Bielefeld. Es ist ein Moment, den man sich schrecklicher kaum vorstellen kann. Am Nachmittag geht ein Bielefelder (52) mit seinem Dackel spazieren und hört einen wimmernden Hund im Gebüsch. Er sieht nach und findet wenig später einen schwer verletzten, schwarzen Pudel – an einem Baum festgemacht an seiner Leine.
Neben dem Hund liegen auf einer Picknickdecke zwei erschlagene Mädchen – 6 und 12 Jahre alt. Der sogenannte „Mädchenmord von Senne“ vom 26. Juni 1987 konnte nie aufgeklärt werden. Ein dringend Tatverdächtiger wurde im Gerichtsverfahren freigesprochen.
In der neuesten Folge von „Ostwestfälle“, dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen, sprechen Birgit Gottwald und NW-Lokalredakteur Jens Reichenbach über diesen besonderen Fall. In ihrem Gespräch geht es um die akribischen Ermittlungen der Mordkommission und den trotzdem fehlenden Beweis.
Der Mädchenmord von 1987 - alle Fakten im Überblick
- Am 26. Juni 1987 werden zwei erschlagene Mädchen - im Alter von 6 und 12 Jahren – und ein schwer verletzter Pudel von einem Bielefelder Spaziergänger Am Ehrenkamp in Senne gefunden.
- Der Täter hat mit einem hammerähnlichen Werkzeug auf die Mädchen und auf das Tier „unzählige Male“ eingeschlagen.
- Mutmaßlich soll es sich um einen 34-jährigen, psychisch erkrankten Tatverdächtigen handeln, der bereits in der Vergangenheit Mädchen und Frauen belästigt haben soll.
- Der Beschuldigte habe in seinem Patientenzimmer in der Psychiatrie ein Messer-Set inklusive eines Zimmermannshammers versteckt.
- Im Januar 1988 sind die Ermittlungen abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, den psychisch kranken Tatverdächtigen gefunden zu haben. Zudem will sie ihn in die dauerhafte forensische Klinik einweisen.
- Am 15. Juni 1989 wird der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung des Patienten in eine forensische Klinik abgelehnt. Die Tat lasse sich dem Verdächtigen nicht nachweisen. Somit bleibt der Fall bis heute unaufgeklärt.
Täter muss mit großer Kraft auf die Mädchen eingeschlagen haben
Jeder in der Nachbarschaft rund um die Straße Am Ehrenkamp kannte das zwölfjährige Mädchen und ihren Pudel. Sie ging oft von ihrem Haus, das nur zwei Straßen entfernt lag, weiter über den Ehrenkamp ins Freie. An jenem Tag hatte sie nach dem Mittagessen ihre Halbschwester dabei. Gemeinsam hatten sie ein Picknick vorbereitet und den Kinderwagen samt Puppen und Spielzeug mitgenommen. Sie wollten zu ihrer „Bude“. In einem 10 Meter breiten Waldstreifen, etwa 200 Meter vom letzten Haus der Siedlung entfernt, hatten die Mädchen für sich einen Rückzugsort zum Spielen erschaffen.
Mit großer Kraft muss der Täter auf die wehrlosen Mädchen und schließlich auch auf den Pudel eingeschlagen haben, der später aufgrund seiner schweren Verletzungen vom Tierarzt eingeschläfert werden musste. Die Kripo ging später davon aus, dass der Täter „unzählige Male“ mit einem hammerähnlichen Werkzeug zugeschlagen haben muss.
Schnell gerät ein großer Bielefelder unter Mordverdacht
Die Kripo ermittelte mit großem Einsatz. Schon zwei Tage nach der Tat meldete die Polizei eine Festnahme. Der 34-jährige, 1,90 Meter große Tatverdächtige wohnte auch in der Nähe, galt als psychisch krank und oft aggressiv. Wie die Kripo mitteilte, soll er eine Woche zuvor auf zwei 15-jährige Mädchen losgegangen sein, so dass diese panikartig die Flucht ergriffen.
Den Esel, den sie mit sich führten, hatten sie einfach stehengelassen. Nach Bekanntwerden des Mädchenmordes hatten sich die Eltern der Jugendlichen bei der Kripo gemeldet und ihren Verdacht geäußert. Weil andere Zeugen ihn zuletzt nackt durch den Spiegelschen Forst haben laufen sehen und der 34-Jährige bereits in der Vergangenheit Frauen und Mädchen belästigt haben soll, schien alles gegen den Festgenommenen zu sprechen.
Ein Messer-Set und ein Zimmermannshammer sorgen für Aufregung
Zumal zwei weitere Tage später sich ein Insider aus der Psychiatrie meldete, dass der Beschuldigte in seinem Patientenzimmer ein Messer-Set inklusive eines Zimmermannshammers versteckt hatte. Die Ermittler erfahren wenig später, dass dieser Fund vor geraumer Zeit den Eltern übergeben worden sei, wo der 34-Jährige am Wochenende lebte. Die Eltern bestätigen, dass ihr Sohn sie bedroht hatte, sollten sie ihm seine Messer nicht wieder aushändigen.
Die Mordkommission lässt immer wieder bestimmte Waldgebiete durchkämmen, in denen der 34-Jährige tagsüber herumgestreift sein soll. Eine seiner Psychosen soll ihn immer wieder dazu gezwungen haben, sich seiner Kleidung zu entledigen und diese im Wald zu verscharren. Doch das gesamte in Frage kommende Gebiet auf der Suche nach Tatwaffe und Tatkleidung zu durchkämmen, sei einfach unmöglich, heißt es von der Polizei.
Staatsanwaltschaft Bielefeld will den Beschuldigten dauerhaft einweisen lassen
Im Januar 1988 sind die Ermittlungen in dem Fall abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, mit dem psychisch kranken Bielefelder den Verantwortlichen des zweifachen Totschlags gefunden zu haben. Weil sie davon ausgeht, dass er aber aufgrund einer chronischen Schizophrenie schuldunfähig ist, strengt sie seine dauerhafte Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie an. In einer solchen forensischen Klinik landen Straftäter, die schuldunfähig sind und weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich sind.
Das Gerichtsverfahren vor dem Bielefelder Landgericht zieht sich von Januar 1989 ein halbes Jahr hin. Der Beschuldigte darf aufgrund seines sich weiter verschlechterten Zustands der Verhandlung fernbleiben. Im Zentrum der Beweisaufnahme stehen drei Pullover-Fasern, die eindeutig dem 34-Jährigen zugeordnet worden sind und auf den Hosen der beiden getöteten Mädchen gefunden wurden.
LKA-Chemiker steht in dem Verfahren im Fokus
Doch der Chemiker des Landeskriminalamtes, der die Fasern untersucht hat, kann nur mutmaßen, dass diese Fasern bei der Tat auf die beiden Opfer übertragen wurden. Es bestehe eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass diese Fasern auch indirekt auf die Hosen der Mädchen gelangt sein könnten – etwa beim Nutzen einer Sitzbank, auf der diese Fasern vorher lagen.
Die vielen Zeugenaussagen im Prozess liefern nur Indizien, das auffällige und auf ersten Blick verdächtige Verhalten des Beschuldigten (er verweigerte sich bei einer Tatortbegehung total) sei krankheitsbedingt und lasse keine Rückschlüsse auf eine Täterschaft zu. Weitere harte Beweise wie die Tatwaffe ließen sich nicht finden.
Bielefelder Richter bezeichnet unaufgeklärten Fall als unbefriedigend
Am 15. Juni 1989 – knapp zwei Jahre nach der Tat – weist das Schwurgericht den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung des Patienten in einer forensischen Klinik ab. Die Tat lasse sich dem 34-Jährigen nicht nachweisen. Der damalige Vorsitzende Richter des Schwurgerichts, Karl-Friedrich Brinkmann, betont, dass dieses Ergebnis unbefriedigend sei, weil die Tat trotz größter Sorgfalt bei den Ermittlungen „unaufgeklärt und ungesühnt“ bleibe. Der Strafverteidiger des Beschuldigten kritisierte am Ende des Prozesses, dass sich die Ermittler zu früh auf seinen Mandanten konzentriert hätten.
Der Mord an zwei spielenden Mädchen in einem Wäldchen in Senne gilt seither als unaufgeklärt. Die Familie der Opfer soll Bielefeld nach der Tat verlassen haben. Lange Zeit erinnerte ein Kreuz am Rande des Waldstücks an den gewaltsamen Tod der beiden Mädchen. Inzwischen ist es verschwunden.
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