Familien aus Bielefeld wird das Leben schwer gemacht

Bielefeld. Zu wenig Kitaplätze, Aufnahmestopp bei Kinderärzten und das knappe Angebot an Ganztagsplätzen an Grundschulen haben in den vergangenen Monaten immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt. Langsam fragen sich viele Familien, wie es eigentlich weitergehen soll. Wie familienfreundlich ist Bielefeld eigentlich heute? Man muss nicht lange zurückschauen, um schnell zu merken, dass die Probleme von früher viel mit den Problemen von heute zu tun haben. Blicken wir auf 2015. Damals stand der große Saal im Rathaus kopf. Viele hatten Protest-Plakate mitgebracht: &bdquo;Wie familienfreundlich ist Bielefeld?“, war darauf unter anderem zu lesen. 500 Erzieher, Eltern und Gewerkschaftsmitglieder waren zum Rathaus gekommen, um ihre Interessen zu vertreten. Sie sind dem Aufruf der Gewerkschaften Verdi und GEW gefolgt, um vor dem Rat der Stadt zu demonstrieren. Die Schlange der Menschen reichte vom Ratssaal bis in die Vorhalle, die Treppen hoch bis zum Rathaus-Eingang. Mit Trillerpfeifen, Hupen und Rasseln verschaffte sich die Menge Gehör. Die Erzieher forderten von der Politik Respekt und Anerkennung ihrer Leistung, Eltern wollten ein schnelles Ende des Kitastreiks und Geld zurück. Für Kitagebühren, die sie während des Streiks bezahlen mussten, ohne eine Leistung erhalten zu haben. In NRW werden im Vergleich hohe Elternbeiträge kassiert Wie sieht es sieben Jahre später in der Stadt aus? Der Frust, den man als Familie in Deutschland generell und in Bielefeld im Besonderen über die Jahre erlebt, ist immer noch da. Es fängt direkt nach der Geburt an: Die verzweifelte und mittlerweile oft erfolglos verlaufende Suche nach einer Kinderarztpraxis, als nächstes die entnervte Suche nach einem Kita-Platz, der Monate der Ungewissheit und beruflichen Planlosigkeit nach sich zieht. Haben Eltern endlich einen Platz bekommen, ist der Blick aufs Konto ernüchternd, denn wie in NRW üblich, kassiert auch Bielefeld kassiert Elternbeiträge ein. Sie können je nach Gehalt mehrere Hundert Euro im Monat betragen. In Berlin oder Mecklenburg Vorpommern sind Kitaplätze kostenlos, in vielen anderen Bundesländern zahlen Kinder über drei Jahren nichts. In Bielefeld sind die beiden letzten Kita-Jahre kostenlos – immerhin. Die freie Schulwahl soll in Bielefeld eingeschränkt werden Danach geht es auf die Schule. Auch dort verläuft der Start schnell frustrierend für viele. Der Traum von der Wunsch-Grundschule wird längst nicht mehr allen Eltern erfüllt und nun soll in der Stadt auch noch die freie Wahl der weiterführenden Schule eingeschränkt werden. All das löst ganz schön viel Frust aus bei Familien. Zum Beispiel bei Sandra und Frank Brücker und ihrem Sohn Mika (7). Die Familie hat bei mehr als 30 Kinderärzten in der Region angefragt, ob Mika als neuer Patient aufgenommen wird. Keine Chance. Und es könnte sogar noch viel schlimmer kommen, sagt Markus Heidemann, Sprecher der Bielefelder Kinder- und Jugendärzte, auf Anfrage der NW. Allein an den städtischen Bielefelder Kitas fehlen 50 Erzieherinnen und Erzieher Schlimmer geht fast immer. Das gilt auch für die Situation an den Bielefelder Kitas. 30 Stellen sind aktuell bei den städtischen Kitas unbesetzt. Das entspricht ungefähr 50 Erzieherinnen und Erzieher, die fehlen. Der zuständige Dezernent Ingo Nürnberger sieht pessimistisch in die Zukunft. Die Situation bei den weiteren Trägern sehe genauso schlimm aus – und werde sich perspektivisch noch weiter zuspitzen. Schon jetzt sind manche Einrichtungen gezwungen, ihre Betreuungszeiten zu kürzen. Für berufstätige Eltern ist das der schlimmste Fall und löst Stresssituationen aus – privat und beruflich. Schulministerin Dorothee Feller sieht den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz als &bdquo;Riesenherausforderung“ Der Spagat zwischen Familie und Beruf ist kein leichter. Erst recht nicht, wenn das Kind später keinen Ganztagsplatz an der Schule bekommt. Erst in dieser Woche wurde bekannt, dass NRW offenbar die Umsetzung eines Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz an einer Grundschule nicht fristgerecht schaffen wird. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) spricht von einer &bdquo;Riesenherausforderung“. Kinder und ihre Eltern haben einfach keine Lobby. Erst als die ersten Studien über die langfristigen Folgen eines Lockdowns bei Kindern und Eltern herauskamen, wurde deren psychisches Wohl überhaupt zur Kenntnis genommen. Passiert ist seither wenig. Zum Thema:"Generationen von Schülern wird grundlegende Bildung fehlen" - Interview mit Bildungsforscherin Michaela Vogt Die Nachwehen der Pandemie und die Integration der Flüchtlingskinder fordern Schulen immens Personalmangel, Überforderte Lehrer, ein völlig überlastetes Bildungssystem, frustrierte Schüler und Eltern – so war die Stimmung bei zahlreichen Familien Anfang 2021, als zum zweiten Mal während der Corona Pandemie die Schulen für unbestimmte Zeit geschlossen blieben. Und so ist die Stimmung auch jetzt. Die Nachwehen der Pandemie und die Integration der Flüchtlingskinder fordern Schulen immens. All die anderen Probleme wie Ob ein Kind gut mitkommt, liegt vor allem am individuellen Engagement einzelner Lehrer sowie deren technischer Ausstattung und Fähigkeiten. Und es hängt ab vom Engagement der Eltern. Ob Menschen Kinder bekommen wollen, hängt auch von der Frage ab, ob die, die hier wohnen, Bedingungen vorfinden, die ihnen Mut machen, sich für Kinder zu entscheiden, Kinder zu pflegen, zu erziehen. Politiker sind sich dieser Verantwortung manchmal offenbar nicht mehr bewusst.

Meistgelesen