Bielefeld – der Ort, wo für diese beiden Menschen Flucht in Hoffnung mündet

Bielefeld. An ihre Fluchtgründe erinnert sich Zahra Rezaei nur noch ungern. Die 25-Jährige ist Kind einer afghanischen Familie, im Iran geboren. Dort gelte ihre Community als &bdquo;Menschen zweiter Klasse“, sei ständigen Repressalien ausgesetzt. &bdquo;Ich hatte nie ein Gefühl von Zugehörigkeit. Mein Bruder wurde verprügelt, ich wurde in der Schule gemobbt, auch von Lehrern“, berichtet die junge Frau im Gespräch mit &bdquo;nw.de“. &bdquo;Wir wurden verfolgt, einfach, weil wir existierten. Ich habe früh gespürt, dass ich im Iran keine Zukunft habe“, sagt sie und muss schlucken. Auch die Berufsaussichten seien dort für bestimmte Volksgruppen stark eingeschränkt. In Gesundheitsberufen etwa dürften afghanischstämmige Menschen nicht arbeiten. 2015 beschloss Zahra daher als 16-Jährige, sich auf den Weg zu machen – auf einer besonders für Frauen gefährlichen Fluchtroute. &bdquo;Wenn du gehst, nimm wenigstens deinen Bruder mit“, hatten die besorgten Eltern zur Bedingung gemacht. Zahra und ihr Zwillingsbruder Mahde gelangten mithilfe eines Schleppers von Teheran über die Türkei nach Griechenland, von dort über weitere Länder in rund 20 Tagen nach Deutschland. Die Eltern und zwei der sechs Geschwister blieben im Iran. &bdquo;Ich möchte ganz schnell die deutsche Sprache lernen“ In Bielefeld wurde sie von ihrem Bruder getrennt, für sie ging es in ein Mädchen-Wohnheim. Doch sie war ehrgeizig, schon nach einer Woche habe sie gesagt, &bdquo;ich möchte ganz schnell die deutsche Sprache lernen“, was mit einem Sprachkurs auch geklappt habe. Nach dem Besuch einer internationalen Klasse erlangte sie den Hauptschulabschluss mit Klasse 10. Sie schloss eine Ausbildung zur bautechnischen Assistentin am Carl-Severing-Berufskolleg an, dort erlangte sie auch das Fachabi. Dann nahm sie allerdings einen Fachwechsel vor: Sie machte eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten, arbeitet heute in einem großen Steuerberatungsbüro. Zahra lebt inzwischen mit ihrem Bruder zusammen in einer Wohnung. Den Traum, Architektin zu werden – wie es sich ihr Vater für sie wünscht, der im Iran als Bauleiter arbeitet –, hat sie nicht ganz aufgegeben. Doch aktuell fordert ihr Hobby, die Schauspielerei, ihre volle Konzentration. Lesen Sie auch: Geflüchtete in Bielefeld: Assad hat Syrien in einen Albtraum verwandelt Schon damals als Neuankömmling in Bielefeld half ihr der Kontakt zum Internationalen Ensemble des Alarmtheaters beim Ankommen. Sie merkte, dass sie Talent hat, sich auf der Bühne auszudrücken. Im März und April gibt sie die Widerstandskämpferin Sophie Scholl im Schauspiel &bdquo;Sophie & Ich“, auf das sie sich gerade intensiv vorbereitet. &bdquo;Das ist ein enorm textlastiges Stück“, betont Theaterleiterin Dietlind Budde, die mit ihrem Partner Harald Otto Schmid Regie führt. Alarmtheater ist Anlaufpunkt für junge Geflüchtete Das Alarmtheater – immer wieder ist es in jenen Jahren des Merkel-Diktums (&bdquo;Wir schaffen das!“) Anlaufpunkt für junge Geflüchtete. Es spricht sich unter den Menschen im Clearinghaus oder in den internationalen Klassen in Bielefeld herum, dass dort Menschen mit Geflüchteten Produktionen erarbeiten, dass sie mit deutschen Mitspielern Gemeinsames schaffen, das mehr ist als ein Hobby. &bdquo;Das Team hier ist für uns so etwas wie eine zweite Familie“, sagt Fouad Mehmud (27), der ebenfalls 2015, allerdings mit 18 Jahren aus dem Bürgerkriegsland Syrien floh. Lesen Sie auch: Mehr junge Geflüchtete: Wo sie in Bielefeld untergebracht werden Als Kurde in Nordsyrien war auch er Diskriminierung und ständiger Bedrohung ausgesetzt – außerdem an Leib und Leben gefährdet im Spannungsfeld zwischen den Gräueltaten des Islamischen Staats (IS) und den Drohnenangriffen der Türkei auf die verhassten Kurden. Die familiäre Atmosphäre, der empathische Umgang &bdquo;auf Augenhöhe“ im Alarmtheater sei Balsam für die Seele gewesen. Außerdem habe ihm die relativ moderne Erziehung in seinem Elternhaus geholfen: &bdquo;Bei uns gab meine Mutter die Regeln vor. Nie gab es Schläge, immer hat sie alles erklärt und mit Reden bereinigt“, erzählt Fouad. Das präge ungemein. Auch er hat seinen Weg gemacht, die Schule absolviert, eine Ausbildung zum Friseur. Er träumt vom eigenen Salon – eines Tages. Fremdenfeindlichkeit mit Freundlichkeit beantworten Empfinden sie – Zahra und Fouad – die gesellschaftliche Stimmung als rauer, erleben sie mehr Fremdenhass seit den mörderischen Anschlägen durch Männer mit Fluchthintergrund? Fouad überlegt kurz, sagt dann: &bdquo;Eigentlich nicht.“ Allerdings sei es schon immer so gewesen, dass er sich bemühe, unterschwellige Fremdenfeindlichkeit mit Freundlichkeit zu beantworten. Das öffne so manche Tür. Auch Zahra meint, keine Zunahme an Rassismus ihr gegenüber wahrgenommen zu haben. Sie beobachtet aber, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund bei jeder Tat hofften, dass es &bdquo;um Himmels willen“ niemand aus ihrer Volksgruppe gewesen sei. Zum Thema Rassismus denkt sie: &bdquo;Wenn AfD-Wähler und andere ausländische Menschen gar nicht hier haben wollen, sollten sie vielleicht erst mal alle Deutschen aus dem Ausland zurückholen.“ Louisa Devantié (24) kennt Zahra und Fouad seit Jahren aus dem Internationalen Ensemble, dem auch sie angehörte. Inzwischen studiert sie Kulturarbeit in Potsdam. Das könnte Sie auch interessieren: Nach Sturz des Diktators Assad: Deshalb möchte eine syrische Familie in Bielefeld bleiben &bdquo;Viele unserer Mitspieler hatten eine Fluchtgeschichte, aber das stand überhaupt nicht im Vordergrund. Wir haben immer auf unsere Gemeinsamkeiten gesetzt, nicht aufs Trennende“, erinnert sie sich an die Zeit. Eine schöne, intensive, familiäre Atmosphäre sei das gewesen. Immer sei es darum gegangen, &bdquo;wie verorte ich mich in der Welt“. Es ging im Theater oft um Entwurzelung und darum, &bdquo;wie lerne ich, mich auszudrücken, mit den Mitteln der Kunst“. Theaterleiter Harald Otto Schmid ergänzt: &bdquo;Wir haben erfahren, dass nicht nur sie viel von uns lernen, sondern wir auch von ihnen.“ Was also braucht es, damit Integration gelingt? &bdquo;Man muss einander auf Augenhöhe begegnen“, sagt Louisa, müsse offen füreinander sein: &bdquo;Integration geschieht nicht mit Vorsatz, sondern weil ich die Person mag, kennenlernen möchte und weil ich will, dass sie ein gutes Leben hat.“

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