Riesiger Bielefelder Müllberg hat viel mit dem Klima und mit Kühen zu tun

Bielefeld. Es ist eine gewaltige Menge Müll, die in der geschichtsträchtigen Gadderbaumer Galgenheide verbuddelt worden ist. 1,5 Millionen Kubikmeter Müll – Hausmüll, Gewerbeabfall, Bauschutt und Boden. Das entspricht rechnerisch der kompletten Müll-Befüllung von etwa 2.500 Einfamilienhäusern. Gut zehn Fußballfelder groß, 20 Meter tief – alles Müll. Alles rottet vor sich hin, Bakterien zersetzen organisches Material, Gas entsteht. Methangas. Das wiederum ist für die Atmosphäre Gift, es ist 28 Mal schädlicher als Kohlendioxid. Bielefeld will handeln. Doch wie? Hintergrund: Früher hatte fast jedes Dorf seine eigene kleine Deponie, heute sind diese meist zugeschüttet und mehr oder weniger gesichert – und das Gas tritt häufig immer weiter aus. Gut 630 Deponien gibt es in Bielefeld. Das Problem ist also weitaus größer, als auf den ersten Blick zu vermuten, auch wenn knapp ein Drittel reine Bodendeponien sind. Gegenüber dem Magazin Geo zeigte Martin Reiser vom Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft der Universität Stuttgart vor drei Jahren die Dimension auf: Eine Tonne ungetrennter Hausmüll erzeuge bis zu 200 Kubikmeter Deponiegas, davon wiederum sei gut die Hälfte Methan. Ein Viertel der EU-weiten Methangasemissionen soll aus alten Deponien kommen. Mülldeponien schädlich wie alle Milchkühe in Deutschland Reiser rechnete 2021 hoch: In Deutschland würden alle Deponien jedes Jahr etwa 300 Millionen Kilogramm Methan freisetzen, was den methanhaltigen Blähungen von gut drei Millionen deutschen Kühen entspreche. Also fast aller 3,7 Millionen Milchkühe in Deutschland. Längst wird an vielen Stellen versucht, das Methan aufzufangen, es nicht in die Atmosphäre gelangen zu lassen. In der Altdeponie Senne, nach Umweltproblemen für 30 Millionen Euro saniert, wurde lange aus Methangas Strom erzeugt, jetzt wird es abgefackelt. Gut jede zweite deutsche Deponie soll bereits Techniken nutzen, die das Gas absaugen und verwerten. Oberflächen werden abgedichtet, innen ein Unterdruck erzeugt, der das entstehende Gas einfangen hilft. Der Gesetzgeber macht Druck, etliche Kommunen lösen Altdeponien auf und führen den Müll mehrerer Deponien an einer Stelle zusammen – die alten Flächen werden rekultiviert. Oder es wird technisch (teuer) nachgerüstet. Deponie Galgenheide mit langer Geschichte in Bielefeld Zurück zur Galgenheide, die grob beschrieben oberhalb des Ostwestfalendamms liegt, dort, wo die Gadderbaumer Bebauung endet und die Queller Bebauung unterhalb des Blömkeberges noch nicht begonnen hat. Bis 1955 wurde Sand abgebaut, danach betrieb die Stadt bis 1971 hier eine Hausmülldeponie. 1972 bis 1979 folgte am Nordost-Rand noch eine private Bodendeponie. 1996 bis 1998 wurde die Hausmülldeponie von der Stadt gesichert. Fast 250.000 Kubikmeter Boden wurden eingebaut, um die Deponie zu sichern, Regenwasser abzuleiten, die gezielte Entgasung zu organisieren. Und oben bepflanzbaren Boden mit 26.000 Gehölzen zu etablieren. Der Boden kam praktischerweise weitgehend aus dem Stadtbahnbau der Linie 4, der Uni-Linie. Etabliert wurde anschließend der Wanderweg A3 um die Deponie herum. Umweltamt Bielefeld: Lokal hohe Deponiegaskonzentrationen Das Umweltamt teilt dazu dem Umweltausschuss und der Bezirksvertretung Gadderbaum mit: &bdquo;Eine in den 80ern durchgeführte Gefährdungsabschätzung ergab lokal hohe Deponiegaskonzentrationen und eine fehlende Oberflächenabdeckung. Somit wurde in den 90ern zur Sicherung der Deponie und des Grundwassers unter anderem eine mineralische Oberflächenabdichtung inklusive Ableitung des Oberflächenwassers hergestellt.“ Das entstehende Gas baut aber weiterhin unter der Erde Druck auf – und entweicht bis heute über 46 sogenannte Gasfenster. Passive Entgasung heißt das. Es strömt dabei durch Schichten mit Rindenmulch, hier wird das Gas desodoriert, werden also Gerüche entfernt. Doch der Schaden fürs Klima bleibt. Stadt Bielefeld sieht Handlungsbedarf Die Stadt sieht Handlungsbedarf – und hat eine Machbarkeitsstudie ausgeschrieben. Ihre Erklärung mit Blick auf den Ist-Zustand: &bdquo;Da diese Variante dem aktuellen Stand der Technik nicht mehr entspricht und auch in den Folgejahren trotz der langjährig stillgelegten Deponie weiterhin relevante Gasmengen zu erwarten sind, soll – auch aus Klimaschutzgründen – das Erfordernis einer Betriebsoptimierung erkundet werden.“ Heißt, so Tanja Möller, Leiterin des Umweltamtes, in dem Info-Papier: &bdquo;Das klimaschädliche Restgaspotenzial (Methangas) soll ermittelt werden, und Ziel ist es, Lösungen zu erarbeiten, wie zukünftig Treibhausgasemissionen der Deponien deutlich minimiert werden können.“ So stehe es auch im entsprechenden Förderprogramm der Nationalen Klimaschutzinitiative; der Bund fördert Machbarkeitsstudien wie die in Bielefeld mit 50 Prozent. Lesen Sie auch: Neuer Glanz für alte Bielefelder Müllhalde in Hillegossen Auf Wanderweg A3 das Deponiegelände durchwandern Wer aber auf dem Wanderweg A3 über die sattgrünen Flächen der Galgenheide blickt, dem mag es eher bizarr vorkommen, dass ausgerechnet hier, in vermeintlich schönster Natur, das Klima massiv geschädigt wird. Sünden aus der Vergangenheit holen uns hier ein, wie an vielen solcher Orte in Bielefeld. Stadtgeschichte: Der große Bielefelder Giftmüll-Skandal

Meistgelesen