Bielefelder (15) ersticht werdenden Vater - und kommt auf freien Fuß

Bielefeld. Ein zunächst banaler Streit unter Schülern hat sich Anfang Mai 2022 so aufgeschaukelt, dass am Ende ein Mensch erstochen auf dem Boden lag. Ausgangspunkt waren niveaulose Beleidigungen. Dann kam es zu Körperverletzungen. Beim dritten Aufeinandertreffen der zwei Jugendgruppen am Abend des 6. Mai zückte ein damals 15-jähriger Bielefelder sein Messer. Auch auf der Gegenseite soll ein Messer gezogen worden sein. Während die Kumpels des Angeklagten daraufhin das Weite suchten, ging ein 26-jähriger Bielefelder aus der verbliebenen Gruppe auf den Jugendlichen zu. Der werdende Vater bezahlte seinen Einsatz mit dem Leben. Trotzdem verurteilte das Landgericht den Jugendlichen am Montag, 16. Januar, nicht – wie angeklagt – wegen Totschlags. Nach Angaben von Guiskard Eisenberg, Sprecher des Bielefelder Landgerichts, folgte die Jugendstrafkammer den Ausführungen des Angeklagten, wonach er sich zumindest &bdquo;subjektiv wahrgenommen“ in einer Notwehrsituation befand. In der Beweisaufnahme ließ sich ein Rechtfertigungsgrund für eine Notwehr nicht eindeutig nachvollziehen. Die Richter verurteilten den Bielefelder trotzdem nur wegen "Beteiligung an einer Schlägerei" zu einem Jahr Jugendfreiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, so Eisenberg. Juristen bezeichnen diese Situation als &bdquo;Erlaubnistatbestandsirrtum“: Der Angeklagte geht fälschlicherweise von einer Notwehrsituation aus und setzt sich deshalb zur Wehr. Dieser Irrtum wurde ihm nun nicht zur Last gelegt. Angebliche Aussprache an der Plaßschule wird zum Tatort Das 26-jährige Opfer hatte nach Ansicht der Mordermittler mit dem ganzen Streit eigentlich gar nichts zu tun. Doch sein kleiner Bruder und dessen Cousin waren involviert und hatten den älteren Verwandten aus Angst gebeten, zu der angeblichen Aussprache zum Sportplatz der Plaßschule mitzukommen. Der Erwachsene tauchte tatsächlich mit zwei weiteren erwachsenen Verwandten und den jungen Familienmitgliedern am vereinbarten Treffpunkt auf. Am Ende des Sportplatzes wartete die Gegenseite. Der 15-Jährige soll die ankommende Gruppe als Erstes wahrgenommen und daraufhin sein mitgebrachtes Messer gezogen haben. Das war der Moment, in dem seine Kumpels das Weite suchten. Als der Bielefelder die Hand hebt, kommt es zum tödlichen Irrtum Der junge Bielefelder blieb also allein zurück. Von der Gegenseite wurde er nun über mehrere Meter zurückgedrängt und schließlich an einem Zaun umzingelt. Als einer der Jüngeren auf der Gegenseite ebenfalls ein Messer zog, wollte der 26-Jährige eingreifen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wollte der Iraker den Jugendlichen niederländisch-serbischer Herkunft dazu bringen, sein Messer fallenzulassen. Deshalb sei er auf den Bewaffneten zugegangen. Dabei soll er die Hand gehoben haben, hieß es nun vor Gericht. Der Angeklagte schilderte laut Eisenberg in der nicht-öffentlichen Sitzung, dass er in dieser Hand einen Stein gesehen und unmittelbar mit einem Angriff gerechnet habe. Der Jugendliche stach dem 26-Jährigen daraufhin mit seinem Messer ins Herz. Der Iraker verblutete noch am Tatort. Der kleinere Bruder (16) des Opfers soll sich daraufhin eine Jacke gegriffen haben, um dem Angreifer damit das Messer aus der Hand zu schlagen. Doch der stach erneut zu und verletzte nun auch den 16-Jährigen schwer und flüchtete. Später stellte sich der 15-Jährige mit seinem Vater der Polizei. Eskalation in Schildesche: Beleidigung, Körperverletzung, tödlicher Messerstich Begonnen hatte alles bereits am Mittag. Nach Schulschluss war es zu üblen Beleidigungen unter Siebtklässlern und einer Prügelei gekommen. Hauptsächlich beteiligt waren da zwei Schüler der Schildescher Gesamtschule, die mit der Messertat am Abend nur noch am Rande zu tun hatten. Wenige Stunden später trafen sich die Kontrahenten mit weiteren Freunden erneut. Erst gab man sich die Hände, dann flogen auf einer Wiese am Bracksieks Teich doch wieder die Fäuste. Aus der Gruppe des Angeklagten soll dabei sogar mit einer Stange auf zwei Jugendliche eingeschlagen worden sein. Der Angeklagte selbst hatte bis dahin nur eine Nebenrolle in dem Streit gespielt. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger forderten nach Abschluss der Beweisaufnahme eine Jugendstrafe wegen Totschlags von sechs Jahren für den Angeklagten. Doch die Aussagen der Opfer-Angehörigen seien wenig glaubhaft gewesen, so Eisenberg. Ein jugendlicher Verwandter kam sogar mit einem Messer ins Gericht. Das machte sich insofern sehr schlecht, als er im Zeugenstand behauptet hatte, nie ein Messer bei sich zu haben. Seine Eltern hätten ihm das verboten. Bielefelder Landgericht sieht weder vorsätzliche noch fahrlässige Tat Am Ende schloss die Jugendstrafkammer auch eine fahrlässige Tötung aus, da die Situation unzweifelhaft bedrohlich wirkte. Eine objektive Zeugin hatte damals die Gruppe um das Todesopfer auf den Sportplatz kommen sehen und diese als so bedrohlich eingeschätzt, dass sie sofort die Polizei gerufen habe, so Eisenberg. Also kam dem 15-Jährigen zugute, dass er gar keine Zeit hatte, den befürchteten Angriff ausführlich zu überprüfen. Demnach schloss die Kammer sowohl eine vorsätzliche als auch eine fahrlässige Tötungstat aus. Am Ende blieb noch der Tatvorwurf der &bdquo;Beteiligung an einer Schlägerei“ für den inzwischen 16-Jährigen. Weil er seit seiner Festnahme am 6. Mai in Untersuchungshaft gesessen hatte, konnte er nach dem Urteil das Gericht in Freiheit verlassen. Die Gewissheit, mit seinem Messer einen Menschen getötet zu haben, bleibt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Staatsanwaltschaft und die Nebenklagevertreter können noch Rechtsmittel einlegen. Zum Thema: Lebensgefährliche Messer-Übergriffe in Bielefeld: Das sind die Täter

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