Sexting, Deepfake und Dickpics: Bielefelder Experten warnen vor Gefahren im Klassen-chat

Bielefeld. Wenn sich Jugendliche gegenseitig sexy Fotos schicken, um mit einem Schwarm zu flirten, die gegenseitige Liebe zu beweisen oder einfach zur Erregung, ist das nicht verboten – solange es einvernehmlich geschieht. Die als &bdquo;Sexting“ bezeichnete neue Form der Intimkommunikation birgt allerdings große Risiken. Kripo-Expertin Bianca Post und Strafverteidiger Jan-Christian Hochmann warnen. Denn schneller als die Kids glauben, sind sie damit straffällig geworden. Sexting und Revenge Porn Bianca Post arbeitet beim Kriminalkommissariat für Prävention und Opferschutz der Polizei Bielefeld. Sie betont, dass intime Bilder auch unter Jugendlichen erlaubt seien. Allerdings sollte man immer bedenken, was mit den Fotos nach einer Trennung passiere. Nicht selten werden solche Fotos später doch noch ohne Zustimmung weitergeleitet: &bdquo;Stichwort: revenge porn“ (engl. für Racheporno zur Verunglimpfung der Ex-Partner). Das ist verboten – einerseits wegen der &bdquo;Verletzung des Rechts am eigenen Bild“ sowie bei Jugendlichen zusätzlich als &bdquo;Verbreitung von Jugendpornografie“. Straftat wider Willen Doch die schwerwiegendste Falle kann bereits zuschnappen, obwohl beide einvernehmlich Nacktfotos austauschen. Immer dann, wenn einer der beiden noch unter 14 Jahren alt ist. Dann handelt es sich bei dem Foto juristisch um Kinderpornografie. Dabei sei unwichtig, wer von beiden das Foto wem geschickt habe, so Post. Rechtsanwalt Jan-Christian Hochmann ist Strafverteidiger und als Lehrbeauftragter der Uni auch in der Juristenausbildung tätig. In einer Sondervorlesung gibt er Psychologie- und Jura-Studierenden auch Einblicke in die Besonderheiten des Sexualstrafrechts: &bdquo;In so einem Fall ist die Lage eindeutig. Immerhin steht im Jugendstrafrecht aber der pädagogische Gedanke im Vordergrund. Deshalb kann so ein Fall eingestellt werden, wenn es freiwillig geschehen ist.“ Aber so ein Fall verursacht Stress, führt zu Rechtsanwaltskosten und kann zum Eintrag ins Erziehungsregister führen. Allein das führe mitunter zu Problemen bei der Suche nach der Lehrstelle. "Ist der Betroffene erwachsen, kommt er nicht am Strafverfahren und einer Mindeststrafe von einem Jahr vorbei." Missbrauch im Klassenchat Hochmann kennt aber vor allem mehrere Fälle, bei denen Kinder und Jugendliche plötzlich juristische Beratung benötigten, obwohl sie nur Teil einer Chatgruppe waren. &bdquo;Dabei geht es um verteilte Sticker, GIFs, Memes oder Fotos.“ Dieser Austausch passiere auf tausenden Schülerhandys jeden Tag. Manche der vermeintlichen Witzmotive zeigten aber reale Gewalt oder kinderpornografische Fotos. &bdquo;Die Kinder erkennen die kriminelle Komponente daran gar nicht, sie machen sich mit Bild und Spruch einfach lustig.“ Datei-Besitz strafbar Das Problem: &bdquo;Wenn mir das jemand zuschickt, habe ich es auf dem Handy. Egal, ob ich es inhaltlich ablehne oder nicht, ist schon der Besitz strafbar.“ Da Messengerdienste wie WhatsApp Dateien oft automatisch runterladen, reicht das für die Strafverfolgung. &bdquo;Der Besitz nur eines Fotos ist theoretisch genauso strafbar wie der Besitz von 7.000 solcher Bilder“, sagt Hochmann. Eine Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit sei nicht mehr möglich, weil Kinderpornografie seit der jüngsten Strafverschärfung im Frühjahr 2021 als Verbrechen gilt. Mindeststrafe: ein Jahr.“ Im Ernstfall sei dann jedes Mitglied der Chatgruppe betroffen, betont Hochmann. Der Ausweg In der Praxis werde von den Gerichten nur eine Reaktion als strafmildernd angesehen: &bdquo;Wenn ich sofort sage: ’Was schickt Ihr denn da für einen Mist?’ und die Gruppe verlasse.“ Dann könnte der User dokumentieren, dass er nie einen Besitzwillen hatte. Strafverfolgung Die Verfolgung solcher Handy-Fotos ist seit der Verschärfung keine Seltenheit mehr, sagt Hochmann. &bdquo;Ich hatte diese Woche erst drei solcher Fälle. Betroffen waren allerdings junge Erwachsene: &bdquo;Die haben alle gefragt: Wie kommen die da jetzt erst drauf? Das Foto hat mir jemand 2019 zugeschickt.“ Meistens handele es sich um Zufallsfunde. Oft hatte die Polizei wegen eines ganz anderen Verfahrens – etwa wegen Drogen – ein Handy sichergestellt: &bdquo;Wenn die Polizei auf einem solchen Handy so ein Foto entdeckt, bekommt jeder in der Chatgruppe ein Strafverfahren. Das darf die Polizei nicht ignorieren.“ Viel mehr Minderjährige Hochmann wundert es unter diesen Voraussetzungen nicht, dass sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die über ihre Smartphones kinder- und jugendpornografische Bilder besessen, geteilt oder verschickt hatten, seit 2018 verzwölffacht hat. &bdquo;Laut Bundeskriminalstatistik sind 41 Prozent der Tatverdächtigen bei der Verbreitung von Kinderpornografie minderjährig“, betont Bianca Post. In einer anderen Auswertung ist sogar von 54 Prozent die Rede. Erklären lasse sich das oft mit Unwissenheit oder die Gewohnheit, eben alles weiterzuleiten, so Post. Auch Eltern gefährdet Dass dieses Phänomen auch Eltern ruckzuck erwischen kann, zeigt ein anderer Fall aus Hochmanns Kanzlei: &bdquo;Aus Sorge, dass ein anderes Kind das Missbrauchsfoto aus dem Chat löschen könnte, dokumentierten Eltern den Chat als Beweis per Screenshot. Damit hatten sie Kinderpornografie gespeichert.“ Die Folge: Auch gegen sie wurde ein Verfahren wegen Besitzes von Kinderpornografie angestrengt – wieder mit einer drohenden Mindeststrafe von einem Jahr. Kritik Hochmann kritisiert den neuen Strafrahmen: &bdquo;Die Politik wollte Missbrauch und Kinderpornografie härter bestrafen. Dagegen ist nichts zu sagen.“ Allerdings habe der Gesetzgeber damit auch die Mindeststrafe von einem Jahr eingeführt. Dies führe dazu, dass sehr oft auch die Falschen verfolgt werden müssen. Die Süddeutsche berichtet von einem Fall, in dem gegen ein Missbrauchsopfer ermittelt wird, weil die Fotos des Täters noch auf dem Handy hat. Selbst im Bundesjustizministerium werde inzwischen überlegt, diese Mindeststrafe wieder zu kippen, heißt es. &bdquo;Die Obergrenze fällt dadurch ja nicht weg“, sagt Hochmann und appelliert, den vorhandenen Strafrahmen zu nutzen. Dickpics Das ungefragte Verschicken von Penisfotos (engl. Dickpics) sei zwar in anonymen Chatgruppen und Partnerbörsen leider gängige Praxis, vor Gericht aber eher selten Thema, sagt Hochmann. Diese Fotos werden relativ selten angezeigt. Laut Kripoexpertin Bianca Post wollten die Täter damit Macht ausüben und Frauen erniedrigen. Manche hofften wirklich, dass sie im Austausch dafür sexy Fotos von Frauen zurückbekommen. &bdquo;Ohne vorherige Zustimmung ist das nicht erlaubt.“ Der Straftatbestand lautet offiziell: &bdquo;Verbreitung pornografischer Schriften“. Porno-Fake Größere Sorgen machen sich Experten vor einem neuen Trend bei den &bdquo;Deepfakes“: die Veränderung von Pornobildern und -videos mit den Gesichtern anderer Personen. Unter dem Einsatz künstlicher Intelligenz könnte es künftig viel leichter werden, Gesicht und Stimme der Klassenkameradin in ein Sexvideo einzubinden. Bisher seien aber auch Deepfakes noch kein großes Thema am Gericht, so Hochmann. Strafrechtlich handelt es sich mindestens um eine Verletzung am Recht des eigenen Bildes, womöglich komme aber noch Beleidigung hinzu. Für die Betroffenen sind solche Montagen und Fakevideos oft sehr belastend. Zum Thema: Projekt Klicksafe über "Sexting" und "Was tun, wenn es schief geht?" ZDF über Minderjährige im Trend beim Thema Kinderpornographie Bielefelderin wehrt sich gegen Dickpics

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