Behinderte Menschen erhalten in Bielefeld eine besondere Krebs-Medizin

Bielefeld. Die Diagnose &bdquo;Krebs“ ist immer eine Ansage. Trifft sie Menschen mit Behinderungen, müssen im klinischen Alltag Herausforderungen gemeistert werden, die über jene im Umgang mit körperlich und geistig Gesunden hinausgehen. Versteht der Patient seine Krankheit und die Therapie? Bewältigt er oder sie OP, Bestrahlung, langwierige Medikamenten- oder Chemotherapien? Wie lässt sich am geschicktesten zur Kooperation motivieren, die häufig über den Behandlungserfolg mitentscheidet? Welches Maß an vertrauter Begleitung braucht er? &bdquo;Menschen mit Behinderungen werden seltener operiert, erhalten weniger Chemotherapie oder Bestrahlung als jene ohne Behinderungen“, weiß Tanja Sappok vom Fachkrankenhaus Mara in Bethel. Sie ist dort Direktorin der Klinik für Inklusive Medizin, zugleich Professorin an der Medizinischen Fakultät der Universität Bielefeld. &bdquo;Viele können die Symptome nicht? präzise benennen“ Menschen mit Behinderungen nähmen seltener an Vorsorgeuntersuchungen teil, was das Erkennen von Krebs verzögern könne, berichtet sie. Symptome würden manchmal den Grunderkrankungen und Behinderungen zugeschrieben, deshalb lange übersehen. Auch stünden bestimmte genetische Syndrome behinderter Menschen, wie etwa das Down-Syndrom, für eine Häufung bestimmter Krebsformen wie etwa Leukämien. Sappok kennt die Bedarfe ihrer Klientinnen und Klienten. Sie weiß, dass die bestmögliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen immer eine Herausforderung ist. Denn es handelt sich ja meist um Menschen mit vielerlei Erkrankungen, die viele Medikamente nehmen müssen. Zugleich ist die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit reduziert. Doch, so Sappok, es gebe gute Möglichkeiten, den Menschen auch bei einer schweren Erkrankung gerecht zu werden: &bdquo;Manchmal sind es Kleinigkeit, die wir ausprobieren, um das bestmögliche Ergebnis zu erhalten. Zum Beispiel haben wir die Schwester eines Schwerkranken mit aufgenommen, um dem Patienten ein vertrautes Umfeld zu bieten“, schildert sie. &bdquo;Oder die Betreuerin kommt direkt nach der OP auf die Intensivstation, damit ihre Klientin nach dem Aufwachen ein vertrautes Gesicht vor sich hat.“ &bdquo;Zur OP ins Johannesstift, wir pflegen dann die Menschen gesund“ Die Herausforderungen beginnen aber schon bei der Diagnosestellung: &bdquo;Menschen mit kognitiven Behinderungen können Schmerzen oder Unwohlsein nicht präzise benennen“, so Sappok. Angeblich schmerze dann das Knie, tatsächlich ist es am Ende ein Tumor im Bauchraum. Mit Fragebögen versuchen die Fachleute den Beschwerden auf die Spur zu kommen. Mehr zum Thema: Fortschritte in der Onkologie: Bielefelder lebt dank experimenteller Krebstherapie Bielefelderin schreibt Mutmacher-Buch über ihren Kampf gegen den Brustkrebs Neue Krebstherapien in Bielefeld machen Hoffnung, doch Ärzte stehen vor Hürden Steht die Diagnose fest, wird kollegiale Hilfe von den Onkologen aus der Nachbarschaft gebraucht, kommen Florian Weißinger, Leiter des Tumorzentrums am Johannesstift des Evangelischen Klinikums Bethel, und seine Mitarbeiter ins Spiel. Interdisziplinär – das heißt unter Beteiligung aller Abteilungen wie Neurologie, Chirurgie, Strahlentherapie, Onkologie, Psychiatrie und Pflege aus beiden Häusern – wird versucht, im Zusammenspiel das Bestmögliche für die Klienten zu erreichen. Natürlich sind die Ärzte aus Mara am Tumorboard beteiligt, an jener Konferenz, in der die Fälle fächerübergreifend betrachtet, die Therapie festgelegt wird. &bdquo;Zur OP geht’s ins EvKB, dann so bald wie möglich zurück zu uns. Bei uns werden sie gesund gepflegt“, fasst Sappok den Fahrplan zusammen. &bdquo;Zu uns kommen Patienten aus ganz NRW und darüber hinaus“ Aber sie weist auf ein Problem hin: Alle Studien, selbst jene zu den modernsten personalisierten Tumorbehandlungen, seien auf junge, nichtbehinderte, meist männliche Probanden ausgerichtet. Weißinger stimmt zu: &bdquo;Da sind in der Praxis detektivisches Gespür, Interdisziplinarität und immer wieder das Anpassen der Therapie gefragt.“ Die enge Verzahnung der Kompetenzen Maras mit den onkologischen Fachbereichen des EvKB hat einen guten Ruf über OWL hinaus. &bdquo;Zu uns kommen Patienten aus ganz NRW und den angrenzenden Bundesländern“, berichtet Tanja Sappok. Die Zahl der Menschen mit Behinderungen nehme generell zu: Eine Million Menschen mit einer angeborenen Intelligenzminderung gebe es, eine weitere Million mit erworbenen kognitiven Beeinträchtigungen. &bdquo;Durch Fortschritte in der Medizin überleben sie länger.“ Weißinger ergänzt: &bdquo;Wenn man davon ausgeht, dass Menschen mit Behinderungen durchschnittlich zehn weitere Krankheiten haben, hat man früher schneller aufgegeben, gesagt: ,Das schafft der nicht. Heute sucht man nach Lösungen, passt die Behandlung immer wieder an und erzielt damit erstaunliche Erfolge.“

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