Sogar die Szene selbst hat inzwischen Angst an der Bielefelder "Tüte"

Bielefeld. &bdquo;Die Fetten sind doch schon längst alle weg“, sagt Olli und verdreht die Augen. Auf einem alten Herrenrad fuhr er vorbei, begrüßte seinen Freund Atze und fragte ihn, was denn da los sei. Denn an der &bdquo;Tüte“ war einiges los: Am Dienstagnachmittag hatte das Polizeipräsidium Bielefeld fast schon turnusmäßig eine Razzia an dem zentralen Treffpunkt der Drogenszene angesetzt. Rund 20 Beamte der Einsatzhundertschaft unterstützt von einigen Mitarbeitern des Ordnungsamtes hatten die Besucher erst eingekreist und anschließend vereinzelt zur Personenkontrolle gebeten. Einer der ersten, der seinen Personalausweis zeigen und dann wieder seines Weges ziehen konnte, heißt Atze. Der Mann mit der karierten Schiebermütze nimmt es gelassen, kennt die Prozedur schon und zeigt sogar ein wenig Verständnis für den Auftritt der Polizei. Denn auch er sorge sich wegen zunehmender Gewalt und Aggressivität in der Szene. Besonders am Abend gehe es häufig richtig zur Sache, doch dann sei keine Polizei präsent. Die fast täglichen Polizeimeldungen bestätigen seinen Eindruck: Am Montag war die Rede von einem gescheiterten Raub auf dem Bahnhofsvorplatz, bei dem der angegriffene Mann noch mit einer abgebrochenen Bierflasche traktiert wurde. Einen Tag später berichtet die Polizei von dem Überfall auf ein Ehepaar. Beim Verlassen der Rolltreppe hatte ein Unbekannter versucht, dem Mann eine Handtasche zu entreißen – der aber setzte sich erfolgreich zur Wehr. Weil der zentrale Ort in der öffentlichen Wahrnehmung bereits als Synonym für Kriminalität gilt, hatte Bielefelds Polizeipräsidentin bereits kurz nach Amtsantritt von einer erhöhten Präsenz der Polizei gesprochen. Forderung nach einer mobilen Wache &bdquo;Warum machen sie hier keine mobile Wache auf?“, fragt Atze. Das würde nicht nur das subjektive Sicherheitsgefühl der einzelnen verbessern, sondern die Gesamtsituation für alle Beteiligten. Denn auch innerhalb der Szene komme es immer wieder zu Angriffen untereinander, sagt er. Meistens gebe es Streit wegen Alkohol oder anderer Drogen, doch hätten rassistische Anfeindungen massiv zugenommen, was ihn als überzeugten Antifaschisten besonders störe. Wenn er als Bielefelder zur Tüte fahre, dann um Bekannte zu treffen. Wie an diesem Dienstag, als plötzlich von allen Seiten uniformierte Beamte die illustre Gesellschaft umzingelten zwecks Kontrollen. &bdquo;Wir haben 45 Personen kontrolliert“, lautet die Bilanz von Polizeisprecherin Hella Christoph nach dem Ende des Einsatzes. Während es bei dem Gros der Überprüften beim Check der Ausweispapiere blieb, gerieten zwei Kandidaten dann doch in die engere Wahl der Beamten, die das Duo entsprechend filzten: Bei einem 19-jährigen Marokkaner sowie einem 30-jährigen Algerier seien Drogen gefunden worden, was jeweils ein Strafverfahren nach sich ziehe, erklärte Christoph. Zudem identifizierten die Beamten noch einen 57-jährigen Bielefelder, gegen den noch zwei Haftbefehle vorlagen. Einer wegen Nötigung und einer wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Da er die Forderung von 7.000 Euro nicht begleichen konnten, sei er jetzt im Gewahrsam der JVA Bielefeld. Diamorphin-Praxen begünstigen Szene Auch wenn das Gesamtergebnis überschaubar ausfiel, diente der Einsatz dem selbst gewählten Behördenschwerpunkt, die Drogenkriminalität in der Innenstadt stärker im Fokus zu haben. Doch Atze und sein Freund Olli, der die Razzia praktischerweise verpasste, haben da so ihre Zweifel ob der Wirksamkeit solcher Maßnahmen, da sich auch diesmal die eigentlichen Dealer rechtzeitig verdrückt hätten. &bdquo;Warum darf die Drogenberatung hier nicht präsent sein?“, fragt Olli und outet sich als ein großer Fan des Drogenhilfezentrums an der Borsigstraße. Dort sei er täglich zu Gast, das sei eine Super-Einrichtung, bloß etwas vom Schuss und allein den Bielefeldern vorbehalten. Wenn demnächst die private wie die städtische Diamorphin-Praxis nahe dem Hauptbahnhof eröffnen, um schwerabhängigen Menschen das synthetische Heroin auf Rezept anzubieten, könnte die Szene sprunghaft wachsen. Da seien Razzien dann auch keine Lösung, sagen die beiden.

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