Bielefelder mit Idee zum Kesselbrink-See: „Es geht um die Entsiegelung der Stadt“

Herr Finke, Ihr Vorschlag für einen Kesselbrink-See hat zahlreiche zustimmende wie auch ablehnende Reaktionen in der NW hervorgerufen. Haben Sie die Reaktionen überrascht? Peter Finke: Nein. Ab und zu lohnt es sich halt doch, einen Stein in ein Wasser zu werfen, um zu sehen, welche Kreise er zieht. Das habe ich beruflich und ehrenamtlich oft gemacht. Dann scheiden sich schnell die Geister in die, die mutig sind und die, die nur mitreden; ob dafür oder dagegen macht meist keinen großen Unterschied. Lesen Sie auch: Ein See auf dem Bielefelder Kesselbrink? So könnte das aussehen Also war Ihre Idee nur ein Testballon? Wieso &bdquo;nur“? Es geht um die Überwindung von Denkgrenzen, um Entsiegelung nicht nur in den Städten beim Asphalt oder Beton, sondern erstmal auch in den Köpfen. Überall schließen wir Räume ab, die offenbleiben könnten oder sollten. Ich habe dies professionell bei meinen Ex-Kollegen in der Uni erlebt, die ihr Fachwissen verteidigt haben. Aber auch ehrenamtlich in Vereinen, wo unkonventionelle Gedanken ebenso oft auf Widerstände stießen. Alle Institutionen: die Wissenschaft, die Wirtschaft, das Rechtswesen, die Politik kennen solche Denkgrenzen. Auch Jüngere denken nicht automatisch offener als Ältere. Oft ist es umgekehrt. Lesen Sie auch: Debatte um Kesselbrink-See in Bielefeld: Jetzt spricht der ehemalige Chef der Bild-Zeitung Aber ist das nicht für eine Stadt wirklichkeitsfremd? Nein: Wirklichkeitsfremd ist nur, wer nicht weiterdenkt. Nicht nur Bielefeld: Fast alle großen Städte sind hauptsächlich zu Verkehrsknotenpunkten und Ballungsräumen für eine unbeschränkte Ökonomie, einem kaum noch steuerbaren Verkehr und schlechter Luft herabgesunken. Wie soll das eigentlich weitergehen mit der Idee Stadt: Darum geht es mir. Für mich beschränkt sich eine Stadt eben nicht auf großartige Bauwerke oder eine schicksalhafte geografische Lage. Überall gibt es aktuell für viele nur eine vorherrschende Entwicklungsstrategie: Schließung der letzten Freiräume, Versiegelung, Bebauen. Wo der Platz dann knapp wird, müssen Bauern an den Rändern ihr Land hergeben, gegen Geld. Viele scheinen zu meinen, dies sei eine ernst zunehmende Zukunftsplanung für eine Stadt, nicht nur die IHK. Ich werbe fürs Weiterdenken und Gegensteuern. Lesen Sie auch: Ein See auf dem Bielefelder Kesselbrink? Das halten die &bdquo;NW“-Leser von der Idee Was meint denn Entsiegelung konkret für sie? Mit dem Kesselbrink gibt es in Bielefeld einen umfangreichen alten Freiraum, Anfang eines ehemals feuchten Weide- und Quellgebiets außerhalb des Hufeisens, später auch ein Exerzierplatz, den heute keiner mehr braucht. Sogar eine Heilquelle hat man zeitweise betrieben. Aber es gibt jetzt ein ungesundes Stadtklima; am &bdquo;Jahnplatz“ führte das zu einem gewissen Umbau, freilich gab es dort kaum große Alternativen. Einen so zentralen Straßenverkehrsknoten kann man heute nicht einfach auflösen. Der Kesselbrink ist etwas völlig anderes. Im Grunde wird er als versiegelter zentraler Freiraum nicht mehr gebraucht. Also könnte man ihn auch bebauen? Ja, natürlich könnte man. Aber anderes fällt vielen dazu nicht ein, weil sie Versiegelung in der Mitte einer Stadt für normal halten. In der Umfrage der &bdquo;NW“ ist es trotzdem nur ein Drittel; zwei Drittel loben die See-Idee. Aber sehen sie auch die Konsequenzen, die Zusammenhänge? Mein Thema ist die Zukunft des Lebensraums Stadt. Auch Herbert Jaspert, der sich schon an der früheren Kesselbrinkdebatte beteiligt hatte und jetzt noch einmal zur Unterstützung der Bebauer in der &bdquo;NW“ zitiert wird, spricht sich für das Gewöhnliche aus, mit einem Teich als nettem Treffpunkt. Meine Idee meint etwas ganz anderes. Lesen Sie auch: Kesselbrink bebauen: Bielefelder Experte fordert innerstädtisches Quartier Worum geht es Ihnen denn genau? Eben um die Entsiegelung in den Köpfen und die Neu- und Wiederbeschaffung von Lebensräumen in der Stadt; in diesem Fall eine durchflossene Wasserfläche, der naturbelassen mitten in der Stadt für ein besseres Klima sorgt und nicht als Freizeitsee genutzt wird. Genau dem widerspricht Bielefelds ehemaliger Umweltdezernent Martin Enderle. Er weist auf die EU-Wasserrahmenrichtlinie hin, die es verbiete, Fließgewässer durch einen See zu leiten und so zu unterbrechen. Ich habe vor dem Durchhaltevermögen und der Expertise Herrn Enderles große Achtung, sage aber: Diesmal sind seine Argumente nicht alle gut. Denn ich schlage nicht die Störung von Lebensräumen vor, dort, wo es sie noch gibt, sondern ihre Neu- oder Wiederschaffung mitten in der Innenstadt. Ferner verschlammt auch der Johannisbachstausee weiter, weil die Intensivlandwirtschaft auf den Äckern der Ravensberger Mulde auf Lösslehm unverändert stattfindet. Und es genügt schon eine einzige alte Stadtkarte aus der Zeit Friedrichs des Großen, um beispielsweise zu sehen, dass es damals unweit des Exerzierplatzes Kesselbrink einen Holzbach gab, den heute dort keiner mehr kennt, weil er für den Weiterbau der Stadt offenbar überbaut, zugeschüttet, später teilweise verrohrt, aber ansonsten vergessen wurde. Die Wege, die sich sein (und anderer Bäche und Quellen) Wasser dann gesucht hat, haben niemanden mehr interessiert. Warum also nicht diesem Wasser unter der Stadt nachspüren und es nutzen für die Kesselbrinkidee? Von der ich freilich geahnt habe, dass sie besonders schwer durch- und umsetzbar sein wird. Aber das war auch schon Enderles freigelegte Lutter. Lesen Sie auch: Diskussionen über den Kesselbrink: Der Platz in Bielefeld, der spaltet Sie geben Ihrer Idee also weiterhin eine Chance? Ich bin mir sicher: Wenn man es wollte, ließe sich meine Idee durchaus verwirklichen. Geld könnte besorgt werden, wenn man sich hartnäckig darum bemühte. Und es würde ziemlich viel davon gebraucht, öffentliches oder privates. Sehen Sie Bereitschaft, sich zu bemühen? Kaum. Die Zukunft der Städte ist ein dringendes Thema, das ziemlich weit jenseits des Üblichen liegt. Das Hauptproblem liegt im Denken. Denn es geht um eine städtische Zukunft nicht nur fürs Kaufen, Verkaufen und als Verkehrsraum, sondern auch als Ort mit guter Luft zum Atmen und Leben, mit erträglicher Temperatur und mit nicht ausgesperrter Natur, mit einem Wort: eine neue, lohnende Stadtkultur. Zukünftige Urbanität muss man sich erst einmal vorstellen können und wollen, bevor man sie schafft. Bielefeld – noch mal: eine wasserreiche Stadt ohne großen Fluss oder See, siehe die BUND-Studie dazu – hätte einiges an Besonderheiten anzubieten. Man könnte sogar im Zentrum anfangen. Der Kesselbrink wäre ein Beginn, anderswo müsste man weitermachen und nicht neue Zerstörungen zulassen wie eine weitere Bahntrasse durch die Johannisbachaue. Ich verwende den Konjunktiv bewusst. Bezeichnend ist das Schweigen der Parteien. Die trauen sich alle nicht und definieren ihren eigenen Realismus. Andere Ideen erscheinen dann weltfremd. News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW Bielefeld Alle Kesselbrinkgespräche können Sie hier nachlesen: Folge 1: Simon Böer: Stadtsportbund: Bielefelder Kesselbrink braucht mehr grüne Oasen und Sportangebote Folge 2: Georg Fortmeier: Jede Woche ein Event: Neue Ideen für den Bielefelder Kesselbrink in der Diskussion Folge 3: Raphaela Kula: &bdquo;Das Grün muss runter“: Bielefelder Künstlerin mit ungewöhnlichem Vorschlag für den Kesselbrink Folge 4: Hans E. Latzke: &bdquo;Völlig verkorkst“: Soziologe übt scharfe Kritik am Bielefelder Kesselbrink Folge 5: Tom Kummerfeldt: Impulse für das Herz Bielefelds: Neue Ideen für mehr Leben auf dem Kesselbrink Folge 6: Barbara America-Sieckmann: Bielefelder Händlerin wünscht sich Kesselbrink-Betreuer für mehr Sicherheit Folge 7: Hans-Jürgen Fieberg: Blinder Bielefelder versteht Aufregung nicht: &bdquo;Habe keine Angst auf dem Kesselbrink“ Folge 8: Anke Schmidt: Überraschende Idee: Bielefelderin wünscht sich ein Shopping-Angebot auf dem Kesselbrink Folge 9: Leida Schievink: Mehr Sicherheit: Jahnplatz-Ufos sollten auch Bielefelder Kesselbrink erhellen Folge 10: Andreas Kämper: Bielefelder verständnislos: &bdquo;Fragt endlich die Bürger, was mit dem Kesselbrink passieren soll“ Folge 11: Herbert Jaspert: Zukunft des Kesselbrinks in Bielefeld: Experte fordert radikale Umgestaltung zur Aufwertung Folge 12: Regine Meinerts: &bdquo;Das ist doch kein Platz“: Bielefelderin schlägt vor, den Kesselbrink zu verkleinern Folge 13: Dominic Hallau: Videoüberwachung auf Bielefelder Kesselbrink: Grünen-Chef offen für Gespräche Folge 14: Joachim Fischer: Bielefelder Ingenieur schlägt vor: Kesselbrink sollte zu Sportplatz gemacht werden

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