Mieterhöhung über 70 Prozent: Bielefelder Anwalt gibt Nachbarschaft wichtige Tipps

Bielefeld. Das Plenum rüstet sich zum Protest: &bdquo;Das Schreiben vom Vermieter ist für den Papierkorb“, erklärt Sarah Bohnke den Mietern der kleinen Wohnsiedlung am Lohmannshof. Trotz Ferienzeit und Gewitterwolken trafen sich am Dienstagabend viele der Bewohner im großen Innenhof der im Karree gebauten Anlage zur Vollversammlung. Anlass für die Zusammenkunft zwischen Kinder-Rollern und Rollatoren war ein Brief des Vermieters, den alle 40 Mietparteien Anfang Juni erhalten hatten. Und den alle Mieter bis Mitte Juli unterschrieben zurückschicken sollten. So der Wunsch des Vermieters oder die latente Drohung, ganz nach Lesart. Die Geschäftsführerin des Mieterbundes OWL hatte dazu sofort eine klare Meinung: &bdquo;Auf keinen Fall unterschreiben“, hatte sie den Mietern schon vorab geraten und wiederholte diesen Appell am Dienstag im Angesicht der Betroffenen. Unterstützung erhielt sie dabei von Rechtsanwalt Ridvan Ciftci. Die beiden Mietrechtsexperten waren der Einladung von Pamela Ramsbrock gefolgt, die das Treffen organisiert hatte. Nach dem Erhalt des Briefes habe sie erst einmal schlucken müssen, denn die angekündigte Mieterhöhung sei mit über 70 Prozent ziemlich heftig. Wegen des Wegfalls der Sozialbindung sollte der Quadratmeterpreis der Nettokaltmiete von bisher knapp 5 Euro schlagartig steigen auf 8,50 Euro. Geleistete Unterschriften im Mietvertrag besitzen Gültigkeit Wer die Mieterhöhung zum 1. Januar 2025 ablehnte, dem bot das Schreiben die Option, innerhalb der nächsten zwölf Monate auszuziehen: In beiden Fällen verlangte der Vermieter jedoch eine Unterschrift. Und das sei ein fieser Trick, erklärte Bohnke der Nachbarschaft, die auf den Bänken im Hof saß oder auf mitgebrachten Stühlen. Die Mieter vor eine vermeintliche Wahl zu stellen, die aber gar keine sei, weil die Akzeptanz einer viel zu hohen Miete nicht verlangt werden könne, und ein Auszug schon gar nicht, das sei ein starkes Stück. &bdquo;Und wie verhält es sich mit den Nachbarn, die bereits unterschrieben haben?“ möchte eine Anwohnerin wissen. Sie berichtete von zwei Familien, die offenbar im Stress oder aus Angst vorm möglichen Verlust ihres Zuhauses die signierte Antwort gleich zurückgesandt hätten. An sich sei eine wirksame Zustimmung bindend, darum sei es auch ein schwieriges Thema, erklärten Bohnke und Ciftci unisono, denn das Schreiben des Vermieters sei geschickt formuliert. Das müsse im Einzelfall geprüft werden. Genauso wie der Fall einer alleinerziehenden Mutter, die erst seit April in der Wohnanlage lebt und sich nicht fair behandelt fühlt. Wohnberechtigungsschein war wichtiger als zwei verschiedene Verträge Als sie auf der dringenden Suche nach einer Bleibe für sich und ihre Kinder die leere Wohnung gefunden hätte, verbunden mit dem Angebot zum Einzug, sei sie sehr glücklich gewesen: wegen der günstigen Kaltmiete, wegen der ruhigen Lage samt guter Verkehrsanbindung. Der Zustand der Wohnung dagegen sei kein guter gewesen: Trotz mehrfacher Reinigung würden die Zimmer noch heute leicht nach Zigarettenqualm riechen, ein Erbe des Vormieters. Einige Türzargen hingen schief in den Wänden und der Boden habe Brandlöcher. Bei der Besichtigung habe sie sich allerdings nicht weiter um die Defizite gekümmert, das rechtzeitige Eintreffen des Wohnberechtigungsscheins sei zu dem Zeitpunkt wichtiger gewesen. Als alle Dokumente passten, sei sie erleichtert zum Termin gegangen, um ihren neuen Mietvertrag in Empfang zu nehmen: &bdquo;Ich hatte mir auch nichts weiter dabei gedacht, als zwei Verträge vor mir auf dem Tisch lagen: Der eine sei bestimmt die Kopie für meine Unterlagen, hatte ich gedacht, doch das erwies sich als Irrtum“. Denn vor ihr lagen zwei Mietverträge unterschiedlichen Inhalts: Der eine war der Vertrag für eine Sozialwohnung mit dem noch günstigen Mietpreis, befristet bis zum 31. Dezember 2024. Beim zweiten Dokument handelte es sich um den Anschluss-Mietvertrag, gültig ab dem 1. Januar 2025, versehen mit dem Quadratmeterpreis von 8,50 Euro: Nach Mietspiegel betrage die ortsübliche Vergleichsmiete allenfalls 7,55 Euro, sagt Bohnke. Bei den aktuell bestehenden Mietverhältnissen würde es wegen der 20-prozentigen Kappungsgrenze jedoch nahezu ein Jahrzehnt dauern, bis die Miete nach den gesetzlichen Vorschriften auf diesen Preis erhöht werden dürfte. Sanierungsstau in Bielefelder Wohnanlage betrifft alle Mieter &bdquo;Das hatte mir vorher keiner gesagt, dass ich zwei verschiedene Mietverträge erhalten werde, ich war völlig perplex – und habe unterschrieben.“ Auch das sei eine fragwürdige Methode und bedürfe der genauen Prüfung, sagen die beiden Juristen. Davon wird es in der nächsten Zeit einige geben, denn auch das Sozialamt Bielefeld bat seine Kunden in einem Akut-Mailing, den Brief des Vermieters auf keinen Fall zu unterschreiben. Und empfahl, die vom Amt angebotene einjährige Mitgliedschaft beim Mieterbund zu nutzen. Bei der Gelegenheit könne sich auch über mögliche Mietminderungen unterhalten werden, sagte Bohnke. Lesen Sie auch: Wo die Mieten in Deutschland am stärksten steigen Denn der Sanierungsstau in der Wohnanlage betreffe mittlerweile jeden, erklärten die Mieter. Der beginne auf dem Dach und ende im Keller: Von verstopften Dachrinnen und Abflüssen sprudelt Regenwasser auf Balkone und fließt in Wohnungen. Wasserflecken auf den Kellerböden und an den Wänden zeugen von der Feuchtigkeit im gesamten Mauerwerk, der muffige Geruch gehöre dazu, sagen die Mieter, niemand trockne seine Wäsche in der modrigen Gruft. Einige Haustürklingeln seien schon seit Jahren defekt, dasselbe gelte für Haustürschlösser. &bdquo;Wir haben sie dann irgendwann selbst repariert, damit keine Fremden ins Haus gelangen“, sagen die Mieter und berichten auch vom fast täglichen Kampf gegen den Schimmel. Mit dem Problem seien alle vertraut. Und als sich einer von ihnen über Schimmel an der Balkonwand beschwerte, da habe es nur geheißen, er solle besser lüften. &bdquo;Smart Mieter“ hilft beim Thema Mietminderung Wer eine Mietminderung erwäge, der möge zuvor auf jeden Fall die Homepage &bdquo;Smart Mieter“ besuchen und das gleichnamige Service-Programm ausprobieren, empfiehlt Sarah Bohne die digitale Kreation aus dem eigenen Hause. Das Tool gebe eine grobe Orientierung zum Umfang möglicher Minderungen für verschiedene Mängel und benenne zugleich die damit verbundenen Risiken. Am Lohmannshof macht das Programm jetzt Schule.

Meistgelesen