Traditionslokal aus Bielefeld setzt Tafelspitz und Rouladen gegen die Gastro-Krise

Bielefeld. Winterzeit im Wirtshaus 1802: Grünkohl und Gänsebrust, Hirschmedaillons und Spekulatius-Mousse stehen auf der Speisekarte des Traditionslokals am Bültmannshof. Das Restaurant ist gut besucht, viele der 200 Plätze im Innenraum des denkmalgeschützten Vierständer-Fachwerkhauses sind besetzt, und das auch nach der Weihnachtszeit. Sorgen um die Zukunft machen sich Betriebsleiter Ali al Saeed und sein Chefkoch Norbert Thun nicht – der Laden läuft, für die Wochenenden empfehlen sie gar eine Vorab-Reservierung. Ein grummelndes Gefühl im hungrigen Magen haben derzeit zahlreiche Freunde bodenständiger und regionaler Küche in Bielefeld. Nachdem das Hotel Büscher mit Restaurant – nach 139 Jahren und fünf Generationen – jüngst bekannt gab, die Segel streichen zu müssen, nachdem Wernings Weinstuben am Alten Markt und – schon während der Pandemie – Wernings Hof an der Eckendorfer Straße schließen musste, sowie – noch ein Jahr länger her – das Traditionslokal Bewekenhorn an der Stapenhorststraße zu einem Buletten-Bringdienst mutierte, sorgten sich viele um dieses traditionelle Gastro-Segment. Gute deutsche Küche vom Aussterben bedroht? Ist gute deutsche Küche vom Aussterben bedroht? Das Wirtshaus 1802 trotzt diesem Trend. Und das hat seine Gründe. Denn hier gibt es gleich mehrere Alleinstellungsmerkmale, exklusive Angebote, die schwer zu finden sind. Wo stehen denn noch Tafelspitz mit Kren (Meerrettich), Rouladen oder Kalbsleber auf den Speisekarten der Stadt? Wo findet man noch saisonale Angebote? &bdquo;Nun, die Zeit mit Wild und Grünkohl neigt sich dem Ende, als nächstes werden Matjes und im Frühjahr Spargel und Erdbeeren angeboten und dann beginnt auch schon bald die Pfifferling-Zeit“, denkt Norbert Thun schon weit im Voraus (bis in den Sommer). Thun, der, nach eigenen Angaben &bdquo;Leib und Seele-Koch der alten Schule“, hatte zuvor 26 Jahre lang die Kochmütze im gutbürgerlichen Bültmannskrug in Babenhausen auf. Vor dort brachte er auch seinen &bdquo;heißen Stein“ mit zum Bültmannshof – auch ein Alleinstellungsmerkmal des 1802. &bdquo;Fast“, korrigiert der 63-Jährige und präzisiert: &bdquo;Im Brenners Hotel gibt’s den auch“. Dieser Stein wird an den Tisch gebracht, die Gäste brutzeln sich ihr Fleisch oder Gemüse selbst darauf. Neben rohem Fleisch – wenn bestellt – wird auch das &bdquo;Buffet am Tisch“ serviert, ein weiteres &bdquo;seltenes“ Angebot. &bdquo;Hier kommt die Bahn“ nennen es Thun und sein &bdquo;Brother from another mother“, Ali Al Saeed. &bdquo;Die Bahn“ ist eine individuell nach Kundenwünschen abgestimmte Auswahl an Soßen, Dips, Chutneys, Beilagen, Broten und Salaten (alles selbst hergestellt) die auf den Tisch der Gäste platziert wird. Die Beiden ticken ähnlich, sind harmonisch aufeinander abgestimmt, voll motiviert und wollen nur das Beste für ihre Gäste. &bdquo;Das hier macht mir einfach Spaß und das ist wichtiger als Geld zu verdienen“, umreißt Al Saeed seine Motivation und die Begeisterung für seinen Job. Es wirkt wie eine Firmenphilosophie, die er erfolgreich auf seine 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit, sowie Aushilfen überträgt. Al Saeed hatte vorher im Hotel und Restaurant &bdquo;Graf Bernhard“ gearbeitet (wurde in Corona-Zeiten dem Insolvenzverwalter überstellt), vorher arbeitete der 48-Jährige gelernte Koch im Vorgänger der &bdquo;L’Osteria“ an der Obernstraße und im Plaza nahe des Emil-Groß-Platzes. "Wir müssen diesen Beruf auch schmackhaft machen" Probleme der Gastronomie stehen in vielen Bereichen derzeit im Fokus, sei es die Verpflichtung von Mehrweg-Geschirr beim Außer-Haus-Verkauf, sei es die enorm steigenden Energiepreise, die Restaurant- und Gaststättenbetreibern auch an ihre Gäste weitergeben müssen, oder sei es der derzeit &bdquo;grassierende“ Personalmangel. Friedrich Thun hat dazu eine klare Meinung: &bdquo;Das ist auch ein hausgemachtes Problem. Wir müssen diesen Beruf – ob in der Küche oder beim Service – den Leuten im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft machen“. Auch ihm ist es natürlich nicht entgangen, dass viele (potenzielle) Aushilfen in den letzen Jahren den Weg in Richtung Impf- und Testzentren einschlugen. Und Thun sieht auch ein strukturelles Problem: &bdquo;Beispiel Nordsee-Inseln: Hier fehlt schon seit Jahren Fachpersonal in der Gastro und der Touristik. Man hat dort einfach vergessen, den Angestellten Unterkünfte vor Ort zur Verfügung zu stellen. Und mehrmals wöchentlich vom Festland zu pendeln ist teuer und zeitaufwendig“. Als unattraktiv bewerten die beiden Fachleute Al Saeed und Thun einen Job in der Gastronomie ganz sicher nicht. &bdquo;Nur muss auch Herzblut und Leidenschaft dabeisein“, sagen die Beiden – sie leben es vor – siehe oben. In der Freiluftsaison werden auch sie diese Leidenschaft in Gestalt weiterer &bdquo;Man-Power“ brauchen, dann nämlich kommen 160 zu bewirtende Plätze auf der Terrasse des Wirtshauses 1802 hinzu.

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