„Da liegt jemand im Parkhaus“: Besuch bei Bielefelds Obdachlosen in Eiseskälte

Bielefeld. Treffpunkt ist die Viktoriastraße 10: Von hier aus machen sich die Streetworker Dorothee Engelbrecht, Leona Husemann und Gabriel Gerber auf den Weg, die NW begleitet sie. Bei minus acht Grad geht es in ein Parkhaus in der Innenstadt. Durch einen Anrufer haben die Sozialarbeiter erfahren, dass sich hier eine obdachlose Person aufhalten soll. Sie gehen durch alle Etagen, schauen hinter Autos und achten auf Hinweise darauf, dass sich jemand hierher zurückgezogen hat. Im Treppenhaus liegt Alufolie, Reste von Drogenkonsum. &bdquo;Tipps aus der Bevölkerung sind wichtig. Auch außerhalb der Innenstadt, weil man den Leuten dort nicht so einfach über den Weg läuft“, erklärt Engelbrecht. Die Streetworker seien für viele Menschen auf der Straße eine beliebte Anlaufstelle, besonders, wenn sie andere Hilfestellen nicht aufsuchen können oder wollen, sagt Gabriel Gerber. Manche Menschen, besonders junge Leute, sähen sich oft nicht als Zielgruppe von Sozialarbeit. Es sei jedoch selten, dass Menschen überhaupt nicht mit ihnen sprechen wollen. Besonders bei Extremwetterlagen wie Kälte oder Starkregen werde mehr Hilfe angenommen, erklärt Engelbrecht. Dennoch müsse es das ganze Jahr über Aufmerksamkeit für die Menschen und ihre Probleme geben. Heute sind auf der Straße weniger Menschen, in der KAVA, Kavalleriestraße 18, dafür umso mehr. Wie ein großes Wohnzimmer lädt die Anlaufstelle tagsüber Menschen ein, die von Wohnungslosigkeit und anderen Herausforderungen betroffen sind. Für kleines Geld kann man etwas essen und trinken. Eine Tasse Kaffee kostet 40 Cent. Auch Wäschewaschen und Duschen ist möglich. Vorteil der Einrichtung ist die zentrumsnahe Lage und die Niedrigschwelligkeit. Die Tür stehe jedem offen, auch anonym, erklärt Jens Cordes, Mitarbeiter der KAVA. In der Fußgängerzone gehen die Streetworker auf die Menschen zu, an denen viele einfach vorbeigehen. Ein Mann erzählt, er schlafe auf der Straße. Husemann und Engelbrecht von Bethel Regional organisieren in wenigen Minuten einen Schlafplatz. Ziel ist es, die Menschen an das soziale Netzwerk anzubinden. In der Fußgängerzone hat er sein &bdquo;Wohnzimmer“ &bdquo;Dass die Menschen unsere Hilfe annehmen, funktioniert nur über Beziehungen“, sagt Engelbrecht. Dafür brauche es Vertrauen und Geduld. Auch Decken oder Schlafsäcke werden mal organisiert. Langfristig wollen die Sozialarbeiter den Menschen jedoch ein besseres Angebot machen, als eine Decke oder ein Kältebus, sie gesicherter versorgen, erklärt Leona Husemann. Bei der Sozialberatung in der Viktoriastraße gibt es Hilfe für Wohnungslose. Hier sind 500 Menschen als wohnungslos gemeldet. Bei der Frauenberatung in der Falkstraße 2 noch mal 110. Die Ursachen für Wohnungslosigkeit sind vielfältig. Ganz vorne dabei: die Wohnraumknappheit, sagt Engelbrecht. Wohnungslose können bei Freunden oder Familie unterkommen und schlafen nicht draußen. Obdachlose haben keine Unterkunft. Sie übernachten in Unterführungen oder Parkhäusern – oder den Notunterkünften der Stadt. Aber die sind nicht bei allen beliebt. Ein Mann hat in einem Ladeneingang in der Altstadt sein &bdquo;Schlafzimmer“ eingerichtet, am Rand der Fußgängerzone sein &bdquo;Wohnzimmer“. Er habe einen warmen Schlafsack und fühle sich in der Stadt wohl. In eine der Unterkünfte wolle er nicht, er bleibe lieber auf der Straße. &bdquo;Da hat man am nächsten Morgen wenigstens noch all seine Sachen“, sagt er und lacht. Am Hauptbahnhof ist die Bahnhofsmission zuständig. &bdquo;Kein Mensch geht hier ohne Hilfe raus“, erklärt Martin Zawieracz, Leiter der Mission. Von Fußgängern wünscht er sich mehr Respekt gegenüber Obdachlosen. &bdquo;Das sind Menschen, die ihre eigenen Entscheidungen treffen“, betont er. Was selbstverständlich klingt, werde im Umgang mit Betroffenen oft vergessen. Wird Hilfe angeboten, muss auch Ablehnung respektiert werden. Außerdem will Zawieracz eine Lanze brechen für Zivilcourage. Besonders die Gewalt gegenüber Obdachlosen schockiere ihn. Mit den Notsituationen der Menschen müsse man in ihrem Beruf umgehen können, erklärt Zawieracz. Zu sehen, dass man – jedenfalls kurzfristig – helfen kann, motiviere. Im Leben falsch abgebogen Die Gründe für Obdachlosigkeit seien individuell. Viele erleiden Schicksalsschläge oder biegen irgendwo im Leben falsch ab, erzählt Julius Krah, Streetworker bei der Bahnhofsmission. Schwierig sei es auch für Menschen, die in Deutschland kaum Ansprüche haben, wie Geflüchtete oder EU-Migranten. Manche würden aus dem System ausbrechen und das Leben auf der Straße freiwillig wählen. Zurück ins System zu kommen sei oft schwierig. Besonders bürokratische Hürden machten Vielen zu schaffen. Termine im Bürgerbüro werden online gemacht – ohne Internet, Zugang zu einer Steckdose oder gar ein Smartphone, scheitere es oft schon an der Terminvereinbarung. Wenn man nicht weiß, was der nächste Tag bringt, sei eine längere Wartezeit zudem oft unzumutbar. Strukturen zu verändern, brauche Zeit und politischen Willen, erklärt Zawieracz. Das soziale Netzwerk unterstützt da, wo es die Gesellschaft oft nicht tut. Die Sozialarbeiter nehmen die Menschen wahr und bieten ihre Hilfe immer wieder an. Der heutige Einsatz geht zu Ende. In wenigen Tagen steuern die Streetworker wieder Hinterhöfe und Unterführungen an, auf der Suche nach Menschen, die Hilfe brauchen.

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