"Dramatisch": Universität Bielefeld bildet viel zu wenig Lehrerinnen und Lehrer aus

Bielefeld. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen werden die Lehrerinnen und Lehrer knapp. Dass das erst der Anfang ist, zeigt ein Blick an die Universität Bielefeld. Hier kämpft man schon heute gegen den noch größeren Lehrermangel von morgen. Denn in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (kurz MINT) fehlen in alarmierender Zahl Studentinnen und Studenten fürs Lehramt. Die Entwicklung sei dramatisch, sagt Professor Walter Pfeiffer. Er und seine Kollegen gehen jetzt neue Wege. Die Zahl der Studierenden an der Uni Bielefeld ist im vergangenen Jahrzehnt fast stetig gestiegen, auch in den MINT-Fächern. Das teilt die Uni auf Anfrage mit. Der Anteil von MINT-Studierenden an der Gesamtzahl lag zudem über die Jahre konstant bei rund 23 Prozent. Doch das reicht bei Weitem nicht mehr. Es fehlt vor allem der Lehrkräfte-Nachwuchs. &bdquo;Wir haben heute in allen naturwissenschaftlich-technischen Fächern eine Unterdeckung im Lehramt. Wir bilden nicht ausreichend aus“, sagt Pfeiffer, Prodekan an der Fakultät für Physik. Er erklärt, die desaströsen Folgen für die Gesellschaft. &bdquo;Um Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu finden, wie zum Beispiel den Klimawandel, benötigen wir vor allem technisches und naturwissenschaftliches Know-how. Das müssen wir nach außen transportieren und Interesse an den MINT-Fächern wecken. Das wird nur über die Schulen funktionieren.“ Heißt: Ein Lehrermangel verschärft den Fachkräftemangel weiter. In zwei Fächern gibt es die größten Nachwuchssorgen an der Universität Bielefeld Mathematik, Biologie und der Sachunterricht an Grundschulen stehen dabei mit den meisten MINT-Studienanfängern im Studienjahr 2022 noch recht gut da: 139 starteten ins Lehramt Biologie, 120 wollen in Zukunft Mathematik unterrichten, teilt die Universität auf Anfrage mit. Besonders dunkel sieht es dagegen in den Lehramtsfächern Chemie (mit gerade einmal 20 Anfängerinnen und Anfängern) und Physik (27) aus. &bdquo;Die Physik hat ein großes Problem mit der Außenwahrnehmung“, weiß Pfeiffer. Insgesamt sei hier die Studierendenzahl leicht abnehmend und bilde in keiner Weise den tatsächlichen Bedarf an Fachkräften ab. Die Gründe? Die Naturwissenschaft, die Gesetzmäßigkeiten und Wechselwirkungen in der Natur untersucht, werde leider auf wenige populäre Themen reduziert oder fälschlicherweise als Wissenschaft des letzten Jahrhunderts abgetan. &bdquo;Dabei steckt in jeder Alltagsanwendung eine Menge Physik.“ Einen technischen Praxisbezug herzustellen, sei zudem in der MINT-Ausbildung schwieriger geworden, erklärt der Physiker. &bdquo;Ich kann für unsere Fakultät sagen, dass es da einen großen Nachholbedarf gibt. Früher haben wir in der Schule ein Transistorradio gebastelt, heute haben die Kinder Smartphones in der Tasche. Unsere moderne Technik ist nicht mehr im wörtlichen Sinne begreifbar.“ Schwierige MINT-Fächer? Neue Orientierungsangebote an der Uni Bielefeld sollen bei der Studienwahl unterstützen und Ängste abbauen Das noch neue Informatik-Lehramt stehe vor dem zusätzlichen Problem, dass es an vielen Universitäten noch gar keine entsprechende Lehramtsausbildung gebe, obwohl der Bedarf groß sei. Auch die Universität Bielefeld hat hier noch eine Angebotslücke. Im Kampf um die Fach- und Lehrkräfte von morgen ziehen die fünf MINT-Fakultäten jetzt an einem Strang. Fakultätsübergreifend entstand so zuletzt die Idee zum &bdquo;MINT-Sommer“, einem Orientierungsangebot für angehende Studierende sowie Schülerinnen und Schüler der Oberstufen. Sie konnten im Juni und Juli 2023 erstmals bei einem zweiwöchigen Blockprogramm in alle MINT-Fächer reinschnuppern, einen Blick in Labore werfen und erste Vorlesungen erleben. 130 Anmeldungen gingen ein, rund 90 Interessierte machten letztendlich mit. Für den ersten Durchlauf sei das gut, meint Pfeiffer, der das neue Angebot mit verantwortet hat. &bdquo;Es hat uns überrascht, wie groß der Einzugsbereich ist: Das reichte von Bad Bentheim, bis nach Dortmund und Hannover.“ Es soll eine Wiederholung geben. Gibt es in Bielefeld bald ein Orientierungsstudium für die Naturwissenschaften? Und die MINT-Fakultäten gehen noch mehr neue Wege: Mathematische Vorkurse sind ins Studium integriert worden, um Studienanfänger gut abzuholen. Zudem sei der Onlineauftritt für die Studiengangsinformationen der MINT-Fächer an der Uni Bielefeld gerade erst anlässlich des MINT-Sommers überarbeitet worden, erzählt Pfeiffer. Hier gibt es jetzt auch Videos mit Erfahrungsberichten von Studenten. Langfristig gebe es auch Überlegungen zu einem MINT-Orientierungsstudium, verrät der Professor. Die Idee: Studierende absolvieren erst ein bis zwei Semester Generalstudium, bevor sie sich für ein Fach entscheiden. &bdquo;Wir sind da auf dem Weg“, sagt Pfeiffer. An Unis in Berlin, München, Hannover gibt es das bereits.

Meistgelesen