Bielefeld. Vor einigen Jahren war der Weißstorch in Deutschland nahezu ausgestorben. Inzwischen brüten mancherorts wieder ganze Kolonien. Auch im Bielefelder Tierpark Olderdissen, mitten im Teutoburger Wald gelegen, bietet sich den eleganten Vögeln ein optimaler Lebensraum für die Aufzucht ihrer Jungstörche, nebst traumhafter Natur mit Wiesen, Feldern und hügeligen Mischwaldgebieten. „Seit einigen Jahren sind die Tiere auch wieder bei uns ansässig,“ sagt Tierparkleiter Herbert Linnemann.
Auf der Scheune gegenüber vom Meierhof und am Bärengehege finden die Vögel hoch gelegene Nestbaumöglichkeiten vor, die dankbar angenommen werden. Wer jedoch am benachbarten Parkplatz des Johannisberges aus dem Auto steigt oder zum Abendspaziergang seine Runde dreht, trifft unweigerlich auf „Frau Meier“. Die Weißstörchin hat den Park nahe der Dornberger Straße zu ihrer neuen Heimat auserkoren und das Verkehrsschild zu ihrem Horst erklärt. Sehr zum Erstaunen Vorbeiziehender, die ihren Augen nicht trauen und die Handykamera zücken, um die ungewöhnliche Erscheinung fotografisch festzuhalten.
Unbeeindruckt von passierenden Hundehalterinnen und Hundehaltern, joggenden Menschen und spielenden Kindern verweilt die Storchendame grazil und mit einer vornehmen Eleganz auf dem blechernen Eigenheim. Selbst vorbeifahrende Caravans, die den nahe gelegenen Wohnmobilstellplatz ansteuern, bringen „Frau Meier“ nicht aus der Ruhe.
„Nicht ungewöhnlich,“ sagt Linnemann, „Störche gewöhnen sich schnell an den Menschen, insbesondere wenn sie gefüttert werden.“ Jeden Morgen versorgen Tierpflegerinnen und Tierpfleger aus Olderdissen den zahmen Vogel mit frischem Wasser und Futter. Bereitgestellt in zwei Eimern, um sicher zu stellen, dass Krähen und andere Räuber erfolglos bleiben. Es sei in der Geschichte des Tierparks in der Form noch nicht vorgekommen, dass Tiere außerhalb der Anlage versorgt würden. Diese besondere Form der Tierpflege habe jedoch einen besonderen Grund.
Früher gab es ein Nest in Olderdissen
Im vergangenen Frühjahr kam es beim Nestbau auf der Bärenanlage „auf Olderdissen“ zu einer, heute nicht mehr genau rekonstruierbaren, Rangelei zwischen mehreren Störchen. Frau Meier, die man damals noch für einen männlichen Storch gehalten hat und später zunächst „Herr Meier“ getauft wurde, zog sich eine so schwere Prellung am Flügel zu, die das Fliegen unmöglich machte. (Die NW berichtete.) Bis in die überregionale Presse schaffte es vor einem Jahr „Bielefelds berühmtester Storch“ (NW). So titelte die „Zeit“ vergangenen Sommer: „Bielefeld in Sorge um Storch namens Herr Meier.
Es folgte eine Umsiedlung des imposanten Tieres an den Johannisberg und eine regelmäßige Zufütterung zur Stärkung und Genesung, in der Hoffnung, dass der Vogel bald wieder flugfähig sei. Zum Herbst war klar: Herr Meier ist in Wirklichkeit ein weibliches Tier und weite Strecken würde die Storchendame nicht zurücklegen können. Also überwinterte sie, inklusive Frühstücks Vollverpflegung auf dem Bielefelder Johannisberg.
Etwa 15 Eintagsküken verspeist Frau Meier täglich, und zwar ausschließlich. „Sie nimmt nichts anderes an,“ sagt Linnemann und vermutet, dass wohlmeinende Anwohnerinnen und Anwohner die Störchin über den Winter zusätzlich zur offiziellen Fütterung mit leckeren Innereien versorgt haben und sie daher kein anderes Futter annimmt, als eben die Küken. Das sei zwar gut gemeint, aber wenig hilfreich, da es „für uns ein Indiz ist, dass Frau Meier gesund ist, wenn sie ihre Tagesration gefressen hat.“ Fräße sie nicht, könne es daran liegen, dass jemand sie gefüttert habe, oder eben, dass sie krank sei. Sein eindringlicher Appell an Wohlmeinende: „Der Storch ist versorgt, bitte füttern sie ihn nicht.“
Warum der ganze Aufwand um einen Vogel, der nicht einmal im Tierpark beheimatet ist? „Sie war eine unserer ersten Störche, die mit ihrem Partner unser Nistangebot vor vielen Jahren angenommen hat und immer wieder gekehrt ist. Daher steht uns Frau Meier als Storch so nahe, dass wir uns in einer gewissen Verantwortung sehen, den Vogel zu versorgen.“