Umstrittene Haltung: Linken-Friedensdemo auf dem Bielefelder Jahnplatz

Bielefeld. Ein eisiger Wind weht den etwa 150 Demonstranten auf dem Jahnplatz entgegen. "Uns droht der Sturmwind des Kriegs zu zerreißen", ruft Pfarrer Berthold Keunecke vom evangelischen Kirchenkreis Herford mahnend ins Mikrofon. Etwas weiter steht die ehemalige Linkenpolitikerin Inge Höger, eingehüllt in eine Regenbogenfahne auf der "No to NATO" steht. Sie ist eine der Organisatorinnen der Kundgebung anlässlich des Jahrestags des Ukraine-Kriegs, zu der die Friedensinitiative und die Bielefelder Linken aufgerufen haben. Wie sehr sich hier Friedensanliegen und Parteipolitisches vermischen, wird spätestens deutlich, als Linkenpolitiker Florian Straetmanns ans Mikro tritt. Statt der zivilen Opfer in der Ukraine rückt der Linken-Kreisverbandssprecher die Bielefelder Linken als Opfer in den Mittelpunkt seines Redebeitrags. Die Fraktion seiner Partei im Stadtrat sei "Diffamierungen und Verleumdungen ausgesetzt", weil sie Friedensverhandlungen befürworte, so Straetmanns. Die Linke lasse sich als Koalitionspartnerin in ihrer klaren Friedenshaltung jedoch nicht beirren. Der FDP wirft Straetmanns ein "antisoziales Störkonzept" vor. Der Hintergrund: Sein Kreisverband hat sich jüngst mit großer Mehrheit für die Unterstützung der viel kritisierten Petition zum Ukraine-Krieg von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer ausgesprochen. Die Bielefelder Kundgebung findet fast zeitgleich zur Demonstration "Aufstand für den Frieden" in Berlin statt, zu der Wagenknecht und Schwarzer ebenfalls für Samstag aufgerufen hatten. Grüne, CDU und FDP kritisierten die Unterstützung des umstrittenen Wagenknecht-Aufrufs durch die Bielefelder Linken im Vorfeld scharf. Bei der SPD will man aktuell noch beraten, welche Auswirkungen der Kurs der Linken auf die Koalitionsarbeit im Bielefelder Stadtrat hat. Demo-Organisatorinnen bezeichnen russischen Angriffskrieg auch als "Krieg des Westens" Am Rande der Friedensdemonstration sagt Linken-Ratsfrau Brigitte Stelze, die Linke wolle natürlich weiterhin im Rat mit SPD und Grünen zusammenarbeiten. "Wir haben eine Erfolgskoalition." Dass die Linke eine andere Haltung zur Friedenspolitik habe, müsse nicht die lokalpolitische Arbeit belasten, so die Linken-Sprecherin im Kreisverband. Als "Krieg des Westens" und "Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland" bezeichnen unterdessen Demo-Organisatorinnen Inge Höger und Gabi Bieberstein von der Bielefelder Friedensinitiative den Angriffskrieg auf die Ukraine. Ist Russland nicht der eindeutige Aggressor? Der Westen trage durch die NATO-Osterweiterung eine Mitschuld sind die Aktivistinnen überzeugt. Die Lösung? Keine Waffenlieferungen und Sanktionen, Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen, "Waffenstillstand sofort" fordern die Demonstranten. "Verhandlungen sind möglich, Verhandlungen sind nötig", postuliert Straetmanns. Den Teilnehmern geht es auch um die eigenen wirtschaftlichen Befindlichkeiten Von einer Eskalationsspirale bis zum Atomwaffeneinsatz warnen die Redner der Kundgebung. "Die Zeitenwende steht noch aus. Die Zeit wendet sich, wenn wir Krieg abschaffen", stellt Pfarrer Keunecke fest und nimmt Bezug auf die Rhetorik von Bundeskanzler Olaf Scholz." Dann wird auf dem Jahnplatz "We Shall Overcome" gesungen, "denn hier seien viele aus der alten Friedensbewegung dabei". Dass bei der Kundgebung auch andere Meinungen vertreten sind, zeigen unterdessen Plakate mit Aufschriften wie "Unsere weißen Tauben sind für Putin nur tote Möwen" und "Stoppt Putin". Und den Demonstranten geht es auch um eigene wirtschaftliche Befindlichkeiten, das ist dem Forderungskatalog zu entnehmen, den die Organisatorinnen aushändigen. "Keine Abwälzung von durch Krieg und Sanktionen verursachten Preissteigerungen für Lebensmittel und Energie auf die ohne hin wirtschaftlich Benachteiligten" heißt es darin. Statt in Aufrüstung solle in Deutschland in Bildung, Klima, Soziales und Gesundheit investiert werden. Was im Katalog an keiner Stelle auftaucht und in den Redebeiträgen nur selten anklingt: eine solidarische Haltung zur Ukraine, eine Anerkennung der Leiden der Kriegsopfer.

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