Bielefelder Forscherin erklärt die Kraft von Demonstrationen: „Proteste vor Ort wirken anders“

Frau Daphi, sie sind Protestforscherin an der Universität Bielefeld. Was kann es bewirken, wenn man sich an einem Protest wie der heutigen Großkundgebung gegen Rechtsextremismus in Bielefeld beteiligt? Priska Daphi: Es gibt drei Arten, wie sich Proteste auswirken können – erstens auf die Politik und politische Entscheidungen, zweitens auf die öffentliche Meinung und Debatte und drittens haben Proteste Einfluss auf die teilnehmenden Personen selbst und ihr weiteres Engagement. Erste Auswirkungen der aktuellen Proteste gegen rechts und gegen die Partei Alternative für Deutschland (AfD) lassen sich schon jetzt beobachten. Was hat sich durch die Proteste bereits verändert? Daphi: Schon daran, dass Sie mich heute interviewen, wird deutlich, dass die Proteste eine beachtliche öffentliche Resonanz erzeugt haben. Das befördert eine Debatte und ein Bewusstsein darüber, wo Grenzen liegen und wann unsere demokratischen Grundwerte verletzt werden. Und wo der Punkt anfängt, an dem diese Werte verteidigt werden müssen. Diese Debatte ist wiederum Voraussetzung dafür, auch darüber nachzudenken, wie eine rassistische und repressive Migrationspolitik insgesamt demokratiegefährdend sein kann. Und die Auswirkungen auf die Politik? Daphi: Wie das Wahlverhalten und politische Entscheidungen davon langfristig beeinflusst sein werden, darüber lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren. Wir sehen aber auf der zivilgesellschaftlichen Ebene schon jetzt, dass die Proteste nicht nur auf bereits bestehenden Netzwerken basieren, sondern sich auch neue Netzwerke herausbilden. Die heutige Großdemo ist vom etablierten &bdquo;Bündnis gegen Rechts“ organisiert worden, das sehr aktiv ist und regelmäßig zu Demonstrationen gegen rechts in Bielefeld aufruft. Was ist jetzt trotzdem anders? Daphi: Die bundesweiten Proteste der letzten Tage unterscheiden sich von vorherigen deutlich in ihrer Größe. Dabei kommen nicht nur neue Leute hinzu, die durch die Enthüllungen schockiert und mobilisiert worden sind. Es ist auch neu, dass sich mehr Gruppierungen anschließen und ein breiteres Bündnis die Proteste organisiert oder dazu aufruft – wie auch in Bielefeld geschehen. Zum Thema: 20.000 Menschen erwartet: Alles Wichtige zur Großdemo am Dienstag in Bielefeld In Bielefeld haben alle demokratischen Ratsparteien einen gemeinsamen Antrag formuliert, in dem sie sich zu den demokratischen Werten bekennen und die Proteste unterstützen. Ist das ein wichtiges Zeichen? Daphi: Ja, die Rolle der politischen Parteien und Eliten darf man hier nicht unterschätzen. Es wirkt sich oft positiv auf die Sichtbarkeit und Resonanz von Protesten aus, wenn sie öffentlich von politischen Akteuren wie Parteien, aber auch Gewerkschaften oder anderen sichtbaren Initiativen unterstützt werden. Warum ist der Protest auf der Straße in unserem zunehmend digitalisierten Zeitalter immer noch das Mittel der Wahl? Daphi: Es gibt es eine lange Tradition dieser Protestform, das ist nicht unerheblich. Und es geht im Protest vor Ort auch darum, sich in eine Debatte einzubringen, indem man öffentlichen Raum einnimmt und mitgestaltet, insbesondere in Orten mit großer rechter Wählerschaft. Ein wichtiger Aspekt ist aber auch, dass Proteste vor Ort anders auf die Teilnehmenden wirken. Sie ermöglichen das Erleben einer temporären Gemeinschaft. Onlineproteste lassen sich zwar schneller und kostengünstiger organisieren, und durch sie lässt sich leichter eine große Zahl an Menschen erreichen. Aber Straßenproteste bringen Menschen vor Ort zusammen und zeigen, dass sie dabei Kosten, Zeit und Kälte in Kauf nehmen für ihre Überzeugung. Das macht die Entschlossenheit der Proteste sichtbarer. Wie können Menschen, die nicht auf der Straße dabei sein können, sich trotzdem mit den Protestierenden solidarisieren? Daphi: Man kann das Thema in seinen Sportverein hineintragen oder bei einem anderen zivilgesellschaftlichen Engagement eine Debatte dazu anstoßen. Oder man bringt sich in neue zivilgesellschaftliche Initiativen ein, zum Beispiel antirassistische Gruppen. Und es gibt viele Möglichkeiten, im Alltag einzuschreiten, wenn sich jemand antidemokratisch oder rassistisch äußert. Täten dies mehr Menschen, dann wäre auch schon viel gewonnen. Zur Person Priska Daphi ist seit 2018 Professorin für Konfliktsoziologie an der Universität Bielefeld und forscht dort am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. Außerdem ist sie Mitbegründerin des Institut für Protest- und Bewegungsforschung, einem bundesweiten Netzwerk.

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