Lage der Wohnungslosen in Bielefeld wird immer besorgniserregender

Bielefeld. Sie kauern auf Plastikplanen, schieben ihren Besitz in Einkaufswagen umher oder haben sich unter Brücken notdürftig eingerichtet. Wer durch Bielefelds Innenstadt geht, sieht viele Menschen, die auf der Straße leben. Das ist auch Andreas Kämper, ehemaliger Mitarbeiter im Sozialdezernat der Stadt, aufgefallen. Er ist alarmiert – vor allem weil er gerade von einer Reise aus den USA zurückgekehrt ist. Dort sei das Problem längst außer Kontrolle geraten, sagt er. Überall habe er Obdachlose gesehen, die in erbärmlichen Zuständen auf den Straßen campieren. &bdquo;So weit darf es hier nicht kommen“, appelliert er in einer neuen Folge der NW-Gesprächsreihe &bdquo;Bielefeld im Fokus“. Der 70-Jährige warnt, dass Wohnungsknappheit bei gleichzeitiger Mietpreissteigerung auch in Bielefeld Menschen in prekären Lagen schnell in die Wohnungslosigkeit katapultieren kann. Andreas Kämper hat sich während seines Berufslebens lange um Menschen gekümmert, die in Bielefeld auf der Straße leben. Dass der Absturz ganz schnell gehen kann, hat er oft erlebt. Deshalb weiß er, wie wichtig die Arbeit der Fachstelle für Wohnungserhalt im Sozialamt ist. &bdquo;Man kann gar nicht oft genug betonen, was die Mitarbeiter dort leisten.“ Die Fachstelle ist jährlich mit knapp 1.000 Fällen befasst, in denen es um Schulden, Mahnungen, Kündigungen und im schlimmsten Fall zuletzt um Zwangsräumungen geht. In den weitaus meisten Fällen gelingt aber der Wohnungserhalt in Zusammenarbeit mit der Schuldnerberatung, Quartiersozialarbeit oder Beratungsstellen. Oft mit Hilfe von Ratenzahlungen oder Mietdarlehen. Diese vergibt die Stadt jährlich im fünf- bis sechsstelligen Bereich. Aktuell gibt es 350 wohnungslose Menschen in Bielefeld Gleichwohl sind ist die Zahl wohnungsloser Menschen in der Stadt in den vergangenen Jahren spürbar gestiegen und das Durchschnittsalter gesunken. Im Jahr 2017 waren es 168 Wohnungslose, zwei Jahre später bereits 297. Aktuell sind es laut Stadt 350 Bielefeleder Personen. Als &bdquo;wohnungslos“ gelten nicht nur Menschen, die obdachlos sind und unter freiem Himmel nächtigen. Verdeckte Wohnungslosigkeit ist häufig der erste Weg, den Menschen gehen, die ihre Wohnung verloren haben – sie fragen Freunde, Verwandte oder Bekannte, ob sie bei ihnen übernachten können. &bdquo;Das sind Menschen, die in höchster Not nicht wissen, wo sie übernachten sollen, und vermeiden wollen, auf der Straße schlafen zu müssen“, sagt Kämper. Sozialdezernent Ingo Nürnberger sucht dringend eine zusätzliche Unterkunft für Wohnungslose In den meisten Fällen hat das Amtsgericht im Vorfeld eine Zwangsräumung anberaumt. 2022 geschah das in Bielefeld 208 mal. Die Mieter sind danach in 134 Fällen auch wohnungslos geworden. Die meisten kommen bei Freunden unter oder suchen sich eine städtische Unterkunft zur Unterbringung Wohnungsloser. Doch auch hier wird es zunehmend enger. Sozialdezernent Ingo Nürnberger sucht händeringend nach einer zusätzlichen Unterkunft für den steigenden Bedarf. Die Wohnungen sollten möglichst in der Innenstadt sein, damit sie einfach erreichbar sind und Menschen sie nutzen statt auf der Straße zu leben. Doch das Angebot sei mehr als überschaubar, sagt Nürnberger. Andreas Kämper findet, dass die Fachstellen gute Arbeit leisten – vor allem, wenn die Wohnungslosigkeit durch frühzeitige Hilfen verhindert werden kann. Er fordert aber alle auf, das Thema stärker öffentlich anzusprechen. &bdquo;Wir brauchen in der Gesellschaft ein stärkeres Bewusstsein über das Problem Obdachlosigkeit. &bdquo;Eine Wohnung ist nicht alles, aber ohne Wohnung ist alles nichts“, sagt er. Wenn die Fachstelle im Sozialamt rechtzeitig erfährt, dass jemand seine Wohnung verliert, kann sie eingreifen. &bdquo;Mit Geld ist das meistens zu verhindern, denn es geht oft um Mietschulden.“ Kämper ist Soziologe. Vor seinem Studium in Bielefeld hat er in den 80er Jahren seinen Zivildienst in den USA gemacht. In Baltimore hat er für ein Programm gearbeitet, das Obdachlose von der Straße holen sollte. Danach machte er mit dem selben Anliegen in Bielefeld weiter. Es beunruhigt ihn, dass das Problem heute deutlich größer ist als damals. Das liege am überstrapazierten Wohnungsmarkt, steigenden Lebenserhaltungskosten, schlecht bezahlten Jobs. &bdquo;In den USA sind die Hilfesysteme kollabiert, wir müssen alles dafür tun, dass das nicht bei uns passiert.“

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