Einsamkeit im Alter – ein wachsendes Problem auch in Bielefeld

Bielefeld. Das Problem wächst mit dem Alter, könnte man sagen – und irgendwann ist es unumkehrbar. Altwerden, gesundheitliche Einschränkungen, Verluste durch Krankheit und Tod, soziale Abschottung: Diese Lebenslagen betreffen die immer größer werdende Gruppe älterer und hochbetagter Menschen immer öfter, auch in Bielefeld. Und sie gehen immer häufiger mit Einsamkeit einher, die sich die Menschen aber häufig nicht eingestehen wollen. Weswegen sie sich keine Hilfe suchen. Der (gewählte) Seniorenrat der Stadt ist sich des Problems bewusst und versucht gegenzusteuern, Unterstützung anzubieten. Sein Vorsitzender Wolfgang Aubke berichtet im Gespräch mit der Neuen Westfälischen, dass man sich in dem Gremium seit vier Jahren in einer eigens gegründeten Arbeitsgemeinschaft um das Thema kümmert, unterstützt durch Mitarbeiter des Sozialdezernats. &bdquo;Während der Pandemie wurde die Lage besonders dringlich“, berichtet Aubke, was man erwarten konnte. Zusätzlich zu den chronischen Fällen erreichten den Seniorenrat &bdquo;furchtbare Geschichten verlassener Menschen in Krankenhäusern und Pflegeheimen, Menschen, die in den Lockdowns auch zu Hause gar keinen Besuch mehr erhielten und vereinsamten“, schildert Aubke, der als Internist während seiner aktiven Berufstätigkeit immer viel mit Menschen und ihren Lebenslagen zu tun hatte. &bdquo;Manche erleben ihre Einsamkeit als Scheitern“ Doch der Seniorenrat hat ein zentrales Problem: &bdquo;Wie kommen wir an die Menschen heran?“ Einsamkeit ist extrem schambesetzt, auch ältere Menschen scheuen die als Stigma empfundene Bezeichnung und geben nicht gerne zu, einsam zu sein. Aubke: &bdquo;Viele Menschen erleben ihre Einsamkeit als Scheitern der eigenen Persönlichkeit im Zuge ihrer Lebensgeschichte.“ Lesen Sie auch: Hilfe für Einsame – Was man an Weihnachten in OWL tun kann Eine Studie der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände (AGW) half, schwer erreichbare Personengruppen in den Wohnvierteln zu identifizieren und Zugänge zu erarbeiten: Supermärkte, Ärzte, Apotheken, der Bäcker im Quartier. Ein Projekt war die sogenannte &bdquo;Plauderkasse“ in Supermärkten, wodurch man sich Hinweise auf vereinsamte Menschen seitens der Kassiererinnen erhoffte. &bdquo;Doch das Personal ist ohnehin schon überlastet, die Idee war nicht sehr erfolgreich“, berichtet Aubke. Christina Kampmann, Bielefelder SPD-Landtagsabgeordnete habe schließlich eine Expertenkommission im NRW-Landtag angeregt, die unter anderem Antworten auf die Frage erarbeitet habe, was Einsamkeit für die Gesellschaft bedeutet. &bdquo;Physische Einsamkeit führt oft auch zu einer mentalen Einsamkeit. Bleibt sie dauerhaft bestehen, können neben den negativen gesundheitlichen Folgen auch wegen der fehlenden Auseinandersetzung und Debatten mit anderen ,Filterblasen’ entstehen.“ Manche entwickelten einen Hang zu Verschwörungstheorien, der weitere Isolation nach sich ziehen könne. &bdquo;Da fehlt das Korrektiv, mit teils negativen gesellschaftspolitischen Folgen“, so Aubke. &bdquo;Es geht nichts über den persönlichen Kontakt“ In Bielefeld zieht man das Fazit, dass eine aufsuchende, präventive Sozialarbeit das Problem vermindern könnte: Ab sofort erhalten alle Bielefelderinnen und Bielefelder ab ihrem 75. Geburtstag Post vom Oberbürgermeister. Hier werden ihnen auch die für sie zuständigen Quartiers-Sozialarbeiter genannt, an die sie sich wenden können. Bestehe Bedarf, kann eine &bdquo;aufsuchende Sozialarbeit“ in Gang kommen. Die Menschen erhalten Besuch und können ihre Lage besprechen. In Herford mache man mit diesem Modell seit vier Jahren sehr gute Erfahrungen, berichtet Aubke. &bdquo;Es setzt deutlich früher an als erst dann, wenn es brenzlig wird. Die Menschen erinnern sich an das Angebot und nehmen Kontakt auf.“ 3.500 Menschen ab 75 Jahren gehören aktuell zur Zielgruppe. Das könnte Sie auch interessieren: Wenn Einsamkeit gefährlich wird Wollten die Aktiven noch früher ansetzen, etwa bei den 70-Jährigen, wären rund 15.000 Menschen angesprochen – &bdquo;eine Frage der Finanzierung“. Ist das Projekt erfolgreich, wird der Seniorenrat in Vertretung der älteren Bielefelder aber auf diese Ausweitung hinwirken. Eine weitere Idee: die gut vernetzten Stadtteilmütter einzubinden. Sie sind Türöffner zu den Bielefeldern mit migrantischen Wurzeln. Nicht alle sind in einer Großfamilie aufgehoben. Die Stadtteilmütter bieten bereits Stadtspaziergänge an, mit denen sie Betroffene zu erreichen suchen. &bdquo;Ich bin froh, dass in Bielefeld ein großes Bewusstsein für das Problem vorhanden ist und alles finanziell gefördert wird“, schildert Aubke. Ältere Menschen fühlen sich digital oft abgehängt In Planung sind weitere Projekte des Seniorenrats, so die Aktion &bdquo;Hallo Nachbar!“, vor allem in Siedlungen mit großen Wohnblöcken und hoher Anonymität. Mit den Bezirksbürgermeistern sei eine Bedarfserhebung geplant, um die Quartiersarbeit zielgerichteter auszuweiten. &bdquo;Wir wollen es kleinräumig gestalten, auf der Ebene der Stadtteile“, formuliert Wolfgang Aubke das Ziel. Das Thema bleibe dringlich. Mehr Achtsamkeit in der Gesellschaft – generationenübergreifend – könne helfen, das Problem erheblich zu verkleinern, ist der Seniorenratsvorsitzende überzeugt. In der Pandemie seien auch junge Leute vereinsamt, diese Situation habe sich bei ihnen &bdquo;erschreckend verstetigt“, so Aubke. Doch während sich bei Jüngeren die Digitalisierung mit Videocalls und mehr als Möglichkeit der Kontaktaufnahme entwickelt habe, seien ältere Menschen hier oft abgehängt. Oder sie bräuchten Anderes: &bdquo;Es geht nichts über den persönlichen Kontakt, die wohltuenden, non-verbalen Aspekte von Mimik und Gestik bei einer gemeinsamen Tasse Kaffee“, sagt Aubke. Bisher in der Themenreihe &bdquo;Einsamkeit in Bielefeld“ erschienen: Einsamkeit als soziale Krise – Bielefelds unsichtbare Epidemie Neustart in Bielefeld: So überwindet eine alleinerziehende Mutter Einsamkeit Bielefelder-Professorin: Jugendliche sind einsam und stehen unter enormem Druck

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