Kirchenaustritt: Bielefelder muss Monate auf Termin warten

Bielefeld. Missbrauchsfälle, Kirchensteuer oder einfach nichts mehr mit Gott am Hut: Es gibt viele Gründe, aus der Kirche auszutreten. Auch der Bielefelder Kaufmann Dirk Brinkmann (57) möchte nicht mehr länger Mitglied der Kirche sein. &bdquo;Ich zahle jeden Monat viel Geld an die Kirche“, sagt er. &bdquo;Gehe aber nur alle zwei Jahre an Weihnachten hin.“ Er habe abgeschlossen mit der Kirche, will das Geld, das er nach seinem Austritt spare, lieber seinen Kindern geben. &bdquo;Ich möchte da raus“, sagt er. Doch so einfach ist das nicht. Das Kirchenaustrittsgesetz des Landes schreibt &bdquo;wegen der Bedeutung der Erklärung“ eine besondere Form vor. Heißt: Die Katholische oder Evangelische Kirche per Mausklick zu verlassen, ist nicht möglich, ein Kirchenaustritt ist weiterhin ein analoger Akt. Wer raus will, muss einen Termin beim Amtsgericht machen und anschließend dort persönlich erscheinen, samt Reisepass oder Personalausweis. &bdquo;Es dauert aber Ewigkeiten, bis ich einen Termin bekomme“, sagt Dirk Brinkmann. Das ärgert ihn. &bdquo;Meine Steuererklärung kann ich schließlich auch online einreichen.“ Mehrere Anläufe habe er schon unternommen, einen Termin beim Amtsgericht zu bekommen, erzählt er. &bdquo;Am 10. Juli habe ich online einen Termin angefragt und die Info bekommen, dass erst wieder am 1. August um 7 Uhr Termine für Oktober vergeben werden.“ Unverständlich für ihn. Denn das bedeute noch nicht, dass er auch einen Termin bekomme. &bdquo;Ich muss mich auf die Lauer legen“, sagt er. &bdquo;Es wird einem richtig schwer gemacht, aus der Kirche auszutreten.“ Hauptursache ist gestiegene Anzahl der Kirchenaustritte Laut Lars Herzog, Sprecher des Amtsgerichts Bielefeld, gibt es in der Urlaubszeit gerade etwas weniger Termine als sonst. Die Hauptursache für die lange Wartezeit sei aber die seit Jahren gestiegene Anzahl der Kirchenaustritte. Deutschlandweit haben 2022 522.821 Menschen die Kirche verlassen (2021: 359.338). Damit sind sowohl 2021 als auch 2022 Rekordjahre für Kirchenabgänger. Und auch in Bielefeld sind die Zahlen auf einem hohen Niveau: So gab es hier laut Herzog 2020 1.870 Kirchenaustritte, 2021 2.613 und 2022 3.831. &bdquo;Wir haben noch keine Kölner Verhältnisse hier, aber die Zahl hat deutlich zugenommen.“ Seit September 2021 sind Termine für einen Kirchenaustritt beim Amtsgericht Bielefeld nur noch über ein Online-Portal zu buchen. Das wollte auch Brinkmann machen, aber spontan geht’s gerade nicht. &bdquo;Wir geben alles, aber brauchen auch Vorlauf“, sagt Herzog weiter. Wer auf keinen Fall mehr warten könne, der habe aber noch eine Alternative: Denn auch Notare können den Austritt beurkunden. Das könnte aber etwas teurer werden: Beim Amtsgericht kostet es 30 Euro, aus der Kirche auszutreten, beim Notar muss man tiefer in die Tasche greifen. In der Behörde zahlt man allerdings nicht für den Austritt selbst, sondern für den behördlichen Verwaltungsaufwand. Mit Ablauf des Tages, an dem man den Austritt unterzeichnet hat, ist man kein Mitglied der Kirche mehr. Die Befreiung von der Kirchensteuerpflicht tritt dann mit dem Ende des laufenden Monats des Austritts in Kraft. Das Amtsgericht teilt den Austritt der entsprechenden Religionsgemeinschaft und der Meldebehörde mit. Die Meldebehörde wiederum informiert das zuständige Finanzamt über den Kirchenaustritt, damit dieses die elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale ändert. Der Arbeitgeber wird automatisch informiert. So reagiert die Kirche Der Kirche rennen die Mitglieder weg. Das lässt auch Christian Bald nicht kalt. &bdquo;Durchaus mit Betroffenheit und Sorge haben wir die zuletzt veröffentlichten Zahlen der Kirchenaustritte im Bereich der evangelischen wie der Katholischen Kirche in Deutschland zur Kenntnis genommen“, sagt der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Bielefeld. &bdquo;Die großen Volkskirchen werden kleiner, ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung in der Bundesrepublik ist in diesem Jahr erstmals unter die 50-Prozent-Marke gerutscht.“ Die Gründe für die weiter schwindenden Zahlen an Gemeindemitgliedern seien vielfältig. &bdquo;Neben Kirchenaustritten spielt auch ein deutlicher Überhang an Bestattungen gegenüber Taufen eine wesentliche Rolle“, erklärt Bald. Bei den meisten Austrittswilligen würde, wie bei Dirk Brinkmann, der Wunsch, die Kirchensteuer zu sparen, im Vordergrund stehen. Christian Bald ist sich sicher, dass sich das Bild der Kirche in unserer Gesellschaft perspektivisch verändern wird. &bdquo;Darauf stellen wir uns ein.“ Nicht zuletzt auch aus diesem Grund habe die Kreissynode Bielefeld auf ihrer Tagung im Juni eine neue Konzeption verabschiedet. &bdquo;Wir wollen und werden Kooperationen entwickeln und stärken, nicht nur innerkirchlich“, sagt er. Ihm sei daran gelegen, über Strategien der Vernetzung einen Beitrag zu einem guten Miteinander in der Stadtgesellschaft zu leisten. &bdquo;Mit unseren diakonischen Angeboten, mit qualitativ hochwertiger Arbeit in den Kindertageseinrichtungen, mit vielfältigen Gottesdienstformaten und mit zum Teil spezialisierter Seelsorge werden wir auch in Zukunft für die Menschen da sein.“ 13 Milliarden Euro Steuern eingenommen Die Katholische (6,8) und die Evangelische Kirche (6,1) haben 2022 zusammen mehr als 13 Milliarden Euro Steuern eingenommen. Das zeigen die aktuellsten Zahlen der Evangelischen Kirche in Deutschland. &bdquo;Die Kirche ist eine sehr reiche Institution“, sagt Dirk Brinkmann. &bdquo;Das will ich nicht weiter unterstützen.“ Er will es jetzt am 1. August mit einem Termin versuchen. Einen Grund muss übrigens niemand angeben, der aus der Kirche austreten möchte. Und auch nicht zum Rapport beim Pfarrer der Heimatgemeinde, das sind lediglich Gerüchte, die immer wieder aufkeimen. Ein Zurück gibt es auch immer: Wer aus der Kirche ausgetreten ist, kann auch wieder eintreten. Die Evangelische Kirche unterhält im Nicolaihaus in der Altstadt sogar eine Kircheneintrittsstelle.

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