Gefahr für die Demokratie

Unter Personenschutz: SPD-Politikerin berichtet in Bielefeld von Morddrohungen und Hass

Auch körperliche Angriffe hat Sawsan Chebli bereits erlebt, Alexandra Geese (Grüne) verlangt mehr Druck auf Meta, Google und Co. Britta Haßelmann (Grüne) hatte die beiden Politikerinnen nach Bielefeld eingeladen.

Bundestagsabgeordnete Britta Haßelmann diskutiert mit der EU-Politikerin Alexandra Geese und der ehemaligen Staatssekräterin Sawsan Chebli über Hassrede und Desinformation im Netz. | © Michaela Heinze

26.05.2024 | 26.05.2024, 05:00

Löschen, Blockieren, Melden und letztlich zur Anzeige bringen ist das erste Mittel der Wahl, wenn es um persönliche Anfeindungen in den sozialen Netzwerken geht. Aber es ist nicht das Einzige. Welche Möglichkeiten es außerdem gibt sich gegen Hassrede im Netz zu wehren und welche Auswirkungen es hat dies nicht zu tun, diskutierten in Bielefeld die Politikerin Sawsan Chebli (SPD) und die Europaabgeordnete Alexandra Geese (Bündnis 90/ die Grünen). Die Politikerinnen folgten der Einladung der Bundestagsabgeordneten Britta Haßelmann (Bündnis 90/ die Grünen), die den Abend moderierte, ins Theaterlabor Bielefeld.

Sawsan Chebli, als Kind geflüchteter Palästinenser zusammen mit 12 Geschwistern in Berlin Moabit geboren und aufgewachsen, verarbeitete ihre „Hate Speech“ Erfahrungen in ihrem vorgestellten Buch „Laut“. Die ehemalige Staatssekretärin sieht hinter den Anfeindungen und Morddrohungen, die ihr täglich entgegenschlagen ein gefährliches System: „Die Leute greifen an, wofür ich stehe und wollen mich mundtot machen.“ Inzwischen habe sie gelernt, Posts und Kommentare nicht mehr persönlich zu nehmen und rigoros Mails mit Gewaltandrohung strafrechtlich verfolgen zu lassen.

Politikerin Sawsan Chebli (SPD) erreichen Morddrohungen

Dieser Umgang mit Hassrede gelingt nicht allen Menschen. Etwa 24 Prozent aller Betroffenen mit Hate Speech Erfahrungen ziehen sich aus den Netzwerken und damit aus dem öffentlichen Diskurs zurück. So würden die Kanäle immer öfter von rechtsextremen und rechtspopulistischen Gruppierungen bespielt, weiß Alexandra Geese. Es sei wichtig, so die EU-Politikerin: „Den Hatern nicht das Netz zu überlassen.“

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„Wie schnell der Hass vom Netz auf die Straße springt, zeigt sich an dem Mord des Politikers Walter Lübcke (CDU)“, ergänzt Chebli. Zahlreiche Hassmails und Morddrohungen hatten Lübcke erreicht, bevor dieser 2019 vor seinem Haus von einem Rechtsextremisten erschossen wurde. Der Täter radikalisierte sich u. a. über Hassrede im Internet. Auch Chebli erreichen seit einigen Jahren Morddrohungen und sexistische, verachtende Botschaften. In Berlin wurde sie bereits auf offener Straße körperlich angegangen. Seither begleiten sie Personenschützer des LKA.

Bundestagsabgeordnete Britta Haßelmann, Staatssekräterin a. D. Sawsan Chebli und EU-Politikerin Alexandra Geese sind sich einig im Kampf gegen Hate Speech und Desinformation im Netz. - © Michaela Heinze
Bundestagsabgeordnete Britta Haßelmann, Staatssekräterin a. D. Sawsan Chebli und EU-Politikerin Alexandra Geese sind sich einig im Kampf gegen Hate Speech und Desinformation im Netz. | © Michaela Heinze

Löschung illegaler Inhalte im Netz soll einfacher werden

Die Verbreitung von Hate Speech und Desinformation ginge häufig von koordinierten rechten Netzwerken aus, bestückt durch Fake-News-Kampagnen russischer Dienste, berichtet Geese. Dies sei „Der größte Angriff auf die Meinungsfreiheit und die Demokratien in Europa.“ Eine Abwehr dagegen soll der, im Januar in Kraft getretene, „Digital Services Act“ bieten, ein starkes EU-Gesetz, an dessen Ausarbeitung Alexandra Geese maßgeblich mitgewirkt hat. Das Gesetz schützt die Grundrechte von Nutzerinnen und Nutzern im Internet und vereinfacht die Löschung illegaler Inhalte.

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Die großen Konzerne seien Teil des Problems von Desinformationen, schon aufgrund der schnellen Verbreitung. Geese macht deutlich: „Ohne Druck auf Meta, Google und Co. wird es keine Änderung geben.“ Nicht ohne Grund hätten die digitalen Unternehmen eine Heerschar von Lobbyisten im EU-Parlament positioniert, um strengere Gesetze zu verhindern. Diese Einflussnahme lähme den politischen Willen zur Veränderung.

Diese sei aber dringend notwendig, so Geese, denn das Geschäftsmodell der großen Internetkonzerne basiere auf der Strategie die Menschen so lange wie möglich im Netz zu halten, um passgenaue Werbung ausspielen zu können. „Hass und Hetze wird somit Teil eines wirtschaftlichen Erfolgskonzepts, denn polarisierende Themen erreichen eine hohe Interaktion und werden deswegen immer schneller im Netz verbreitet als gute Botschaften.“

EU-Politikerin Alexandra Geese sieht eine enorme Gefahr für die Demokratie

Dabei nutzten Digitalkonzerne die Profilbildung, wie z. B. Interessen, Kaufgewohnheiten und sexuelle Vorlieben, die sie über jede Nutzerin und jeden Nutzer anlegten. Im Netz würden „Menschen dort abgeholt, wo sie stehen, darauf wird dann aufgebaut.“ Das bedeute: „Propaganda und Verschwörungsmythen gehen an die Person, die prinzipiell daran glauben würde. Mit der Zeit radikalisierten sich Menschen in dieser Blase mit immer passgenaueren Inhalten.

Geese sieht darin eine enorme Gefahr für unsere Demokratie und resümiert: “Wenn wir das Geschäftsmodell von Konzernen wie Meta nicht ändern, wird sich nichts verändern - zum Schaden unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung.“ Sich komplett aus den sozialen Netzwerken zurück zuziehen sei unrealistisch, meint Sawsan Chebli. Zu sehr sei die digitale Kommunikation in unserem Alltag verankert. Vielmehr sei die Zivilgesellschaft aufgerufen „laut zu werden“, Strafrechtsverstöße anzuzeigen und sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun, um den Hassbotschaften als Gesellschaft entgegenzutreten.

Alexandra Geese sieht eine große Gefahr in einem Rechtsruck des EU-Parlaments: „Sollten sich die Machtverhältnisse nach der Europawahl im Juni verschieben, ist es schwierig weiter Druck gegen die Digitalkonzerne aufzubauen.“ Schon jetzt seien harte Verhandlungen nötig gewesen, den „Digital Service Act“ zu verabschieden, da einige liberale Parteien nicht in die Geschäftsmodelle von Unternehmen eingreifen wollten. Alexandra Geese appelliert daher an alle Wählerinnen und Wähler: „Nutzen Sie am 6. Juni bei der Europawahl ihre Stimme.“