Besonderer Einsatz Große Polizeipräsenz vor außergewöhnlichem Urteil am Bielefelder Landgericht

Bielefeld. Es ist ein furchtbares Verbrechen, das sich am Abend des 8. Dezember vergangenen Jahres an der Berliner Straße, Höhe des Treppenplatzes in Brackwede, abspielt. Schüsse peitschten gegen 21.45 Uhr durch die kalte Nacht. Tödlich verletzt liegt der 31-jährige Memo K. auf dem Boden. Sechs Monate später beginnt am 10. Juni vor dem Bielefelder Landgericht der Prozess gegen den mutmaßlichen Todesschützen Sinan K. Er flüchtet zunächst vom Tatort, stellt sich aber zwei Tage später der Polizei. Es soll ein Prozess werden, der allen Beteiligten, speziell Strafverteidigern, Staatsanwalt und Medienvertretern noch lange in Erinnerung bleiben wird. Der größte Saal im Gericht fasst am ersten Verhandlungstag lange nicht alle Besucher, die der Verhandlung folgen wollen. Zahlreiche Angehörige und Freunde der Opfer- und Täterfamilie, untereinander inzwischen stark verfeindet, wollen die Aufarbeitung des Kapitalverbrechens begleiten. Alle Besucher müssen sich strengen Einlasskontrollen unterziehen, werden auf Waffen oder gefährliche Werkzeuge durchsucht. Unglaubwürdige Zeugen Gleich zu Anfang bemängelt Strafverteidiger Holger Rostek, dass der Vater des Opfers unerlaubt vor Prozessbeginn Auszüge aus Gerichtsakten im sozialen Netzwerk veröffentlich habe. &bdquo;Das ist ein Störfaktor, das ist verboten und nicht gut. Weitere Zeugen könnten dadurch beeinflusst werden und sich ihre Aussagen entsprechend zurechtlegen“, sagt Rostek. Der Angeklagte Sinan K. will sich am ersten Verhandlungstag weder zu den Tatvorwürfen noch zu seiner Person und seinem Lebenslauf äußern. Schon die erste Zeugenaussage am ersten Verhandlungstag zeigt, dass es mit der Wahrheit nicht so genau genommen wird. Und deutlich wird ebenso, dass es an Respekt vor der Gerichtsbarkeit mangelt. In rüdem Ton herrscht der Zeuge die Strafverteidiger an, will sich von ihnen nicht &bdquo;verarschen“ lassen. Letztlich sei es die Mutter des Angeklagten gewesen, die für das ganze Übel verantwortlich sei. Sie sei mitverantwortlich für eine Brandstiftung an zehn Autos. Provozierend habe ihm der Angeklagte auf der Straße eine Pistole am Hosenbund gezeigt. In einer späteren, weiteren Vernehmung, widerruft er diese Aussagen. Er habe sich geirrt. Als mittlere Katastrophe bezeichnen die Strafverteidiger die Aussagen dieses Zeugen. Er weiche aus, beantworte keine Frage richtig und äußere Hasstiraden. Man könne so eine Aussage auch würdigen, sagt vorausschauend und emotionslos Staatsanwalt Christoph Mackel. Staatsanwalt sieht keine Mordmerkmale Sein Plädoyer stößt dann auf vollkommenes Unverständnis bei der Opferfamilie und deren Freunde. Statt einer von ihren Nebenklagevertretern geforderten lebenslänglichen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung sieht Mackel kein Mordmerkmal und plädiert für den Angeklagten auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren wegen Totschlags und versuchten Totschlags in vier Fällen. Der Angeklagte habe mit vier Schüssen das Opfer getroffen. Weitere Schüsse seien auf Anwesende abgegeben worden, hätten aber ihr Ziel verfehlt. Stimmung wird im sozialen Netzwerk angefeuert Die drei Strafverteidiger fordern eine wesentlich mildere Strafe. &bdquo;Das schlechteste Beweismittel in diesem Prozess waren die Zeugen. Sie riskierten Falschaussagen und tischten Lügengeschichten auf“, erklären die drei Verteidiger. Und das bringt auf der Opferseite das Fass zum Überlaufen. Unverschämtheiten und Schamlosigkeiten Im sozialen Netzwerk auf einer Gedenkseite für das Opfer ist danach die Rede von vielen Unverschämtheiten und Schamlosigkeiten der Lokalpresse, der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung. &bdquo;Es gibt keine Verteidigung mit abscheulichen Lügen, Unterstellungen und Vorwürfen. Verleumdung kann keine Verteidigungsstrategie sein, sie ist eine Straftat“, heißt es wörtlich. Es sei eine Strafanzeige gegen Holger Rostek bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld gestellt worden. Die vorhergehenden Verhandlungstage sind von Erinnerungslücken wichtiger Zeugen, widersprüchlichen Aussagen bei ersten Polizeivernehmungen und jetzt im Gericht geprägt. Immer wieder kommt es im Gerichtssaal oder Gerichtsgängen zu verbalen Scharmützeln, auch gegenüber Pressevertretern, und Drohgebärden zwischen Angehörigen und Freunden von Täter- und Opferfamilie. Neuland für Vorsitzenden Richter Im Sitzungssaal kommt es zu Handgreiflichkeiten, die den Vorsitzenden Richter Georg Zimmermann zum ersten Mal in seiner langen Amtszeit veranlassen, den Saal räumen zu lassen. &bdquo;Das Geschehen zeigt den fehlenden Respekt gegenüber dem Toten, den Lebenden, vielen anderen Schicksalen. Niemandem ist damit geholfen, wenn Zuschauer drohen, aufeinander losgehen und stören“ lautet sein Kommentar. Bei einem Besucher wird ein Einhandmesser gefunden. Heute wird das Urteil gefällt. Im sozialen Netzwerk wird von der Opferfamilie aufgerufen, dass alle im Gericht die Trauerfamilie unterstützen und den &bdquo;faschistischen Mörder“ verfluchen. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden verstärkt, die Polizei ist mit hoher Präsenz vor Ort.

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