Kliniken als Klimakiller - ein Bielefelder Krankenhaus erklärt, warum das so ist

Bielefeld. Krankenhäuser sind Klimakiller. Das überrascht, davon ist wenig zu hören, vermutlich, weil Kliniken nicht so gut für ökopolarisierende Debatten taugen wie Autos, Flugreisen, Kreuzfahrten. Fakt ist aber: 5 bis 6 Prozent des bundesweiten CO2-Ausstoßes kommen aus dem Gesundheitssektor. Etwa 60 bis 80 Millionen Tonnen. Mehr als der Flugverkehr und die Schifffahrt verursachen. Konkret: Pro Klinikbett werden bei gut aufgestellten Kliniken jährlich 65 Tonnen CO2 ausgestoßen. Bei jenen, die weniger auf Nachhaltigkeit setzen, keinen Öko-Strom beziehen, auf Gas oder Öl angewiesen sind, sind es schnell 70, 80, 90 Tonnen. CO2-Bilanz und Energieverbrauch entsprechen, je nach Studie und Haus, der Bilanz von zwei Haushalten bis zu vier Einfamilienhäusern. Pro Bett, wohlgemerkt. Ein MRT verbraucht so viel wie 25 Vierpersonenhaushalte Kliniken sind naturgemäß energieintensiv: aufwändige Lüftungen, hoher Heizbedarf, extreme Stromverbraucher (ein MRT entspricht 25 Vierpersonenhaushalten). Bethels Nachhaltigkeitsbeauftragter Jochen Häger: &bdquo;Wir haben für Mara und EvKB Stromkosten in Höhe von 6,9 Millionen Euro.“ Immerhin, das betont er, werde Ökostrom eingekauft, ein Pluspunkt in der Ökobilanz. Doch es gibt ein massives Problem: die Krankenhausfinanzierung. Alles ist auf Kante genäht. Für Öko-Investitionen gilt: &bdquo;Es dauert viele Jahre, bis es sich gerechnet hat“, sagt Häger. Professor Martin Krüger, Chefarzt der Inneren und Gastroenterologie am Standort Johannesstift: &bdquo;Solche Investitionen werden nicht gefördert, und die Krankenhausfinanzierung bietet keinerlei Planungssicherheit – wer investiert denn dann jetzt? Definitiv keiner.“ Ihn wundert: &bdquo;Im aktuellen Klimagesetz steht der Verkehr voll im Fokus, das Gesundheitswesen aber nicht – dabei wären hier Investitionen sehr sinnvoll.“ Und so ist eben auch das EvKB nicht überall Vorreiter; die Photovoltaikanlage auf dem neuen Kinderzentrum lässt auf sich warten, soll aber kommen, so Häger. Sprecherin Sandra Gruß sagt zu einer anderen offenen Flanke: &bdquo;Das Jobrad kommt im Sommer.“ Also Leasingangebote für Räder von Mitarbeitern. Radeln fürs Klima? Krüger kritisiert die Stadt: &bdquo;Ich sehe keine Mobilitätskonzepte, die sich mal daran ausrichten, wo 5.000 Menschen arbeiten, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bräuchten vernünftige Radwege.“ Doch das ist der äußere Rahmen einer Klinik, innen ist es noch komplexer. Wo den ökologischen Fußabdruck verkleinern? Ein Thema: Müll. Am meisten entsteht in den Bereichen OP/Intensiv, Radiologie und Endoskopie. Krüger: &bdquo;Eine einzige Endoskopie bringt 2,1 Kilo Müll mit sich.“ Am Johannesstift hat er 4.500 Endoskopien im Jahr - macht 9.450 Kilo Müll. Es gibt haufenweise Einmalartikel, aber nicht alle grundlos. Was in Kontakt mit Gewebe und Blut kommt, kann sterilisiert werden, doch ist das nicht immer ökologisch besser. Und: Risiken entstehen, so bei den minikleinen Biopsiezangen - es muss abgewogen werden. Folge: Früher wurden Zangen desinfiziert, heute nicht mehr. Vor allem braucht es dazu Fakten. Und genau daran mangelt es, kritisiert Professor Sebastian Rehberg, Uniklinikdirektor der Anästhesiologie und Intensivmedizin am EvKB. &bdquo;Wir sind sehr aktiv und motiviert, aber abhängig von Herstellern und deren Angaben – es gibt leider eine sehr schlechte, objektive Datenqualität.“ Beispiel Spatel: Der aus Metall kommt aus Deutschland, der aus Plastik aus Indonesien. Rehberg: &bdquo;Einweg oder Aufbereitung? Offen, noch ungeklärt.“ Anderes Beispiel: Die Kittel – heute aus Plastik, früher aus Stoff. Hier soll es nun eine Rolle rückwärts geben, weg vom Wegwerfartikel, hin zum Waschen, weil das ökologisch besser sein soll. Narkosegase mit unfassbarer Öko-Bilanz Immerhin: Fakten gibt es bei den Narkosegasen. Wurde früher Desfluran benutzt, ist es heute Sevofluran. Bei gleicher Wirkung, aber mit komplett anderer Öko-Bilanz. Oberarzt Dr. Rainer Borgstedt: &bdquo;Hier gibt es jetzt das Wissen, zum Glück.“ Er zeigt auf ein laminiertes Papier voller Zahlen; und diese sprechen für sich: Bei einer fünfstündigen Anästhesie schaden die beiden Narkosegase der Umwelt genauso wie 184 Kilometer Autofahren (Sevofluran) oder 9.067 Kilometer Autofahren (Desfluran). Da fällt die Entscheidung nicht schwer. Folge: Eine Klinik bei Karlsruhe, die auf Sevofluran umstellte, konnte ihren ökologischen Fußabdruck (Einmalartikel, Berufsweg der Mitarbeiter sowie Narkosegase) um zwei Drittel (!) senken. Direkt damit verbunden taucht schon die nächste Frage auf: Was tun mit den Gasen während der Operation? Borgstedt: &bdquo;Pusten wir sie raus in die Umwelt oder nehmen wir einen Absorber, der sie bindet?“ Antwort: Absorber. Problem: Noch bringt der nichts, &bdquo;denn das Recycling ist auf dem Weg, aber noch nicht vollendet“, so der Anästhesist. Eine Investition in die Zukunft also, in allen 18 OP-Sälen. Krüger ist aber auch etwas anderes wichtig: Neben guter OP-Planung (alles griffbereit, ständige Einmal-Handschuhwechsel werden vermieden) fragt er sich: &bdquo;Was muss getan werden, was kann?“ Krüger weiß, dass Hygiene ein Qualitätskriterium ist, doch es reiche das Vorgeschriebene. Mehr sei nicht nötig, nicht alles müsse getoppt werden. Auch das sei Klimaschutz. Arzt stellt Beipackzettel in 32 Sprachen infrage Anderer Aspekt: &bdquo;Müssen wir alle drei Jahre die nächste Endoskopie machen – oder reicht nicht auch alle fünf? Das würde 20 Prozent der Endoskopien vermeiden helfen.“ Zum Wohle des Klimas, aber nicht zum Schaden es Patienten. Krüger: &bdquo;Es muss nicht alles überbordend gemacht werden, sondern immer das, was Sinn ergibt.“ Oft sinnfrei findet er übrigens auch all die medizinischen Umverpackungen – und Beipackhefte in 32 Sprachen. &bdquo;Also ehrlich, wer sich als Arzt da erst was durchlesen muss “, sagt er und lässt den Rest des Satzes mit einem Stirnrunzeln im Raum stehen; um dann zu sagen: &bdquo;Ich denke, ein QR-Code würde reichen.“

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