Ernährungstrends in Bielefelder Gastronomie: Kleine Karte, viel Bio und wilde Kräuter

Das war ja wohl ein völlig anderes ungewöhnliches Silvestermenü. Fleisch kam nur einmal auf den Tisch am letzten Tag des Jahres. Ansonsten servierten Sie vegetarisch. Ob Vorspeise oder Zwischengericht – alles pflanzlich. Wie haben denn Ihre Gäste darauf reagiert? Lars Reddemann: Ausschließlich positiv. Wenn sich das Menü zudem noch spannend liest, fällt es vielen gar nicht auf. Tatsächlich kann man das Essverhalten der Gäste auch mitbeeinflussen, als Gastronom durchaus die Richtung vorgeben. Und die Richtung heißt vegetarisch? Unser Konzept ist die mediterrane und asiatische Küche. Vieles ist da von vornherein sogar vegan, ohne, dass man darüber nachdenkt. Dazu kommen unterschiedliche saisonale Produkte aus der Region, wie aktuell etwa Knollen und Kohl. Daraus ergibt sich dann dieses Angebot überwiegend pflanzenbasierter Gerichte. Und Fleisch bleibt außen vor? Das können die Gäste entscheiden. Wir halten unsere Karte klein, bieten höchstens zwölf Gerichte an, darunter nur einmal Fleisch als Hauptgang, ansonsten kann es als Beilage dazu bestellt werden. Das funktioniert. Nicht nur unsere Gäste scheinen das wertzuschätzen, das Konzept überzeugt längst auch weltweit. Ob in den USA oder in Skandinavien – viele Restaurants setzen auf Regionalität und pflanzenbetonte Gerichte. Wo zum Beispiel? Von Kopenhagen aus verbreitete sich schon vor Jahren die Nordic Cuisine mit ihrem extrem regionalen Ansatz: Viel Gemüse und Hülsenfrüchte, wenig Fleisch und Fisch, im Grunde ist das ganz simpel. Mit diesem Trend kehrten gleichzeitig auch alte Konservierungsmethoden zurück. Fermentieren, Räuchern und Beizen etwa sind heute wieder angesagt, das Haltbarmachen von Sommer- bzw. Herbstfrüchten und Blüten für den Winter. Dass vegetarische Küche schon längst aus der Ökonische heraus ist, zeigen auch hierzulande einige Restaurants. Wann werden Sie Ihre Küche komplett auf vegetarisch umstellen? Das wird wohl nicht geschehen. Fleischkonsum in Maßen finde ich persönlich in Ordnung. Es kommt eben darauf an, wie die Tiere aufgewachsen sind. Wir etwa verarbeiten immer mal wieder ganze Tiere, zum Beispiel Demeter-Lämmer, Bioland-Schweine oder Kälber. Damit das Angebot dauerhaft gesichert ist, braucht es eine Umstrukturierung der Landwirtschaft. Die Politik sollte meiner Überzeugung nach die konventionell arbeitenden Bauern und Gärtner dabei unterstützen, dass sie im Einklang mit der Natur arbeiten oder die Umstellung auf Bio-Produktion überleben. Die Zukunft ist meiner Meinung nach Bio, die einzig vernünftige Richtung auch für uns Gastronomen. Wer früher auf hohem Niveau ein Restaurant führten wollte, hielt sich streng an französische Regeln. Hummer, Steinbutt, Trüffel – ausschließlich Luxuswaren kamen in den Sterne-Tempeln auf die Tische mit den meist gestärkten Decken. Vergessen Sie das. Die Zeiten sind vorbei. Wilde Kräuter und alte Gemüsesorten sind die Stars von heute. Hohe Qualität finden Sie in jeder Region. Gute Köche orientieren sich an der Saison. Eine ständige Verfügbarkeit sämtlicher Lebensmittel braucht kein Mensch. Noch einmal zur Politik. Viele Ihrer Kollegen beklagen sich bis heute über unzureichende Unterstützung durch den Staat während der Corona-Pandemie. Teilen Sie diese Unzufriedenheit? Die Gastronomie darf sich meiner Meinung nicht beklagen. Wir haben damals ziemlich schnell Soforthilfe bekommen, Überbrückungshilfe für November und Dezember 2020 ebenfalls, die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld wurde auf 24 Monate verdoppelt, und die Mehrwertsteuer ist bis heute auf sieben Prozent gesenkt geblieben. Wenn schon nicht die Politik, dann liefert doch wohl die Personalsituation Anlass zur Sorge. Das Thema lässt, glaubt man den Veröffentlichungen, viele ihrer Kollegen nachts nicht mehr schlafen. Ja, als Arbeitgeber hat die Gastronomie bis heute einen schlechten Ruf. Der stammt noch aus einer Zeit, als ich selbst noch in der Ausbildung war. Von 10 bis 23 Uhr durchzuarbeiten war nicht ungewöhnlich. Die Gastronomie wurde auf dem Rücken der Mitarbeiter geführt. So war das fast überall. Unbezahlte Überstunden und teils heftige Umgangsformen. Das wollte dann irgendwann keiner mehr machen. Zum Glück hat sich vieles geändert seitdem. Und trotzdem sucht die Branche händeringend Personal. Restaurants, die an bestimmten Tagen den Betrieb geschlossen halten, gibt es schon genug. Wie kritisch ist die Situation bei Ihnen? Lösungen zu finden, die alle zufriedenstellen, erfordert einiges an Kreativität. Die Situation: Wir beschäftigen 20 Festangestellte und fünf bis sechs Aushilfen. Der Altersdurchschnitt liegt bei Mitte 30. Und wie läuft’s? Wir haben mit jedem Mitarbeiter ein individuelles Arbeitszeit-Konzept entwickelt, das unterschiedliche Interessen berücksichtigt. Ein Single etwa arbeitet lieber abends, der alleinerziehende Vater möchte sein Kind gern selbst schlafen legen, eine dritte Kollegin ist so flexibel, dass sie mal Überstunden macht, die sie zeitnah wieder ausgleichen kann. Vieles ist möglich. Wir können wohl auch deshalb so flexibel agieren, weil wir mittags bis abends geöffnet sind. Das bedeutet zwar mehr Arbeit, aber auch mehr Freiheiten. Daran glaube ich: Flexible Arbeitszeiten, vernünftige Bezahlung und den Menschen Freiheit im Handeln ermöglichen – im Service und in der Küche. Stichwort Bezahlung. Wie behalten Sie die Personalkosten im Griff? Viele Ihrer Kollegen ächzen schon jetzt unter dem kürzlich eingeführten Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde. Wir zahlen deutlich über Mindestlohn, nur so viel kann ich dazu sagen. Betriebe, die ihre Mitarbeiter schlecht bezahlen, haben meiner Einschätzung nach auf Dauer keine Überlebenschance. Doch lassen Sie mich auch mal positive Aspekte darstellen. Zum Beispiel? Trotz des häufig beklagten Personalmangels zeigt die Gastronomie auch, wie ein tägliches Miteinander funktionieren kann. Allein bei uns arbeiten Menschen 14 unterschiedlicher Nationalitäten täglich wunderbar im Team zusammen. So etwas könnte Vorbild sein für eine funktionierende Gesellschaft. Und alle sind zufrieden? Einige sind seit unserer Eröffnung 2010 dabei, die Hälfte ist mehr als sechs Jahre bei uns. Das ein oder andere scheinen wir ja richtig zu machen (lacht). Lassen Sie uns ein letztes Mal über Geld sprechen. Bei Ihnen kostet ein Gemüsecurry 21,50 Euro. Wer will oder kann das denn bezahlen? Wenn alles passt, Personal, Qualität und Ambiente, dann akzeptiert der Gast durchaus ein bis zwei Euro mehr. Bezahlt wird dabei viel mehr als das Curry, so wie es auf den Tisch kommt. Bezahlt werden hochwertige Lebensmittel, die mühsam angebaut, gekocht und serviert werden – von Menschen, die nicht mehr als 40 Stunden wöchentlich arbeiten und ihren Job gern machen.

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