Junge Frau erfährt nach drei Jahren, dass sie ein Bielefelder Arzt vergewaltigt hat

Bielefeld. &bdquo;Ich bin wohl noch in der Verleugnungsphase", eröffnet die junge Frau das Gespräch. Sie weiß zwar, dass ihr etwas Schlimmes widerfahren ist, aber die seelische Verarbeitung steht noch ganz am Anfang. Dass ihr nahezu &bdquo;der Boden unter den Füßen weggezogen wurde", wie sie es beschreibt, liegt erst wenige Monate zurück. Im November 2022 war ihr im Bielefelder Polizeipräsidium eröffnet worden, dass auch sie Opfer des längst verstorbenen jungen Assistenzarztes geworden ist, der im Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) mehr als 30 Frauen sediert und anschließend vergewaltigt oder sexuell missbraucht hatte. &bdquo;Ich war völlig ahnungslos", schildert die 25-jährige Masterstudentin im Fach Management. Ihr Krankenhausaufenthalt zur Abklärung unspezifischer Erschöpfungssymptome liegt ja auch schon fast vier Jahre zurück. Im Juni 2019 war sie für drei Tage auf der neurologischen Station, wo Philipp G. Dienst tat und sich in seinen Nachtdiensten an Frauen in deren Patientenzimmern verging. &bdquo;Ich musste auf die Toilette rennen und mich übergeben" Ja, sie habe von den &bdquo;Bethelfällen" gehört, die inzwischen bundesweit Schlagzeilen machten, sei aber nicht auf die Idee gekommen, dass auch sie dazugehören könnte. Bis die Polizei im November eine Nachricht im Briefkasten ihrer Eltern hinterließ, da sie diese nicht antraf. Melissa T. (Name geändert) möge sich baldmöglichst bei der Polizei Bielefeld melden. Die Studentin, die nicht in Bielefeld wohnt, erlebte danach eine Woche der Wechselbäder, bis es zum Termin kam. &bdquo;Ich ahnte, was es sein könnte, immerhin handelte es sich um das KK11, ein Kriminalkommissariat für schwere Straftaten", berichtet sie. Sie habe zunächst mit einem &bdquo;ungeheuren Aktionismus" reagiert und mit Arbeit &bdquo;zugeschaufelt", um keinen klaren Gedanken fassen zu müssen. Mit ihrem Vater erschien sie vor Ort. Da habe man ihr Fotos vorgelegt, fein säuberlich mit ihrem Namen beschriftet durch den Täter. &bdquo;Ich habe sofort erkannt, dass das mein Körper ist, nur in Unterwäsche". Die Videos, die Philipp G. von seinen Übergriffen angefertigt hatte, habe sie aber nicht sehen wollen. Alles sei auf einmal hochgekommen: Die Erinnerung an den jungen, jovialen Arzt, der bei ihrer Aufnahme als 21-Jährige kleine Scherze machte. Dass er sich plötzlich nachts über sie gebeugt habe und etwas an einem Gerät eingestellt oder eingefüllt habe. Dann löst sich ihre Erinnerung in Nebel auf. Zum Thema:Der NW-Podcast zum Fall - Warum stoppte niemand den Arzt? Heute, vier Monate nach dem Termin im KK11, erinnert sie sich: &bdquo;Ich war vollkommen schockiert, musste auf die Toilette rennen und mich übergeben, dann habe ich hemmungslos geweint." Auf der Heimfahrt habe sie kein Wort mit ihrem Vater sprechen können. &bdquo;Man fühlt sich entwertet, gleich doppelt", sagt sie. Zum einen durch die perfide Tat, zum anderen durch die Behörden, die erst so spät informierten. Denn dass sie mehr als ein dreiviertel Jahr später als die anderen Betroffenen informiert wurde, macht die Studentin ebenso fassungslos. &bdquo;Wie kann das sein?", fragt sie sich, die Beweismittel seien doch akribisch beschriftet und sie immer auffindbar gewesen. Dass etwas mit ihr nicht stimmt, habe sie in den letzten vier Jahren gespürt. Sie sei eigentlich ein aufgeschlossener Mensch, nun aber viel skeptischer gegenüber fremden Menschen geworden. Männern gehe sie regelrecht aus dem Weg. Immerhin habe sie entlastend erfahren, dass es vermutlich nicht zum Äußersten gekommen sei, sie sich offenbar auch mit keiner der drei Geschlechtskrankheiten des Mannes angesteckt habe. &bdquo;Ich habe viele Anlässe gemieden und irgendwie das Gefühl, an Lebensfreude einzubüßen", schildert sie und vermutet eine unterschwellige Ahnung, wie sie Psychologen geläufig ist, die sich mit Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) befassen. Kliniken müssen &bdquo;Kultur des Hinschauens" fördern Vieles hatte sie auf die hohe Arbeitsbelastung im Studium zurückgeführt, die Bachelorarbeit, ihre eigenen hohen Ansprüche an sich selbst. &bdquo;Aber das erklärte immer weniger, warum mir das Leben zu entgleiten schien." Nach der Informierung bekam sie Panikattacken. Obschon sie wusste, dass der Täter tot ist, hatte sie Alpträume. Immer wieder sah sie die Situation in der Nacht vor sich. Habe sie Angst gehabt, dass er wiederkommen können. Insofern, bekennt Melissa T., sei es für sie tatsächlich entlastend, dass sich der Arzt selbst gerichtet habe. Fragen wirft für sie die Rolle des Krankenhauses auf, in dem diese Missbrauchsserie geschehen ist. &bdquo;Man kann doch kaum glauben, dass das in so einem großen Krankenhaus passiert und niemand etwas gemerkt haben will", sagt sie. Deshalb liegt ihr eine umfassende Aufklärung am Herzen, schätzt sie die derzeit noch laufende akribische Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft Duisburg. Selbstzweifel und auch die Eltern machen sich unsinnige Vorwürfe Ob sie will, dass Vorgesetzte des Täters zur Rechenschaft gezogen werden und es zur Anklage wegen &bdquo;Beihilfe zur Vergewaltigung durch Unterlassen" kommt? Rachegelüste treiben Melissa T. nicht um. Aber sie wünscht sich, dass Kliniken ein funktionstüchtiges Kontrollsystem etablieren, eine &bdquo;Kultur des Hinschauens" für alle Mitarbeiter. So wie es vom EvKB inzwischen berichtet wird. &bdquo;Da wir keine Gewissheit mehr aus erster Quelle bekommen können, ist es so wichtig, dass sich die überlasteten Klinikstrukturen ändern, die so etwas begünstigen können", findet sie. Aktuell packe sie sich wieder mit viel Arbeit zu, hat nach dem Masterabschluss große berufliche Pläne. Aber sie fühlt sich gebremst: &bdquo;Für mich ist eine Welt zusammengebrochen, für die ich hart gearbeitet hatte", sagt sie. Sie traue ihrem Urteilsvermögen nicht mehr, macht sich Selbstvorwürfe. Ihre Eltern stünden ihr liebevoll zur Seite, Geschwister und Freunde seien aber bisher nicht im Bilde. &bdquo;So ein Geschehen belastet die ganze Familie. Auch die Eltern machten sich unsinnige Vorwürfe, dass sie ihr Kind nicht schützen konnten", berichtet sie. Die junge Frau macht inzwischen eine Psychotherapie, die sie auch voran bringt. Bielefelder Vergewaltiger soll nicht Macht über ihr Leben gewinnen Sie empfindet sich als eher starke, kopfgesteuerte Persönlichkeit und diese Eigenschaften sind es auch, von denen sich Melissa die größte Entlastung erhofft: &bdquo;Ich möchte wieder Vertrauen haben, Stück für Stück verarbeiten und meinen Frieden damit machen, was passiert ist." Vor allem aber wolle sie nicht zulassen, dass der Täter noch nach seinem Tod Macht über ihr Leben habe. Zum Thema: Alle NW-Berichte zur Vergewaltigungsserie im Klinikum Bethel

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