Angestellte um Lohn gebracht: Bielefelder Verein „Rückenwind“ insolvent

Bielefeld. Verzweiflung statt Vorsatz. So deutet Rechtsanwalt Yorck Streitbörger den vom Vorstand des Vereins Rückenwind erst relativ spät gestellten Insolvenzantrag. Der ging laut Beschluss am 21. Februar beim Amtsgericht Bielefeld ein. Zu dem Zeitpunkt hatten etliche der einst mehr als 200 Mitarbeiter bereits keinen Lohn mehr erhalten, und auch andere Gläubiger warteten vergebens auf ihr Geld. Darunter der Landschaftsverband Westfalen Lippe (LWL) mit der wohl größten Forderung in Höhe von 120.000 Euro. Der 2008 gegründete Verein Rückenwind ist spezialisiert auf die Schulbegleitung und die Pflege von behinderten sowie schwer chronisch kranken Menschen im betreuten Wohnen. &bdquo;Bis zu Beginn dieses Jahres wurden 13 Menschen mit Behinderung von Rückenwind betreut, für die der LWL Träger der Eingliederungshilfe ist“, erklärt LWL-Pressesprecher Frank Tafertshofer. Ratenzahlung vereinbart und nicht eingehalten Der Träger finanziert die Leistungen vor und rechnet sie anschließend mit dem Unternehmen ab. Dabei sei es in einem Einzelfall zu einer Rückforderung gekommen, weil der Verein die im Vorfeld bezahlte Leistungen der Eingliederungshilfe nicht in dem bewilligten Umfang erbracht habe, so Tafertshofer. Der Verein bat um Ratenzahlung und die Behörde willigte ein. Im Verlauf des Zahlungsplans habe sie sogar die Höhe der Raten im Sinne des Vereins weiter gesenkt, doch zum Schluss sei immer weniger Geld in Münster angekommen. Das Fatale für die Mitarbeiter: Wegen des permanenten Zwangs zum Stopfen neuer Finanzlöcher gingen etliche Beschäftigte in den Monaten November und Dezember leer aus und haben wegen des Zeitpunkts des Insolvenzantrags auch keine Ansprüche mehr auf rückwirkende Zahlungen vom Amt. Doch wenigstens die Monate Januar bis März seien jetzt durch das vorläufige Insolvenzgeld finanziert, so Streitbörger. Kritisch werde es noch einmal im April, wenn die Löhne aus der Insolvenzmasse gezahlt werden sollen. Bis dahin müsse das Konzept für die Sanierung und Neuausrichtung des Vereins stehen, sagt der Fachmann. In den verbleibenden Wochen gelte es herauszufinden, welche Geschäftszweige wieder profitabel gemacht werden können und welche keine Zukunft mehr haben. So seien erste Pflegeteams mit ihren Kunden bereits zu anderen Trägern gewechselt, grundsätzlich besäßen aber die Angebote wie Schulbegleitung und Betreuung weiter eine Perspektive – bloß an einem anderen Standort. Die gegenwärtige Miete sei zu teuer. Das sei auch ein Grund, warum das im Wohnkomplex angesiedelte Bistro &bdquo;Radiostation“ demnächst schließen werde. Der vor Corona beliebte Mittagstisch befindet sich im Erdgeschoss des Wohnkomplexes zwischen den Büros des Vereins und der eigenständigen Rückenwind Pflege GmbH. Im Gegensatz zum Verein scheint die GmbH solide dazustehen. Deren Geschäftsführer agiert in Personalunion auch als Vorstand des Vereins. Zusammen mit zwei Partnern hatte er die Pflege-GmbH erst 2019 in Bielefeld gegründet. Zwei Jahre später folgte dann mit Freunden in Berlin die Gründung des Vereins &bdquo;Beyond Limits“. Der mittlerweile nicht mehr existente Kultur-Treff in der Hauptstadt legte den Fokus ebenfalls auf Inklusion, warb in der Vergangenheit mit Reisen, Stadtrundfahrten und Kinderbetreuung um Kunden, geriet dann aber wohl wie so viele in den ruinösen Corona-Strudel. Party in Berlin und Tränen in Bielefeld nach der Pleite Denn für den 30. November 2022 luden die Verantwortlichen des Vereins ihre Gäste zur Schließung des Standorts. Der Dresscode: ein der Beerdigung angemessenes &bdquo;extrem sexy“ Outfit empfahlen die freizügigen Posts auf Instagram. Während die Berliner wie gewohnt noch auf dem Vulkan tanzten, brodelte es in Bielefeld bereits so stark, dass sich der Ausbruch nicht mehr verhindern ließ. Der vorerst noch vorläufige, dafür aber routinierte Insolvenzverwalter erkundigte sich auch, warum denn die Pflege-GmbH nicht die Pflege-Kandidaten des Vereins übernehmen könne. Weil es sich um Intensiv-Patienten mit einem höheren Pflegegrad handeln würde, verbunden mit einem anderen Konzept, sei das nicht möglich, habe die Antwort gelautet, erklärt Yorck Streitbörger. So bleibe nur zu prüfen, ob Geld vom Verein im Rahmen einer Vermögensverfügung in die GmbH geflossen sein könnte. Weil es wegen der Namensähnlichkeit zwischen dem Verein Rückenwind und der Rückenwind Pflegedienst GmbH wegen der Insolvenz bei Mitarbeitenden und Kunden zu Irritationen gekommen sei, betone er im Namen der GmbH noch einmal ausdrücklich, dass die GmbH nicht von der Insolvenz betroffen sei, erklärte Pflegedienstleiter und Gesellschafter Malte Fiebig. Statement der Pflegedienst Gesellschaft In einem Statement erläutert Fiebig zudem, warum die GmbH nicht die Patienten des Vereins übernehmen könne: " Das Unternehmen &bdquo;rückenwind-Pflegedienst GmbH“ ist ein ambulanter Pflegedienst, der sich auf die Versorgung intensivpflichtiger Patienten spezialisiert hat. Die außerklinische Intensivpflege richtet sich an Patienten, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit täglich und zu unvorhersehbaren Zeiten lebensbedrohliche gesundheitliche Situationen auftreten können. Sie haben daher einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege an dem sich unser Konzept und die Organisationsstruktur richtet. Derzeit beschäftigt die &bdquo;rückenwind-Pflegedienst GmbH“ 44 Pflegefachkräfte. Der Pflegedienst &bdquo;rückenwind-Pflegedienst GmbH“ rechnet ausschließlich über die Pflege-/ und Krankenkassen ab. Dies ist auch der Grund, warum Pflegekunden des &bdquo;rückenwind Vereins“ nicht in das bestehende Konzept der &bdquo;rückenwind-Pflegedienst GmbH“ übernommen werden können."

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