Die Staatsanwaltschaft kann nach Bekanntwerden der Tatvorwürfe die Ermittlungen nicht auf Wunsch des Opfers wieder einstellen. Europaweite Drohungen der Täterfamilie Als das nicht fruchtete, sollen von verschiedenen Seiten ernsthafte Drohungen geäußert worden sein. Sollte der Angeklagte in Haft landen, so habe es geheißen, dann wäre mit Gewalttätigkeiten zu rechnen. Sie selbst sei direkt nie bedroht worden, aber die Drohungen seien über Angehörige an sie herangetragen worden. &bdquo;Das war echter Terror“, sagt die 36-Jährige. Die Bielefelderin war damals froh, dass sie nicht nur eine Anwältin an ihrer Seite hatte, sondern auch Magdalene Sadura: &bdquo;Unser Ziel ist es, dass die Frauen sich nicht erneut ohnmächtig fühlen.“ Sexualisierte Gewalt bedeute für die Opfer ein enormes Ohnmachtsgefühl. &bdquo;Deshalb ist es wichtig, die verschiedenen Vorgänge in einem solchen Prozess zu erklären und Ängste und Unsicherheit abzubauen.“ Und die Bielefelderin bestätigt: &bdquo;Ich konnte ohne Hemmungen Fragen stellen und meine Sorgen erläutern.“ Überraschendes Geständnis im Bielefelder Landgericht Schließlich tauchte der Angeklagte im November doch noch vor Gericht auf und legte ein Geständnis ab. &bdquo;Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet“, sagt die Bielefelderin. Ihre Aussage vor Gericht wurde ihr damit erspart. Sein Geständnis wurde ihm im Urteil dafür zugutegehalten. Der Angeklagte, der damals Heranwachsender war, wurde nach Jugendrecht zu einem Jahr und zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Außerdem musste er an das Opfer ein Schmerzensgeld zahlen. Auch interessant: &bdquo;Heute muss ich dich umbringen“: So überlebte eine Frau aus OWL die Gewalt ihres Partners Die 36-Jährige war &bdquo;überglücklich“. Polizei und Staatsanwaltschaft und letztlich auch das Gericht hätten ihren Aussagen Glauben geschenkt. Das war ihr wichtig, da es keine weiteren Zeugen der Taten gab: &bdquo;Vorher habe ich gedacht, dass ich alleine nichts beweisen kann. Aber das stimmte nicht.“ Das Urteil habe sich daher sehr gut angefühlt. &bdquo;Ich hätte nie gedacht, dass sich mit diesem Fall auch gute Gefühle verbinden lassen“, sagt sie heute. Bielefelderin ist &bdquo;glücklich und stolz“ &bdquo;Dass meine Familie mit mir gefühlt, geweint, und den Täter verflucht hat, auch das hat mir immer den Rücken gestärkt.“ Und so sagt sie heute, dass sie &bdquo;glücklich und stolz“ sei, diesen Weg gegangen zu sein. Auch wenn bis heute Angehörige der Gegenseite versuchen, Zweifel an den Taten zu betonen. Doch der Täter hat gestanden. Das ist hier entscheidend. Weitere Infos zum Thema finden sich beim Frauennotruf Bielefeld. Kontakt per Mail unter kontakt@frauennotruf-bielefeld.de oder telefonisch unter Tel. 0521 124248. Das bundesweite Hilfetelefon &bdquo;Gewalt gegen Frauen“ ist rund um die Uhr erreichbar unter Tel. 116016.

Meistgelesen