So sehen Bielefelder Bürger die Brennpunkte Kesselbrink und „Tüte“

Bielefeld. Haufenweise Leserreaktionen gab es auf den Wochenendkommentar zu den &bdquo;Problemorten“ Tüte und Kesselbrink. Es polarisiert die Meinung, dass es hier einen klaren Tag-/Nacht-Unterschied gibt – und dass es zwei Gruppen gibt, eine, die eher Mitleid erregend und hilfebedürftig ist (und zur Stadtgesellschaft dazugehört) und eine andere, gegen die hart vorgegangen werden muss. Null Toleranz für Dealer und Schläger. Auffällig: Viele Leserinnen und Leser haben sehr ausführlich und differenziert geschrieben. Hier Auszüge aus der Meinungsvielfalt: &bdquo;Empathisch und humanistisch“ Jochen Vahle von der Kinderrockband &bdquo;Randale“ schreibt: &bdquo;Danke für diesen überaus empathischen und humanistischen Kommentar zum Thema Kesselbrink, Tüte und vor allem den Menschen, die dort das ,Problem’ sind – oder sein sollen.“ &bdquo;Ihnen hat man wohl die Augen verbunden“ Das komplette Gegenteil empfindet Karl Richter, er schreibt ironisch an den Autor: &bdquo;Ihnen hat man wohl die Augen verbunden. Sie hatten wohl die drei Weisheiten bei sich.“ Ein anderer Leser schreibt: &bdquo;Wir brauchen als Leser mehr solche vernunft- und empathiegeprägte Beiträge.“ Er schließt sich damit der Meinung Günter Garbrechts (Ex-SPD-Landtagsabgeordneter) an, der online Identisches gepostet hatte. Es gibt zwei Lager – unübersehbar. &bdquo;Verbale Verantwortungslosigkeit“ Andreas Siekmann empfindet den Kommentar beim Blick auf Lösungen als &bdquo;hausbacken“, er schreibt: &bdquo;Die Reihe der Szenen (Trinker, Drogen) ließe sich noch verlängern. Indem Sie solche Erscheinungen mit ,Unsauberkeit’, ,Ekel’ und ,Ärger’ der Betroffenen verharmlosen, zeigen Sie – Entschuldigung – schlicht verbale Verantwortungslosigkeit. Und was bieten Sie als Lösung an? Liebe Bielefelder, meidet doch nachts Kesselbrink und Tüte. Dumm nur, wenn ich einen Nachtzug erreichen will – so er denn fährt. Und zu dieser Zeit sind auch die nett spielenden Kinder, die tagsüber den Kesselbrink aufhübschen, (hoffentlich) schon im Bett.“ Siekmann: &bdquo;Was sagen Sie dem Familienvater, der morgens sein Carsharing-Auto aus dem Parkhaus holen will und dabei erst einmal in den Eingängen mit seinem minderjährigen Sohn über Junkies stolpert? Was sagen Sie dem jungen Mann, der gegen 18.30 Uhr (nachts?) auf dem Kesselbrink einer jungen Frau helfen will, und daraufhin zuerst eine Dosis Pfefferspray ins Gesicht bekommt und dann von einem halben Dutzend Männern krankenhausreif geschlagen wird?“ &bdquo;Beitrag, der aufweckt, differenziert hinzusehen“ Waltraud Senfft und M. Siebeneichner haben den Kommentar anders wahrgenommen, Senfft schreibt: &bdquo;Danke für Ihren differenzierten Beitrag, der einen selbst aufweckt, differenziert hinzusehen und zu verstehen.“ Und Siebeneichner schreibt: &bdquo;Danke für den reflektierten Artikel über Tüte und Kesselbrink. Habe lange auf so etwas gewartet.“ &bdquo;Wurde nirgends angemacht, belästigt, verängstigt“ Auch Bethels Ortschaftsreferent Fred Müller äußert sich: &bdquo;Ich stimme voll und ganz zu, es gibt Probleme und Verbesserungsbedarf, aber auch einen Bedarf an einer differenzierten Sicht auf eine vielfältige Stadt, die nicht alles ausgrenzt, was manchmal hakt und mir in der Begegnung mit einigen Menschen vielleicht deutlich macht, wie viel Glück ich in meinem Leben bisher gehabt habe.“ Er schildert: &bdquo;Ich hatte mich gerade erst noch mit einem Freund, der bei der Kripo arbeitet, darüber unterhalten, dass hier doch Zahlen über Tüte und Kesselbrink hochgepusht und Szenarien der Bronx beschworen werden, die ich, der ich gerade beim türkischen Frisör an der Bahnhofstraße war, um anschließend im Grill am Kesselbrink meine Falafel Burrito zu essen, so gar nicht nachvollziehen konnte. Nirgends bin ich angemacht oder belästigt oder verängstigt worden. So fand ich die differenzierte Sicht und vor allem auch die Richtigstellung, dass wir es doch hier nicht mit einer ,Tauben- oder Waschbärenplage’ zu tun haben, sehr treffend. Es erinnert mich sehr an die Anfeindungen und Vorurteile gegenüber wohnungslosen Menschen, die ich in meiner beruflichen Arbeit kennengelernt habe und deren Schicksale unglaublich individuell, vielfältig und oft sehr berührend waren. Ausgenommen einige wenige, wie in der Gesamtgesellschaft auch.“ &bdquo;Kommentar hat uns wütend gemacht“ Komplett gegenteilig ist die Sichtweise von Matthias Cottman, der offenbar bis vor Kurzem im Tüten-Umfeld gelebt hat: &bdquo;Die Realitätsferne dieses Kommentars hat meine Frau und mich regelrecht wütend gemacht. Alleine Sätze wie ,Vor allem der Kesselbrink ist dann ein abstoßender Ort. Einer, den man meiden sollte – und auch kann. Wie auch die Tüte.’ Der Autor ist wohl noch nie Straßenbahn gefahren. Wie soll man die Tüte denn meiden, wenn man die öffentlichen Verkehrsbetriebe nutzen will? Das soll er mir doch mal erklären. Und nicht nur nachts ist es an der Tüte gefährlich. Spätestens seitdem unsere Tochter dort grundlos von einer vollgedröhnten Person geschlagen wurde, ist mir das bewusst geworden. Hat man es mit diesem Umfeld tagtäglich zu tun, sieht die Sache ganz anders aus. Oder möchte der Autor vor seiner Haustür wilde Verfolgungsjagden erleben – oder dass sich gerade ein Drogenabhängiger seine nächste Ladung direkt vor seiner Haustür zubereitet, wenn er nach einem arbeitsreichen Tag nach Hause kommt? Dass seine Kinder ihn nicht mehr gerne besuchen, weil die Gegend als abstoßend, einschüchternd und ekelerregend wahrgenommen wird, weil plötzlich irgendwelche Gestalten aus dem Gebüsch kommen, die dort ihre Notdurft verrichtet haben?“ &bdquo;Besuchen Sie doch tagsüber den Kesselbrink!“ Hartmut Stracke hat diese Meinung: &bdquo;Ein abgewogener und differenzierender Kommentar. Meine Empfehlung: ,Liebe Bielefelder, besuchen Sie doch tagsüber den Kesselbrink. Sie können dort ein heiteres Treiben von verschiedenen Gruppen erleben, das einfach schön ist. Am besten nehmen Sie Ihre Kinder oder Enkel mit. Die werden sich dort toll beschäftigen können. Vielleicht mögen Sie sogar den Grünen Würfel aufsuchen – ein besonders gelungenes Projekt, von dem integrativen Lokal unten mit tollen Angeboten. Bei Dunkelheit fühle ich mich allerdings auch nicht wohl auf dem Platz und kann das Sicherheitskonzept nicht wirklich nachvollziehen.“ &bdquo;Vielen Initiativen zog Automatismus den Stecker“ Uwe Adam hat einen etwas anderen Zugang zum Thema, am Beispiel Kesselbrink schreibt er: &bdquo;Ihr Kommentar gibt den zwei Gesichtern viel Kontur und regt dazu an, sich selbst noch mal mit dem Thema zu befassen.“ Er frage sich aber, bei allem &bdquo;Respekt für die Widernisse der Stadtentwicklung“: &bdquo;Was kann bürgerschaftliches Engagement eigentlich wirklich leisten?“ Denn: &bdquo;Offenbar bestand bei großer kreativer Begeisterung seit Jahren ein feines Gespür für die Chancen und Risiken des Kesselbrinks – und damals geäußerte Befürchtungen sind nun eingetroffen und auch übertroffen.“ Er bedauert das, denn: &bdquo;Es gab eine ganze Reihe von bürgerschaftlichen Initiativen und sogar fraktionsübergreifende Impulse. In der Rückschau hatte ich den Eindruck, dass es einen Automatismus gab, der vielen Initiativen den Stecker zog.“ Adam fragt sich: &bdquo;Negativer Rückschaufehler meinerseits oder Wesenszug der Kommunalpolitik?“ &bdquo;Sicherheitsgejaule etwas entgegengesetzt“ Kurz und knapp schreibt Gabriele Walczak: &bdquo;Bravo, ein so lesenswerter Kommentar, sachlich, sehr differenziert und empathisch.“ Ähnlich die Haltung von Peter Böll: &bdquo;Ausgezeichnet. Es wurde Zeit, dem ,Sicherheitsgejaule’ bestimmter Kreise etwas entgegenzusetzen und die Dinge mal wieder auf den Boden der Realität zu holen.“ Jochen Geilen und Merret Wohlrab meinen, der Kommentar sei &bdquo;unbedingt überfällig“ gewesen. Nur, warum ein solcher Platz nicht einfach schlicht zu einem &bdquo;Ruheort ausgebaut“ werden könne (statt ihn zu &bdquo;bespielen“), das erschließt sich Geilen beim aktuellen Lärmpegel des Umfeldes nicht. Die Alternative: &bdquo;Tempo 30 rund um den Kesselbrink herum, dann könnte er ein ,Spektakelplatz’ werden.“ &bdquo;Keine Lösung ist es, die Menschen zu vertreiben“ Achim Rekate schreibt: &bdquo;Vielen Dank für den realistischen und nüchternen Kommentar, das hat mich sehr gefreut. Ich war berufsbedingt in vielen Städten unterwegs und ja, jede Stadt hat solche Plätze – und es ist keine Lösung, die Menschen von dort zu ,vertreiben’.“

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