Waren die Schüsse in Bielefeld Blutrache oder brutale Kriminalität?

Bielefeld. Die Woche hatte es in sich. Zunächst am vergangenen Sonntag die Bundestagswahl, die die politische Gemengelage auch in Bielefeld verändert hat. Die großen demokratischen Parteien verloren allesamt an Zustimmung. Die vom Verfassungsschutz in Teilen als gesichert rechtsextremistisch eingestufte AfD hat sich bei den Zweitstimmen mehr als verdoppelt und mit Maximilian Kneller erstmals einen AfD-Bewerber aus Bielefeld in den Bundestag entsendet. Am Dienstag setzte die glorreiche Arminia einen erfreulichen Höhepunkt und versetzte dem Bundesligisten Werder Bremen im DFB-Pokal den sportlichen Knockout. Mit dieser Glanzleistung landete der Drittligist bundesweit ganz vorn in den Sportteilen der Gazetten. Die Freude darüber war in der Stadt noch Tagesgespräch, da geriet Bielefeld am Mittwoch ganz vorn in die überregionalen Schlagzeilen. Am helllichten Tage wurde in der Nähe des Landgerichtes nach einem Prozesstag gegen den mutmaßlichen Mörder von Besar Nimani auf vier Menschen geschossen. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Schüsse ausnahmslos der Familie des Mordverdächtigen Hüseyin A. und deren Begleitern galten. Schwer verletzt wurden der Vater (63) des Angeklagten (Lungendurchschuss), ein 23-jähriger Freund der Familie (Schuss in den Oberkörper), der Bruder des Angeklagten (Schuss ins Knie) und ein zweiter 25-Jähriger (Durchschuss der linken Schulter). Bei den ersten beiden Schwerverletzten herrschte zunächst sogar akute Lebensgefahr. Gezielte Jagd auf Menschen mit einer Pistole Schon die Ermordung Nimanis im vergangenen Jahr mitten in der belebten Altstadt hatte bei vielen Bielefeldern für Fassungslosigkeit gesorgt. Die gezielte Jagd auf Menschen mit einer Pistole ist nun noch einmal eine Steigerung der Brutalität. Da der Täter oder die Täter flüchtig waren und die Polizei ihm/ihnen mit großem Aufgebot nachstellte, war die Angst groß in der Stadt. Schnell machte der geflügelte Vergleich mit dem Wilden Westen die Runde, Bielefeld praktisch als Ort grenzenloser Gesetzlosigkeit. Und die Schüsse waren noch nicht ganz verraucht, da meldete sich der neue AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Kneller entsetzt und in Gedanken bei den Verletzten öffentlich zu Wort. Der dramatische Zwischenfall sei ein weiterer Beleg für den anhaltenden Niedergang der Sicherheit in unserem Land. Zufällig selbst zum Opfer von Gewalt zu werden, sei inzwischen ein Alltagsrisiko. Da sich die Tat scheinbar wieder im migrantischen Milieu abgespielt habe, müsse es jetzt einen Politikwechsel in der Migrationspolitik geben. Geschwister Nimani allesamt in Bielefeld aufgewachsen Abgesehen davon, dass es niederträchtig ist, mit solch einem Unglück auf Stimmenfang zu gehen, ist es schlichtweg falsch, dass Migration die Sicherheit in Deutschland gefährdet, weil Ausländer öfter kriminell seien. Befunde der internationalen Forschung belegen, dass Migration und Flucht keinen systematischen Einfluss auf die Kriminalität im Aufnahmeland haben. Dazu sind die Geschwister Nimani allesamt in Bielefeld aufgewachsen und groß geworden, die Eltern sind Kosovo-Albaner. Aus deren Herkunft wird dem unter dringendem Tatverdacht stehenden Berat Nimani nun schnell das Motiv der Blutrache für seinen Bruder Besar angeheftet, einem Jahrhunderte alten Grundprinzip des albanischen nicht-staatlichen Gewohnheitsrechts &bdquo;Kanun“. Diese archaische Tradition sei festgeschrieben im Gesetz der Berge: Mord gebiert Mord. Und für die Tat eines Einzelnen muss eine ganze Familie büßen. Muss der Täter sterben oder ein anderer Mann seines Clans, ein Bruder, ein Sohn? .responsive23-8SYdocIKoL5eCzET-map-karte-schuesse-landgericht { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-8SYdocIKoL5eCzET-map-karte-schuesse-landgericht { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-8SYdocIKoL5eCzET-map-karte-schuesse-landgericht { padding-top: 142.86%; } } Vorwand, um Selbstjustiz zu rechtfertigen Nun, dem kommunistischen Regime ist es gelungen, die Blutrache in Albanien fast völlig auszumerzen Nach der Wende der Neunzigerjahre drang der &bdquo;Kanun“ wieder an die Oberfläche, jedoch spielen seine ursprünglichen Regeln oft keine Rolle mehr. Daher sollte man bei den Geschehnissen am Mittwoch nicht von Blutrache sprechen, sondern von brutaler Kriminalität mitten in Bielefeld. Das oftmals heroisierte Motiv der Blutrache ist häufig nur ein Vorwand, um Selbstjustiz zu rechtfertigen. Justiz üben in Deutschland allein Gerichte aus. Mit ihren Urteilen werden sie deutlich machen, dass ein heimtückischer Mord oder vierfach versuchter Mord als abscheuliche Verbrechen hart bestraft werden. Lesen Sie auch: Berat Nimani: Wer ist der mutmaßliche Täter der Schießerei in Bielefeld? Wie denken Sie darüber? Ich freue mich auf Ihre Anregungen unter stefan.gerold@nw.de

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