Heftiger Streit um Gedenken an Bielefelder Nazi-Opfer entbrannt

Bielefeld. Im Bielefelder Süden ist in den vergangenen Wochen ein Streit um die Würde historischer Erinnerung entbrannt. Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen das Ehrenfeld politisch Verfolgter auf dem Sennefriedhof und ein Antrag von SPD und Grünen zur jüngsten Sitzung der Bezirksvertretung Senne, in dem eine Instandsetzung der als kaum mehr leserlich und als in einem schlechten Zustand beschriebenen Grabsteine forderte. Dieser wurde von der Mehrheit aus CDU und FDP in der Bezirksvertretung Senne abgelehnt. Die Fraktionen begründen ihre Entscheidung unterschiedlich – und die Emotionen kochen seit dem hoch, auch weit über Senne hinaus. Das 1945 angelegte Ehrenfeld dient als Ruhestätte für 16 Bielefelder Arbeiter, die wegen ihres Widerstands gegen das NS-Regime verfolgt und ermordet wurden. Vor sechs Jahren hatte das Feld eine optische Überarbeitung erfahren, doch die Zeichen der Zeit machen sich erneut bemerkbar. Streit um Gedenken an Nazi-Opfer in Bielefeld Besonders Grabsteine im Schattenbereich des Ehrenfeldes leiden unter Pilzbefall und Verfärbungen, die die Inschriften stellenweise kaum noch erkennen lassen. SPD und Grüne sehen darin ein Versäumnis, zum aktiven Gedenken müssten die Inschriften gut leserlich sein und die Steine daher instandgesetzt oder ausgetauscht werden. CDU und FDP sahen dies bei der Abstimmung anders: Das Ehrenfeld sei &bdquo;keineswegs in einem desolaten Zustand“, zudem würde eine intensivere Pflege oder eine Erneuerung der Steine dem Charakter des Ehrenfeldes eher schaden. &bdquo;Man muss alten Grabsteinen ihr Alter auch ansehen können“, sagt Matthias Kulinna, Fraktionsvorsitzender der Union. &bdquo;Das ist Teil der Authentizität der Gedenkstätte.“ SPD und Grüne zeigen sich empört über die Ablehnung ihres Antrages. Der Zustand der Grabsteine stelle eine Missachtung des Andenkens der Widerstandskämpfer und politisch Verfolgten dar und sei nicht zu dulden. &bdquo;Das stellt die Erinnerungskultur in unserer Stadt in einem schlechten Licht dar“, erklärt Ridvan Ciftci von der SPD. Lesen Sie auch: Ehrengräber politischer Verfolgter der NS-Zeit in Bielefeld in keinem guten Zustand Michael Bockhorst von den Grünen betont, dass gerade in Zeiten, in denen rechtsextreme Tendenzen erstarken, die Erinnerungskultur verteidigt und gestärkt werden müsse. Dass der &bdquo;sehr weit gefasste“ Antrag abgelehnt worden sei, lasse nur darauf schließen, dass CDU und FDP &bdquo;keinerlei ernsthaftes Interesse daran haben, das Ehrenfeld in einen würdigen Zustand zu versetzen“, so Ciftci. Hinterbliebene eines der Nazi-Opfer melden sich Unterfüttert wird diese Position von offenen Briefen aus den USA und aus Kanada, von wo sich aus Hinterbliebene des auf dem Ehrenfeld beigesetzten Max Sachs und der Historiker Swen Steinberg zur Debatte zu Wort gemeldet haben. Steinberg, Assistant Professor an der Queen’s Universtity in Kingston (Kanada) hat zu Sachs geforscht und ein Buch über ihn geschrieben. Und er findet deutliche Worte. &bdquo;Mir fehlt jedes Verständnis für derartige Ignoranz.“ Sachs war 1935 als Jude, Sozialdemokrat und Journalist im KZ Sachsenburg erschlagen worden. &bdquo;Sein Schicksal ist ein Beispiel dafür, wie schnell aus hasserfüllten Worten gewaltsame Taten werden“, so Steinberg. &bdquo;Daran sollten wir uns erinnern, jeden Tag.“ Ähnliche Worte finden die Enkelinnen und Enkel von Max Sachs, Margret Kaufmann-Pankov aus Montreal (Kanada), Joan D. Bloom aus Oakland, Paul Ehrmann aus San Jose (beide Kalifornien, USA) und Michael Max Walter Ehrmann aus Jersey City (New Jersey, USA). Ihre Eltern hatten sich vor dem Terror der Nazis nach Übersee retten können. Dass in Bielefeld nun ihrem Großvater nicht mehr angemessen gedacht werde, mache sie betroffen. &bdquo;Man kann seinen Namen und die eingravierten Daten kaum noch erkennen. Das ist einfach eine Schande“, so Kaufmann-Pankov und Bloom. Die Enkel kritisieren eine &bdquo;Entehrung“ des Angedenkens, wenn der Grabstein nicht wieder hergestellt werde. &bdquo;Er hat es nicht verdient, ausgelöscht zu werden.“ CDU reagiert – und greift SPD an Die CDU reagiert auf die hochschlagenden Emotionen und harten Vorwürfe mit Erklärungen zu ihrer Entscheidung – und ihrerseits mit einem Vorwurf. &bdquo;Es geht der SPD nicht um die Sache, sondern darum, sich hier als antifaschistische Partei in Szene zu setzen und die CDU in die rechte Ecke zu stellen“, sagt Matthias Kulinna. Die Ablehnung des Antrags sei &bdquo;selbstverständlich nicht aus Gründen der Respektlosigkeit gegenüber dem Andenken der vom faschistischen Regime getöteten Menschen“ erfolgt. Lesen Sie auch: Arminia Bielefelds dunkelstes Kapitel: Fußball unter dem Hakenkreuz Vielmehr fuße sie auf Ortsbegehungen und Gesprächen mit der Friedhofsverwaltung und dem Umweltbetrieb. Daraus sei hervorgegangen, dass die Gräber im Rahmen des Möglichen gepflegt würden und eine intensivere Pflege die Substanz der Grabsteine verschlechtern könnte. &bdquo;Eine Veränderung der Pflege beziehungsweise gar ein Austauschen der Grabsteine würde dem Charakter des Ehrenfeldes eher schaden“, sagt Kulinna.

Meistgelesen