Ruhestand

Kreativer Kirchenmann: Beliebter Bielefelder Pfarrer verabschiedet sich

Vor 30 Jahren trat der Seelsorger seine Stelle bei der evangelischen Versöhnungs-Kirchengemeinde an, im Juni ist Verabschiedungsgottesdienst. Jöllenbeck kannte er vorher kaum, inzwischen weiß der 62-Jährige: „Da leben viele liebe, verlässliche und treue Menschen.“

Der Lieblingsort von Pfarrer Andreas Kersting ist die Marienkirche, in der er so manchen Gottesdienst gefeiert hat. | © Andreas Zobe

Sylvia Tetmeyer
10.05.2024 | 10.05.2024, 15:05

Bielefeld. Es gab ein Aha-Erlebnis. „Ich habe während meiner Zivildienstzeit in einem Bünder Seniorenheim gearbeitet“, erzählt Andreas Kersting. Da habe er gemerkt, dass man mit wenigen Handgriffen und einfacher Zuwendung Freude bereiten kann – und Dankbarkeit zurückbekommt. „Ich war ganz nah bei den Menschen. Das war eine bereichernde Erfahrung.“ Außerdem habe ein guter Freund Theologie studiert. Was er darüber erzählt habe, sei interessant gewesen. Der Weg zum Beruf war dann nicht mehr weit.

Sein Vikariat hat der gebürtige Bünder an der kirchlichen Hochschule in Bethel und in der Martini-Gemeinde absolviert. „Dann bin ich in die Altstädter Nicolaigemeinde gekommen“, berichtet der Vater Zweier Söhne und Großvater. Schließlich habe er sich auf zwei Pfarrstellen beworben. „Die Jöllenbecker haben am schnellsten reagiert“, berichtet er und betont, dass er nie bereut habe, die Stelle angetreten zu haben.

Pfarrer Andreas Kersting - © Andreas Zobe
Pfarrer Andreas Kersting | © Andreas Zobe

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Nach einer längeren Kennenlernphase, hätten sich die Jürmker als sehr herzlich, hilfsbereit, verlässlich und treu erwiesen. Begeistert ist der Theologe vom Engagement der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Spruch „an einem Strang ziehen“ sei mit ihnen gemeinsam im hauptamtlichen Team Wirklichkeit geworden.

Streit um Gedächtnisstätte

„Es ist schön, wenn Leben in der Gemeinde gemeinsam gestaltet wird, wenn man sich von Freunden und Freundinnen getragen fühlen kann“, schwärmt der Seelsorger. Wichtig sei dies auch, wenn man Leitungsfunktionen ausfülle. Viele Veränderungen haben die Dienstzeit von Andreas Kersting geprägt, auch schmerzhafte Prozesse. Dabei sei ihm immer wichtig gewesen, zukunftsorientiert zu sein und zu bleiben.

Mit dem neuen Namen Versöhnungs-Kirchengemeinde wurde 2016 die Fusion der Kirchengemeinden Theesen, Vilsendorf und Jöllenbeck besiegelt. Einige Jahre vorher hatte es jedoch eine Auseinandersetzung gegeben, die die Gemeinde über Jahre hinweg beschäftigen sollte. Sogar die damalige Superintendentin Regine Burg hatte sich als Vermittlerin angeboten. „Es war das konfliktträchtigste und spannungsreichste Thema der vergangenen 30 Jahre“, erzählt der Pfarrer.

Schließlich habe der bis ins persönlich gehende Disput um die Gedächtnisstätte in der Marienkirche nach Jahren mit einem Versöhnungsgottesdienst beendet werden können. „Wir reichen uns bis zum heutigen Tag die Hände. Das ist ein hohes Gut.“ „Seit zwei Jahren ist bekannt, dass wir die Gemeindehäuser aufgeben müssen“, sagt Kersting. Seitdem gebe es viele Diskussionen. In Vilsendorf hat sich eine Initiative gegründet. Prozesse, die zurzeit noch laufen würden, seien schwierig.

Das Gemeindehaus an der Schwagerstraße wird im Herbst abgerissen. - © Andreas Zobe
Das Gemeindehaus an der Schwagerstraße wird im Herbst abgerissen. | © Andreas Zobe

Kirchengebäude multifunktional nutzen

Klar sei, dass der Wohlstand nicht für alle Zeiten garantiert werden könne, „weil wir über unsere Verhältnisse leben.“ Vor einigen Monaten hat Innenarchitektin Elke Upmeier zu Belzen eine Machbarkeitsstudie vorgestellt, in der es um die multifunktionale Nutzung der Kirchengebäude geht.

„In Jöllenbeck gibt es Überlegungen zeitnah eine Teeküche und einen barrierefreien Sanitärbereich einzubauen, weil das Gemeindehaus bereits im Herbst abgerissen wird“, erläutert der Pfarrer. Dabei weist er auf die gute Zusammenarbeit mit dem CVJM hin, dessen Haus nur einige Meter von der Marienkirche entfernt steht: „Aus diesem Umfeld sind viele Impulse gekommen, wie beispielsweise das Männerfrühstück oder der „punkt6-Gottesdienst.“

„Wir können die demografische Entwicklung nicht aufhalten“, sagt der 62-Jährige. Um Kirche zukunftsfähig und auch für Jugendliche wieder interessant zu machen, schlägt er vor, gemeinsame Erlebnisse zu schaffen. Auch Gottesdienste auf Bauernhöfen, im Wald oder auf Marktplätzen würden gut besucht und einen „bleibenden Eindruck“ hinterlassen. Ein Blick über den Tellerrand könne inspirierend sein sowie Kooperationen mit Sportvereinen, der Feuerwehr oder Landwirten.

Kicken bei den Bäffchenstürmern

Andreas Kersting verhehlt nicht, dass der Beruf auch „kräftezehrend“ ist. Er habe jedoch Glück, weil er mit einer „robusten Gesundheit“ gesegnet sei. Gerne unternehme er ausgedehnte Fahrradtouren. Bis heute kickt er bei der Pastorenmannschaft „Bäffchenstürmer“, macht Musik und arbeitet gerne im Garten. Nicht zuletzt freut er sich, im Ruhestand mehr Zeit mit seinen Enkelkindern (4 und 7 Jahre alt) verbringen zu können.

Um die Lücke, die der beliebte Seelsorger hinterlässt, aufzufüllen, hat vor rund drei Wochen eine Gemeindemanagerin ihren Dienst angetreten. Gesucht werde noch ein Pädagoge. Wenn Pfarrer Lars Prüßner im kommenden Jahr in den Ruhestand tritt, könnte seine Stelle wieder mit einem Pfarrer besetzt werden, hofft Andreas Kersting.