„Dachten, wir sterben“: Bielefelder Zeuge berichtet von „Kugelhagel“ im Fall Nimani

Bielefeld. Mit Spannung wurde am Dienstag, 18. Februar, die Fortsetzung des Mordprozesses im Fall Besar Nimani erwartet. Vor dem Bielefelder Landgericht waren nach der Verlesung der Anklageschrift zum Prozessauftakt nun erstmals Augenzeugen der tödlichen Schüsse auf den ehemaligen Profi-Boxer Nimani (38) zu hören. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten Hüseyin A. und seinem noch nicht gefassten Komplizen Ayman Kirit gemeinschaftlich begangenen heimtückischen Mord vor. Der Vorsitzende Richter Sven-Helge Kleine befragte zunächst einen 33-jährigen Lehrer, der zum Tatzeitpunkt (9. März, gegen 18 Uhr) mit seiner schwangeren Freundin in der Altstadt unterwegs war und unmittelbar vor den Tätern stand, als diese das Feuer auf den Boxer eröffneten. Der 33-jährige Markus N. (Name geändert) berichtete, dass seine Freundin und er gerade die Fahrräder von einem der Fahrradständer gegenüber des Ladens &bdquo;Feine Räder“ aufschlossen, als zwei Knallgeräusche sie erschreckten. &bdquo;Ich dachte erst, es handelte sich um Böller.“ Als er aber seinen Blick hob, sah er plötzlich einen Mann mit ausgestreckter Pistole. &bdquo;Ich dachte, das wäre ein Terrorakt. Ich dachte in diesem Moment, dass wir sterben werden.“ Lesen Sie dazu: Prozessauftakt im Bielefelder Mordfall Nimani: Angehörige in Angst Bielefelder berichtet: &bdquo;Es fielen viele Schüsse. Das war ein Kugelhagel“ In Panik habe sich N. in Sicherheit gebracht und hinter einem Fahrzeug versteckt. Wie sich in der Gerichtsverhandlung herausstellte, suchte der 33-Jährige hinter dem Wagen Schutz, den Mordopfer Besar Nimani kurz zuvor quer zur Obernstraße abgestellt hatte. Der Ex-Profiboxer wollte dort nur kurz halten, um einen Freund vom Friseurgeschäft abzuholen. Doch so weit kam der 38-Jährige nicht. Markus N. traute sich aber dennoch zurück. Denn seine Freundin hatte auf die beängstigende Situation nicht mit Flucht, sondern mit Erstarren reagiert. Sie stand noch immer bewegungslos wenige Meter neben den Tätern. Also kehrte der 33-Jährige aus dem Schutz des BMW X5 kommend wieder zurück in die offene Obernstraße, eilte zu seiner Freundin und flüsterte: &bdquo;Lauf, lauf, lauf! Komm mit.“ Er habe das möglichst leise gesagt, weil er die Aufmerksamkeit der Täter nicht auf sich lenken wollte. Der Bielefelder blickt Hüseyin A. immer wieder ins Gesicht Gemeinsam sei das Paar dann über die Klasingstraße in Richtung Klosterplatz geflüchtet. Erst zu diesem Zeitpunkt seien nach den ersten beiden Schüssen viele weitere Schüsse gefallen. &bdquo;Es wurde wild geschossen. Das war ein Kugelhagel“, schilderte der Lehrer die Geschehnisse. &bdquo;Wir dachten, dass die jetzt auf uns schießen.“ Im Gerichtssaal blickte der Bielefelder dem Angeklagten Hüseyin A. immer wieder ins Gesicht. Der Vorsitzende Richter bemerkte das und fragte: &bdquo;Würden sie die Männer wiedererkennen?“ Der Zeuge blickte wieder zu dem Angeklagten und erwiderte: &bdquo;Ja, das ist der Mann – der mit der Waffe.“ 📱 News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW-Bielefeld Der Zeuge berichtete auch über die belastende Situation, das erlebte Trauma und die glückliche Fügung, dass er im persönlichen Umfeld Personen habe, die Psychologen seien und wüssten, wie man mit so einem erlebten Trauma umgehen müsse. &bdquo;Wir haben uns professionelle Hilfe geholt und mit verschiedenen Methoden das Erlebte verarbeitet.“ Er sagte aus, dass sie den Vorfall dadurch ganz gut verarbeitet hätten. Die private Adresse in der Akte: Zeuge ist verängstigt Ein weiterer Zeuge (40) aus dem Rheinland, der damals in Bielefeld zu Besuch gewesen sei, zeigte sich auch im Gerichtssaal noch verängstigt. Er solle hier in einem Mordprozess aussagen und stelle fest, dass seine Adresse für alle Prozessbeteiligten erkennbar in der Gerichtsakte auftauche. &bdquo;Da bin ich schon ziemlich enttäuscht von der Justiz.“ Kurz vor dem Termin hatte er dem Gericht noch mitgeteilt, deshalb nicht für eine Aussage zur Verfügung zu stehen. Doch diese Option hat man als Zeuge vor Gericht nicht. Der 40-Jährige erschien, seine Enttäuschung über den Umgang mit ihm als Zeugen wurde aber mehrfach deutlich. Bei der Befragung des Richters entstand der Eindruck, dass Richter und Zeuge nicht gemeinsam an der Aufklärung der Tat arbeiten konnten. Es wirkte eher wie ein Gegeneinander. Der Zeuge sträubte sich bei vielen Fragen, wirkte gestresst und unwirsch. Auf mehrfache Nachfragen war dann doch zu erfahren, dass der 40-Jährige damals mit seiner Partnerin und dem dreijährigen Sohn in der Obernstraße unterwegs gewesen sei, als er mehrere Schüsse wahrnahm. Er erinnerte sich, dass es dem Geräusch nach Schüsse von Schusswaffen waren und eben keine Böller. Auch nahm er aufgrund der unterschiedlichen Schussgeräusche und durch Überlappungen der einzelnen Schüsse zwei Waffen wahr. Während der Schüsse rief ein Mann &bdquo;Du Hurensohn!“ Seine Erinnerung an die Täter hatte der Zeuge indes komplett ausgeblendet. Während im Vernehmungsprotokoll der Polizei noch zu lesen war, dass der 40-Jährige die per Fahndungsfoto gesuchten Tatverdächtigen wiedererkannt habe, stellte er nun im Gerichtssaal fest: &bdquo;Ich könnte die Männer heute nicht mehr wiedererkennen. Ich habe mir Frau und Kind geschnappt und bin geflüchtet.“ Viele Menschen in der Altstadt hätten das in diesem Moment getan. Nicht ganz klar wurde bei der Befragung, ob er die Täter am Tatort gesehen habe oder erst wenig später auf ihrer Flucht in Richtung Alter Markt. An ein Detail könne er sich aber bis heute erinnern. Ein Mann habe während der Schüsse &bdquo;Du Hurensohn!“ gerufen. Zeuge Markus N. hingegen zeigte sich erstaunt über die Stille zwischen den Schüssen. Er habe keine Äußerungen wahrgenommen. Interessant: In den Polizeivernehmungen waren sich mehrere Zeugen darüber einig, dass sie zwei Schützen wahrgenommen hätten. Daran konnten sich die Zeugen am Dienstag vor Gericht aber nicht mehr mit Sicherheit erinnern. Eine Zeugin berichtete sogar, dass nur einer der beiden Tatverdächtigen geschossen habe. Der andere habe wiederum hinter ihm gestanden, ohne etwas zu tun, und habe den Schützen schließlich sogar vom Tatort weggezogen. Wichtig: Den mutmaßlichen Todesschützen, den sie damals aus einem nahe gelegenen Steakhouse beobachtet habe, den erkannte die Zeugen in einem der beiden Fahndungsfotos eindeutig wieder. Es war das Foto des Angeklagten. Staranwalt verteidigt den mutmaßlichen Mörder Der Angeklagte Hüseyin A., bis zur Tat Student und Bezieher von Bafög-Darlehen, wurde am Dienstag erstmals von seinem Staranwalt Gerhard Strate vor dem Landgericht Bielefeld begleitet. Strate gilt als schillernde Persönlichkeit unter Deutschlands bekanntesten Strafverteidigern und dürfte nicht die günstigsten Stundensätze verlangen. Strate gilt als Experte für sogenannte Wiederaufnahmeverfahren. So ist es ihm gelungen, dass bereits rechtskräftig abgeschlossene Verfahren zur Unterbringung von Gustl Mollath neu aufzurollen und nachzuweisen, dass sein Mandant zu Unrecht siebeneinhalb Jahre lang in der Psychiatrie untergebracht war. Lesen Sie dazu bei Wikipedia: Der Fall Gustl Mollath Seine Mandanten sind nicht selten Prominente: Carsten Maschmeyer, Ferdinand Piëch, aber auch der Terrorist Mounir al-Motassadeq. In Bielefeld hatte er zuletzt für Aufsehen gesorgt, weil er den rechtskräftig abgeschlossenen Senne-Mord neu aufrollen lassen wollte. Strate ist davon überzeugt, dass der verurteilte Mörder Georgios S. unschuldig im Gefängnis sitzt. Nach Überzeugung der Gerichte hatte S. im September 2016 seine damals von ihm getrennt lebende Ehefrau und Mutter der gemeinsamen Kinder mit einer Schrotflinte in Senne erschossen. Strates Wiederaufnahmebemühungen in diesem Fall wurden allerdings bisher in allen Instanzen abgelehnt. Zum Thema: Senne-Mord: Unternehmer tötete mit Schrotflinte die Mutter seiner Söhne

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