Fast vergessen: Ein 330 Meter langer Tunnel unter der Bielefelder Promenade

Bielefeld. Hunderte Bielefelder spazieren jedes Wochenende auf der Promenade zwischen Sparrenburg und Brands Busch entlang. Kaum einer von ihnen dürfte ahnen, dass unter ihnen ein richtiges Tunnelsystem liegt. Die Lokalredaktion durfte exklusiv in Bielefelds vergessenen Luftschutzstollen blicken. Denn es geht um eine Zivilschutzanlage aus dem Weltkrieg. Es ist ein bedrückendes Gefühl, durch einen Stollen zu schreiten, in dem Hunderte Menschen Schutz vor den Fliegerbomben der Alliierten suchten. Es ist feucht da unten, trotzdem liegt der Geruch von Zementstaub in der Luft – und es ist stockdunkel. Die Bundesrepublik ist für die Gefahrenabwehr im Bielefelder Tunnel zuständig 3.000 Menschen sollten hier seit Ende 1943 Platz finden. Entsprechend groß wurden die Gänge angelegt: 2,50 bis 5 Meter breit und ebenso hoch, berichtet Christiane Worring, Sprecherin der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BimA). Die Bundesbehörde ist zwar nicht Besitzerin des Stollens, aber nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz im Namen der Bundesrepublik für die Gefahrenabwehr durch solche Anlagen zuständig. 1942 hatten Bergbauer aus Dortmund im Auftrag der Nazis (Luftschutz war Reichssache) den 330 Meter langen Stollen zum Schutz der Bevölkerung in den Sparrenberg getrieben. Er sollte sowohl vom Musikerviertel als auch von Bethel aus erreichbar sein. Vier Zugänge waren geplant. Doch der Stollen wurde nie fertiggestellt. Dennoch suchten viele Bielefelder in dem Luftschutzstollen immer wieder Schutz. Zeitzeugen berichten von beklemmenden Stunden unter Tage. Versteckter Eingang in einem Bielefelder Privatgebäude Doch wem gehört der beeindruckende Stollen eigentlich? Es ist weder der Staat noch die Stadt. &bdquo;Der jeweilige Grundstückseigentümer ist zugleich Eigentümer der Anlage“, sagt BimA-Sprecherin Worring. Wer oben drüber wohnt, ist auch Stollenbesitzer. Weil die Anlage im Sparrenberg so groß ist, handelt es sich quasi um eine Eigentümergemeinschaft. Ein langer Gang verläuft direkt unter der Promenade (wohl städtischer Besitz), ein zweiter unter mehreren Grundstücken im Bereich Lessing- und Schubertstraße. Zugang aber kann nur eine Frau in Bielefeld gewähren. In ihrem Haus befindet sich der einzige Eingang in den Stollen. Die Bielefelderin möchte namentlich nicht erwähnt werden und das hat gute Gründe. Vor Lost-Places-Fans ist kein Schloss sicher Christiane Worring erklärt: &bdquo;Gerade in diesen Zeiten geht von solchen Anlagen eine große Faszination unter Lost-Places-Fans aus. Wir konnten nach einem Zeitungsbericht in Trier feststellen, dass es keine Woche dauerte, bis der erste versucht hat, das Schloss des Gitters zu knacken. Vor dieser Szene ist kein Schloss sicher.“ In Bielefeld besteht diese Gefahr nicht, weil sich die Stahltür, die den Weg in den Stollen ermöglicht, im Inneren eines Privatgebäudes befindet. Nur die Besitzerin dieser Immobilie hat Zugang &bdquo;zum größten Keller der Stadt“. So hatte ein Vorbesitzer der Immobilie mal &bdquo;seinen Stollen“ bezeichnet. Immerhin 1.100 Quadratmeter groß. Kleine weiße Tropfsteine wachsen von der Tunneldecke Dass sie die Lokalredaktion zu einem Tunnelspaziergang einladen kann, liegt trotz des Alters der Anlage an ständigen Sicherheitschecks. &bdquo;Einmal im Jahr kommt ein Expertenteam, um die Statik zu überprüfen“, berichtet sie. Immer wieder würden die Kontrolleure dann Teile der Backsteinwände öffnen, um deren Zustand zu kontrollieren. Von der Decke wachsen an mehreren Stellen kleine, weiße Tropfsteine (Stalaktiten). &bdquo;Das sind Sinter“, erklärt die Eigentümerin. Das sind mineralische Ablagerungen (oft Kalk), die in feuchten Stollen auch Höhlensinter genannt werden. &bdquo;Die Experten befürchten hier eine zu starke Versinterung.“ Große Teile der Backsteinwände und Hohlräume sind inzwischen mit Beton verfüllt worden. 1977 war ein Teil des Tunnels eingebrochen. Sogar von einem offenen Tagbruch war in den Zeitungen zu lesen. Es bestand die Gefahr, dass spielende Kinder hineinklettern könnten. Deshalb eilten Bergbau-Experten nach Bielefeld, um oben von der Promenade große Mengen Zement und Filterasche als Gemisch durch mehrere Löcher neben im Spazierweg in das Berginnere zu pumpen. Außerdem wurden zusätzliche Stahlträger eingebaut. Die Aktion war so eilig, dass selbst die Stadt von den Arbeiten keinen Schimmer hatte. Zusammenhang zu mysteriösem Wasserfluß? Feucht, aber nicht vollgelaufen Kalt ist es in dem Tunnel übrigens nicht: Während draußen rund um den Gefrierpunkt der Winter Einzug gehalten hat, herrscht im Luftschutztunnel in 13 Metern Tiefe eine konstante Temperatur von 12 Grad Celsius. 1982 brachen große Mengen Wasser in das Innere der Gänge ein. Das überforderte Entwässerungssystem musste durch zusätzlich Rohre im Berg ergänzt werden, die das klare, saubere Wasser seitdem direkt ans städtische Abwassernetz abgeben. Damit ist eine wichtige Frage geklärt: Auf der Suche nach der Ursache für einen mysteriösen Wasserfluss, der seit Monaten unten an der Detmolder Straße (Höhe Klusstraße) aus dem Hang tritt, meldete sich ein Leser und erwähnte den Stollen, der möglicherweise vollgelaufen sein könnte. Die These, dass sich im Stollen ein unterirdischer See gebildet haben könnte, ist mit dem Besuch vom Tisch. Er liegt deutlich weiter westlich und das Wasser, das hier und da aus den Wänden rinnt, wird über eine Drainage abgeleitet. Zeitzeugen berichten aber auch, dass der Stollen unter der Promenade früher noch viel länger war und in Richtung Brands Busch weiterging. Mehrere Bielefelder Luftschutzstollen entstanden in den letzten Kriegsjahren Der Stollen unter der Promenade ist übrigens nicht der einzige, der während des Weltkriegs in Bielefeld entstand. Ein zweiter soll zwischen Gadderbaumer Straße und am Sparrenberg in den Berg getrieben worden sein – für 1.800 Personen. Das berichten Stadthistoriker 1995 in den Ravensberger Blättern. Später wurde bei Sanierungsarbeiten unterhalb der Sparrenburg ein Hohlraum mit einem Metallbett gefunden. Auch ist ein ähnlicher Stollen im Zionsberg in Bethel bekannt, der damals zum Schutz der Patienten gegraben wurde – für 2.000 Menschen. Darüber hinaus berichten Zeitzeugen von noch weiteren unterirdischen Schutzanlagen etwa in Sudbrack zwischen Tonkuhle und dem heutigen Verkehrsübungsplatz, am Quellenhofweg sowie an der Wilhelm-Raabe-Straße. Nach dem Krieg war es nicht einfach, die zahlreichen, in aller Eile gegrabenen Stollen aufzunehmen und in behördliche Hand zu geben – ganz im Gegenteil zu den gut erkennbaren oberirdischen Betonbunkern. Der BimA sind in Bielefeld keine weiteren Luftschutzstollen bekannt. Es ist also davon auszugehen, dass ein großer Teil der Stollen gefüllt und geschlossen oder schlicht vergessen wurden. Als Schutz vor Atombomben gilt der Stollen als ungeeignet In der Zeit des Kalten Krieges kamen all diese Anlagen wieder ins Gespräch, weil Zivilschutzexperten nach Schutz für den nuklearen Ernstfall suchten. Der Stollen im Musikerviertel, der auf 1.100 Quadratmetern 3.000 Personen Schutz bieten sollte, wurde damals sofort als Option für die Bielefelder ausgeschlossen. &bdquo;Zu feucht ist der Fels aus kluftigem Sandstein mit Ton- und Lehmeinlagerungen“, sagte der damalige Zivilschutzdezernent Karl-Heinz Osterholt 1983. Und zu teuer seien Instandhaltung und Unterhalt. Letztlich hält nun der Staat den Tunnel instand. &bdquo;Für mich hat der Tunnel keine Vorteile“, sagt die Hüterin des Zugangs. &bdquo;Die Geräte, die ich dort abgestellt hatte, waren wegen der Feuchtigkeit nach einem Jahr alle verrostet. Von einer Pilzzucht hat man mir abgeraten.“ Die Behörde wollte vermeiden, dass Pilze die Wände befallen und damit schädigen könnten. &bdquo;Bleibt eigentlich nur die Möglichkeit für einen Weinkeller. Aber ich will ja nicht jedes Mal einen Spaziergang in den Berg unternehmen, wenn ich eine Flasche Wein trinken möchte.

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