Im Vollrausch: Drogenabhängige im Parkhaus versetzen Bielefelder in Angst

Bielefeld. Dass zwischen der sogenannten Tüte am Hauptbahnhof und der Stadthalle der zentrale Treffpunkt der Drogenszene liegt, ist den Bielefeldern bekannt. Wer den Bereich zwischen Herbert-Hinndendahl- und Nahariyastraße meiden kann, tut das deswegen auch. Aber wie fühlen sich die Menschen, die genau dorthin müssen? Eine Familie berichtet von ihrer Angst im Parkhaus und ihrer Hoffnung auf Besserung. &bdquo;Seit einigen Monaten leben wir autofrei und nutzen das Car-Sharing-Angebot von Cambio“, berichtet der Vater. Weil die Familie hinterm Ostmannturmviertel wohnt, ist der für sie nächstgelegene Stellplatz für die Cambio-Fahrzeuge das &bdquo;Parkhaus Stadthalle“ an der Nahariyastraße. &bdquo;Allerdings wurden wir in den letzten Wochen und Monaten zunehmend abgeschreckt“. Die Angst vor unberechenbaren Reaktionen von Drogenabhängigen oder von Überfällen durch Konsumenten nahm immer weiter zu: Denn ausgerechnet dort, wo die Parkhauskunden ihre Ticktets bezahlen müssen oder Cambio-Nutzer nach der Fahrt die Autoschlüssel in den Tresor werfen, liegen Drogenabhängige im Vollrausch. Bielefelder müssen vor der Tür über Junkies steigen &bdquo;Es werden Drogen auf Spritzen gezogen und auch öffentlich appliziert“, sagt der Familienvater. Der Zugang, der zwischen Stadthallenanbau und Parkhaus zum Kassenbereich führt, werde phasenweise regelrecht belagert. Selbst im Kassenraum, der nur mit Parkticket zu betreten ist, hocken immer wieder Szeneangehörige. Die Familie hat sich zum Eigenschutz deshalb einen Plan gemacht, wie sie inzwischen ihren Wagen abgibt: &bdquo;Meine Frau und ich sind uns einig, dass wir zuerst unsere Tochter zu Hause absetzen. Dann diskutieren wir, ob es sicherer ist, wenn wir gemeinsam oder ich alleine das Auto wegbringe.“ Im Parkhaus selbst sei eigentlich noch alles entspannt. Aber dann geht es zur Schlüsselrückgabe: &bdquo;Sobald das Auto abgeschlossen ist, beginnt die Eigensicherung. Handy, Hausschlüssel, Portemonnaie unsichtbar wegstecken, nur die Cambio-Karte griffbereit.“ Wenn dann die Automatiktür aufspringt, krache sie manchmal in eine der dort herumlungernden Personen. Der Bielefelder berichtet: &bdquo;Schnell darüber hinwegsteigen, ’guten Abend’ rufen, Schlüssel abgeben und schnell wieder weg, solange sich die Anwesenden noch sortieren.“ Die Drogenabhängigen reagierten nicht immer aggressiv, aber unangenehm sei es immer. Auch der Bielefelder Straßenstrich scheint wiederbelebt zu sein Der Vater berichtet nicht nur von den dunklen Abendstunden. Auch um 15 Uhr am Nachmittag erlebt er Haarsträubendes: &bdquo;Neben dem Kassenautomaten lag eine Tasche, der Inhalt quoll offen heraus, daneben rußgeschwärzte Alufolie nebst Metalllöffel.“ Das Drogenbesteck und die Tasche gehörten wohl &bdquo;einem Pärchen, das auf dem gegenüberliegenden Mäuerchen des Stadthallenneubaus miteinander beschäftigt war“. Bei der Rückgabe des Wagens kurz nach 22 Uhr &bdquo;stiegen wir wie üblich über das halbe Dutzend in den Ecken hockender Junkies“. Auf der Mauer gegenüber suchten gerade vier Menschen nach einer Ader im abgebundenen Arm, um sich einen Schuss zu setzen. Auch der Straßenstrich an der Nahariyastraße scheint wiederbelebt worden zu sein, glaubt er. &bdquo;Für uns Kunden ist das eine ausgesprochen unsichere Situation. Meine Frau nutzt das Car-Sharing-Angebot deshalb nie mehr allein. Auch ich fühle mich latent bedroht“, schreibt der Bielefelder in einem offenen Brief und bittet die Stadt, die Polizei sowie Parkhaus-Betreiber und Car-Sharing-Anbieter um Abhilfe: &bdquo;Es ist ausgesprochen ärgerlich, wenn das Car-Sharing-Angebot durch diese Probleme unattraktiv wird.“ Bielefelder Familienvater: "Der Szene wird viel zu viel Freiraum gelassen" Trotz großer Körpergröße und Kampfsporterfahrung empfindet der Bielefelder dort die Lage als erschreckend und beängstigend. &bdquo;Mir blutet das Herz, weil ich mich politisch eher Mittelinks einsortiere und nun trotzdem nach der Obrigkeit rufe“, schreibt er ehrlich. &bdquo;Aber so kann es nicht weitergehen. Der Szene wird viel zu viel Freiraum eingeräumt, während wir uns fürchten müssen.“ Auch Oberbürgermeister Pit Clausen hat diesen Brief erhalten. Er hat den Parkhaus-Eigentümer, die städtische Bielefelder Beteiligungs- und Vermögensgesellschaft (BBVG), um eine Stellungnahme gebeten: Dort ist die geschilderte Situation seit längerem bekannt, schreibt das Bürgermeisterbüro. Die Familie sei nicht die einzige. Auch anderen Kunden und Stadthallenbesucher hätten die Situation kritisiert. Die Stadt Bielefeld erklärt: "Ein Sicherheitsdienst ist allein keine Lösung" Parkhaus-Betreiber, Stadthalle sowie die örtlichen Ordnungsbehörden stünden daher im Austausch, um eine für Kundinnen und Kunden sichere und auch angenehme Nutzung des Parkhauses zu gewährleisten, heißt es. Es habe sich gezeigt, &bdquo;dass Kontrollgänge eines Sicherheitsdienstes allein die Problematik nicht zu lösen vermögen“. Auch regelmäßige Polizei-Razzien führten nicht zu einer dauerhaften Verbesserung. Bauliche Maßnahmen, die den Zutritt zum Parkhaus ohne Zugangsberechtigung ausschließen, seien leider auch nur &bdquo;schwerlich umzusetzen“. Deshalb verspreche sich die BBVG Verbesserung durch das geplante städtische Gesamtkonzept zur Umgestaltung des Bereichs rund um den Bielefelder Hauptbahnhof. Neue Toiletten und Aufenthaltsangebote für die Drogenszene Dabei sollen Angehörige der Szene Toiletten- und Aufenthaltsangebote bekommen, die sie künftig davon abhalten sollen, Hinterhöfe und Hauseingänge im Umfeld der &bdquo;Tüte“ oder der Stadthalle aufzusuchen. Auch der Stadthallenpark, der derzeit von Passanten weitestgehend gemieden wird, soll aufgewertet und sicherer gestaltet werden, heißt es von der Stadt weiter. Ein entsprechendes Konzept befindet sich derzeit in der "Rahmenplanung". Darüber hinaus soll ein enger Kontakt zu Polizei und Sozialarbeitern gepflegt werden. Doch all das sei nicht &bdquo;von heute auf morgen“ umzusetzen, auch weil dafür die Zustimmung der zuständigen politischen Gremien benötigt werde. Das heißt, die Situation wird sich zunächst nicht ändern. dabei hatte auch schon der Nachbarschaftsrat Ostmannturmviertel kürzlich die Belastung durch die Drogenszene in ihrem Kiez beklagt. Sie sprechen von Drogendeals, Prostituierten und Spielplätzen, die für Familien nicht mehr nutzbar sind. Auch Cambio betont, dass man mit den Umständen vor Ort &bdquo;in keiner Weise einverstanden“ sei, aber aus technischen Gründen lasse sich die Zugangssituation mit dem Tresor nicht verändern. Das Unternehmen entwickle allerdings derzeit eine Zugangstechnik, die &bdquo;bei Besitz eines Smartphones den Gang zum Tresor überflüssig macht“. Doch bis diese einsatzfähig sei, werden voraussichtlich noch etliche Monate oder sogar ein ganzes Jahr ins Land gehen. Kritik von Car-Sharing-Anbieter an der Stadt Bielefeld Cambio habe bereits an verschiedenen Stellen auf die Zustände aufmerksam gemacht: &bdquo;Es ist aus unserer Sicht ein sehr unglückliches Signal zum Thema Verkehrswende“, schreibt das Unternehmen seinen Kunden. Doch sowohl das Ordnungsamt als auch die Parkhaus-Betreiber hätten erklärt, dass Ihnen die Hände gebunden seien. Der &bdquo;Carsharer“ werde als Akteur in diesem Bereich seit vielen Jahren nicht ausreichend gehört und vertröstet. &bdquo;Es tut uns sehr leid – die Situation ist nicht zu beschönigen.“ Die Bielefelder Familie hat derweil Konsequenzen gezogen: &bdquo;Wir werden uns diesem Spießrutenlauf nicht mehr aussetzen.“ Im Ernstfall suchen sie sich nun einen Wagen am deutlich entfernteren Kesselbrink. "Da ist die Situation viel entspannter." Bielefelder nimmt massive Ausbreitung der Drogenszene wahr Dabei ist der Bielefelder Familienvater kein Hardliner. In seiner Brust schlügen zwei Herzen: &bdquo;Ich habe Mitleid für diese Menschen.“ Aber offenbar breite sich die Szene derzeit massiv in Bielefeld aus. Viele Auswärtige seien hinzugekommen, die hier keinerlei städtische Hilfen bekämen. Eine Lösung habe auch er nicht parat. &bdquo;Ich weiß, dass Verscheuchen keine Lösung ist. Vielleicht muss es eher ein Locken sein“, sagt er. Andererseits gebe es Erfolge bei der Bekämpfung von solchen Kriminalitätsphänomenen – etwa mit der Null-Toleranz-Strategien im New York der 1990er Jahre.

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