Unmöglich oder gelungener urbaner Mittelpunkt? Bielefelds neuer Jahnplatz im Praxis-Check

Bielefeld. Am neuen Jahnplatz scheiden sich nach wie vor die Geister. Die einen finden den Platz &bdquo;unmöglich“, die anderen betrachten ihn als urbanen Mittelpunkt. Jetzt hat das Forum Baukultur OWL zu einer ersten Bestandsaufnahme eingeladen. Eine Expertenrunde hat darüber diskutiert, was gut funktioniert und wo dringend nachgebessert werden muss. &bdquo;Wir haben extra neun Monate mit dieser Veranstaltung gewartet“, sagt Moderator Ulrich Burmeister zu Beginn. Die &bdquo;Erregungswellen“ rund um den umstrittenen Platzumbau sollten sich erst einmal legen. &bdquo;Lieber in Ruhe darüber reden.“ Die Stadt: &bdquo;Das Konzept ist aufgegangen.“ Bielefelds Umwelt- und Verkehrsdezernent Martin Adamski ist zufrieden mit dem Jahnplatz-Umbau. Ausgangspunkt sei 2018 die Reduzierung der Stickstoffdioxidbelastung gewesen. Der Grenzwert von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft im Jahresmittel werde nun deutlich unterschritten. Das Ziel einer Verringerung des motorisierten Individualverkehrs sei ebenfalls erreicht worden. Für Kraftfahrzeuge stehen nun zwei statt früher vier Fahrspuren zur Verfügung. Es gebe mehr Platz für Fußgänger und Radler. Die Zahl der Fahrradfahrer sei von 580 im täglichen Durchschnitt auf 1.350 gestiegen. Auch die befürchtete Häufung von Unfällen wegen der Wegeführung habe es nach Polizeiangaben nicht gegeben. Inzwischen sei der Jahnplatz bundesweites Vorbild für die Sanierung eines Verkehrsknotenpunktes. Und das ist der Jahnplatz allemal. So werden dort zum Beispiel täglich 51.000 Fahrgäste in Bus und Bahn gezählt. Am Hauptbahnhof sind es 20.000. Bus und Bahn: &bdquo;Eine Katastrophe für die Fahrgäste.“ 920 Busse passieren jeden Tag den Jahnplatz. Im Untergrund verkehren die Stadtbahnen auf vier Linien tagsüber im Zehn-Minuten-Takt. &bdquo;Die Orientierung auf dem umgebauten Platz ist für die Fahrgäste aber eine Katastrophe“, sagt Godehard Franzen vom Verein &bdquo;Bielefeld pro Nahverkehr“. Es fehle an einer vernünftigen Ausschilderung. &bdquo;Wer aus der Stadtbahn-Verteilebene kommt, wird völlig allein gelassen.“ Seine Forderung: große, weithin sichtbare Markierungen an den Bussteigen. Die Anzeigetafeln an den Bussteigen seien außerdem viel zu klein. Er wünscht sich an zwei markanten Punkten auf dem Platz große Tafeln, wo die Abfahrten aller Busse in der jeweils folgenden halben Stunde angezeigt werden. Einige Bussteige seien völlig überlastet. Am Bussteig E etwa hielten täglich 199 Busse. &bdquo;Zu viele.“ Die Umsteigewege seien viel zu lang, betrügen teils 250 Meter. Die Ampelschaltungen seien für den Busverkehr ungenügend. Und Konzerte auf dem Jahnplatz wie bald beim &bdquo;Leineweber“ sind für Franzen ein &bdquo;No-Go“. Zuletzt 2019 seien dadurch tausende Fahrgäste verärgert worden. &bdquo;Der Jahnlatz ist Bielefelds zentraler Omnibusbahnhof, Konzerte gehören auf den Kesselbrink.“ Die Radfahrer: &bdquo;Besser geht immer, aber wir kommen klar.“ &bdquo;Wenn man als Radfahrer moderat auf dem Jahnplatz unterwegs ist, kommt man klar“, sagt Michael Schem von der Initiative &bdquo;Radentscheid“. Besser gehe natürlich immer. In der Planungs- und Bauphase viel in der Kritik: das &bdquo;Kopenhagener Modell“, bei dem ein Radweg zwischen Fußweg und Bussteig hindurchführt. Tatsächlich stünden häufig Fahrgäste auf den Radwegen, müsse auf plötzlich passierende Fußgänger geachtet werden, sagt Schem. Aber das liege daran, dass das Kopenhagener Modell in Bielefeld nicht konsequent umgesetzt worden sei. &bdquo;Es fehlt der Höhenversatz zwischen Fußgänger- und Radweg.“ Schem bringt außerdem erneut rote Markierungen für die Radwege ins Gespräch. Und manche Ausschilderung für Radler sei verbesserungswürdig. Wirtschaft und Handel: &bdquo;Die City bleibt erreichbar.“ IHK und Handelsverband gehörten zu den größten Kritikern des Jahnplatz-Umbaus. Petra Pigerl-Radtke, Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen (IHK), sagt jetzt, dass der Platz seine Funktion als Verkehrsknotenpunkt weiter erfülle. &bdquo;Er ist von überall her mit allen Verkehrsmitteln zu erreichen.“ Das sei wichtig, vor allem für den Handelsstandort Innenstadt. &bdquo;20 bis 30 Prozent der Kunden, die die Bielefelder Innenstadt aufsuchen, kommen aus dem Umland.“ Dringend erforderlich sei, dass der Jahnplatz auch künftig für den Autoverkehr offenbleibe. Pigerl-Radtke verweist auf eine IHK-Studie aus dem vergangenen Jahr, wonach die Menschen zu 35,7 Prozent mit dem ÖPNV ins Zentrum kämen und zu 40,9 Prozent mit dem Pkw. Sie räumt aber auch ein: &bdquo;Ein Piazza-Feeling kann auf so einem Platz nicht entstehen.“ Die Stadtplaner: &bdquo;Die Architektur ist zeitgemäß.“ Architekt Volker Crayen begleitet Bielefelds Stadtentwicklung seit 40 Jahren, gehört zu den Initiatoren des Forums Baukultur. Er spricht von einer modernen und zeitgemäßen Architektur auf dem neuen Jahnplatz, doch der Verkehrsraum von äußerer Radspur zu äußerer Radspur sei immer noch zu groß. Crayen macht einen Vorschlag: Der zentrale Platzbereich könne in einen &bdquo;shared space“, einen &bdquo;gemeinsamen Ort“, verwandelt werden. Das heißt: Alle Verkehrsteilnehmer wären gleichberechtigt, müssten aufeinander Rücksicht nehmen. Autos könnten den Platz dann nur in Schrittgeschwindigkeit passieren. Es entstünde eine &bdquo;Begegnungszone“, ein neues Platzgefühl. Anders als viele Kritiker möchte Crayen aber nicht mehr Grün auf dem Jahnplatz. Und für das Jahnplatzforum, über dessen Ankauf durch die Stadt noch in diesem Monat entschieden werden soll, wünscht er sich keine vorschnelle Entscheidung über die künftige Nutzung. Das Forum biete viel Potenzial. &bdquo;Da sollte man in Ruhe überlegen.“

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