Rot-Grün-Rot mag nicht mehr streiten: Neue Kompromissbereitschaft im Bielefelder Rathaus

Dass sich der Autoverkehr in Bielefeld bis 2030 um die Hälfte reduziert, ist genauso unrealistisch, wie dass die Stadt fünf Jahre später klimaneutral ist. Mit solchen Ratsbeschlüssen ist in der Vergangenheit vor allem die Klientel der rot-grün-roten Rathauskoalition besänftigt worden. Den Faktencheck bestehen sie nicht, obwohl es angesichts der Klimakrise mehr als wünschenswert wäre. Auch das Hickhack um Robert Habecks Heizungsgesetz hat gezeigt, dass es nicht reicht, sich nur in der eigenen Echokammer aufzuhalten. Wer das tut, spaltet und nimmt die Menschen nicht mit. Rückzieher beim Anwohnerparken Doch in Bielefelds Rathauskoalition aus SPD, Grünen und Linken scheint ein Umdenken eingesetzt zu haben. Vor allem die Sozialdemokraten schwenken auf einen pragmatischeren Kurs ein. Der Park-Hammer mit einer jährlichen Gebühr von 360 Euro scheint vom Tisch. Eine Verdoppelung von jetzt 30 auf 60 Euro fürs Anwohnerparken lässt vielleicht nicht grüne Puristen jubeln, ist aber eher vermittelbar. Eine Verzwölffachung der Gebühr würde dagegen vor allem wieder die Durchschnittsverdiener treffen. Wer viel Geld hat, hat meistens auch eine eigene Garage und muss sein Fahrzeug nicht unter der Straßenlaterne abstellen. Auch bei anderen wichtigen Verkehrsprojekten stehen die Zeichen inzwischen eher auf Kompromiss statt auf Konfrontation. Die Bike Lane auf der Artur-Ladebeck-Straße wird jetzt zwar nicht &bdquo;protected“, also geschützt, ausfallen und nicht auf voller Länger verwirklicht, aber sie wird den Radlern auf einem guten Stück der Wegstrecke viel mehr Platz bieten. Der Abschnitt südlich des Adenauerplatzes mit seiner hohen Verkehrsdichte bleibt dafür vierspurig. Selbst die Industrie- und Handelskammer kann damit leben. Der grüne Verkehrsdezernent Martin Adamski hat angekündigt, dass sich die Stadt weder gegen den Bau der Ortsumgehung Ummeln stemmen wird noch gegen den Ausbau der Herforder Straße in Brake – wenn bei diesen Vorhaben gleichzeitig die Radschnellwegverbindung von Gütersloh über Bielefeld nach Herford nicht vergessen wird. Damit könnten zwei über Jahre höchst umstrittene Projekte doch noch im Einvernehmen realisiert werden. Im Fall der Herforder Straße geht das auch gar nicht anders. Der Bau der L712n, die auf ihr münden soll, hat schon begonnen. Beim Altstadt-Raum, dem Vorhaben, bei dem der Altstadt eine neue Aufenthaltsqualität beschert werden soll, wurden zuletzt geschickt möglichst viele Interessenvertreter eingebunden. Ein zweites Mal wird das Projekt wohl nicht versemmelt, wie 2021, als die Waldhof-Sperrung für einen Aufruhr sorgte. Im Fall der Fahrradstraße Ehlentruper Weg tun die Koalitionäre gut daran, auf den neuen Bezirksbürgermeister im Stadtbezirk Mitte, Frederik Suchla (SPD), zu hören. Der rät dazu, auf der Radroute vielleicht doch noch den ein oder anderen Autoparkplatz zusätzlich zu belassen. Das besänftigt die Gemüter, ist die Radverbindung in den Bielefelder Osten eigentlich doch eine gute Sache. Wird hier der Ausgleich geschafft, lassen sich auch die nächsten Projekte wie die Fahrradstraße in Richtung Uni leichter realisieren. Manchmal funktioniert Veränderung in kleinen Schritten eben besser. Und dass Veränderung in den Bereichen Verkehr und Klimaschutz unerlässlich ist, bezweifelt niemand mehr. Schon den Wahltag im Blick Die neue Konzilianz der Rathauskoalition hat vielleicht aber auch einen ganz anderen Grund. Genaugenommen hat sie jetzt noch ein Jahr lang Zeit, in der Öffentlichkeit umstrittene Vorhaben anzugehen. Das ist im Rathaus-Geschäft eine verdammt kurze Zeitspanne. Spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2024 werden die Parteien schon wieder in den Vorwahlmodus schalten, denn 2025 stehen Bundestags- und Kommunalwahl an. Bittere Pillen will den Wählerinnen und Wählern mit dem Wahltermin am Horizont niemand mehr verabreichen. Wie denken Sie darüber? Ich freue mich auf Ihre Meinung unter michael.schlaeger@nw.de

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