Loom-Chef kritisiert: "Die Bielefelder Fußgängerzone ist vor 30 Jahren stehengeblieben"

Herr Tangerding, das Loom ist dieser Tage fünf Jahre alt geworden. Hatten Sie Grund zu feiern? Jan Tangerding: Eingeschränkt. Die letzten zwei Jahre mit Corona und dieses Jahr mit den wirtschaftlichen Unwägbarkeiten sind dann schon etwas schwierig gewesen. Die Markteinführung eines neuen Shopping-Centers dauert in der Regel drei bis fünf Jahre. Nun ist ein Großteil dieser Zeit von Corona bestimmt worden. Wie groß sind die Narben? Sie halten sich noch im Rahmen. In der Corona-Krise hatten wir fünf Abgänge. Die Miet-Partner waren so gebeutelt, dass sie es trotz staatlicher Hilfen nicht geschafft haben. In diesem Jahr hatten wir ebenfalls fünf Abgänge, die wir aber alle nachbesetzen konnten.Wir haben aktuell sechs Leerstände, davon zwei Gastroflächen. In einem Fall sind wir guter Dinge, dass sie kurzfristig nachbelegt wird. An vier Stellen tun wir uns seit zweieinhalb Jahren schwer. Dazu zählt die ehemalige Colosseum-Fläche im 1. Obergeschoss. Colosseum (Anbieter für Bekleidung, Anm. d. Red.) hat es schon im Sommer 2020 vom Markt gefegt. Die Fläche ist mit 250 Quadratmetern für viele Konzepte zu groß, die meisten benötigen 90 bis 140 Quadratmeter. Der nächste Nachfrageschwung liegt dann bei 700, 800 Quadratmeter. Welcher Frequenzwechsel ist denn noch normal, welcher bedenklich? Wenn es gut läuft, liegt die Wechselquote bei maximal zehn Prozent. Wir haben in den fünf Jahren insgesamt einen Mieterwechsel von 20 Prozent gehabt. Aktuell liegt die Leerstandsquote bei zehn Prozent. Es sollte eigentlich gar nichts leerstehen, aber es ist erträglich (lacht). Die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) kämpft ums Überleben, ebenso das Schuhhaus Görtz. Was lösen solche schlechten Nachrichten aus der unmittelbaren Nachbarschaft bei Ihnen aus? Schwierig zu sagen. Ich habe es in der Vergangenheit, auch an anderen Standorten, an denen ich bisher war, so empfunden: Wenn die City funktioniert und das Center funktioniert und beide vernünftig zusammenarbeiten, dann hat man am Ende mehr Gewinner als Verlierer. GKK und Görtz sind zwei Konzepte, die einen Standort stärken können. Wenn sie weggehen, macht es einen Standort insgesamt etwas unattraktiver. &bdquo;Etwas unattraktiver“ – klingt das bei Galeria nicht etwas untertrieben? Viele sagen, Galeria ist neben dem Loom in der Bahnhofstraße der Anker. Meine persönliche Meinung: Diese Funktion hat Galeria an vielen Standorten in den vergangenen Jahren einfach nicht mehr. Auch in Bielefeld nicht? Ich kenne Bielefeld tatsächlich nur unter Krisenmodus, da ich im Januar 2020 hier angekommen bin, sechs Wochen später kam der Lockdown. Daher kann ich es nicht wirklich beurteilen. Jeder einzelne Anbieter – und da nehme ich das Loom mit rein – hat einen gewissen Anteil an der Attraktivität der Innenstadt, den ich aber für jeden einzelnen nicht zu hoch ansetzen würde. Die Summe machts. Vom Bahnhof bis zum Jahnplatz ist so eine Vielfalt im Angebot, da würde mit Galeria nur ein Baustein fehlen. Das ganze Ensemble muss passen. Wie beurteilen sie aktuell das Image von Bielefeld? Die Attraktivität und das Angebot sind gut. Ich betrachte dabei das Ganze inklusive Altstadt. Es ist aber kein Geheimnis – das habe ich auch schon gegenüber den Kollegen von Stadtmarketing und Cityteam zum Ausdruck gebracht – dass die Fußgängerzone in der Bahnhofstraße ein bisschen stehengeblieben ist – so vor 30 Jahren. Das ist nicht so richtig attraktiv. Da fehlen gescheite Sitzplätze, da fehlt Grün, da fehlt überall ein bisschen was, damit es wirklich toll ist. Es gibt aber ein hochwertiges Angebot in der Altstadt und große Player in der Bahnhofstraße. Dadurch hat man die Magnetwirkung. Trotz all der Debatten um den Jahnplatz, das Parken, um den Verkehrsversuch &bdquo;Alt stadt.raum“? Ja. Man darf das Thema &bdquo;Verkehr“ nicht zu hoch hängen. Auch wenn der Deutsche mittlerweile nach amerikanischem Vorbild dazu neigt, fast mit dem Auto bis zur Bäckertheke zu fahren. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Ich glaube, wir müssen alle ein bisschen was tun, damit wir annähernd die Klimaziele erreichen, und man muss auch etwas für die Verkehrswende tun. Man muss nur sehen, wie man es macht. Und es ist meistens schwierig, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen.Die Diskussion um die Artur-Ladebeck-Straße oder die Herforder Straße, wo man je eine Fahrspur zugunsten des Radverkehrs zumachen will, ist verkehrt, wenn ich nicht zeitgleich ein Angebot schaffe, wie die Leute anders in die Stadt kommen können. Und wenn ich den ÖPNV im ländlichen Einzugsgebiet nicht entsprechend ausbaue, dann ist das für ein Oberzentrum wie Bielefeld meiner Meinung nach eine Katastrophe, einen solchen Plan für die Artur-Ladebeck-Straße einfach mal so rauszuhauen. Das ist aus Sicht der Innenstadt und des Handels nicht zu Ende gedacht. Was kann und sollte die Stadt Ihrer Ansicht tun, um dem Negativtrend in Innenstädten zu begegnen? Gefühlt wird seit zehn Jahren diskutiert, dass die Innenstädte sich wandeln müssen. Dazu gehört, dass man beispielsweise wieder mehr Wohnen in der Innenstadt anbietet. Stadt und Eigentümer könnten vielleicht gemeinsam an solchen Konzepten arbeiten. Die Aufenthaltsqualität in den Fußgängerzonen muss sich erhöhen. Wenn man im Sommer durch die Bahnhofstraße geht und keine Bäume hat, dann schluckt das keine Hitze. Ich persönlich war auch ein bisschen enttäuscht über die Gestaltung des Jahnplatzes, dass man da wieder komplett Steinwüste baut. Dass eine solche Steinfläche in Zeiten des Klimawandels nicht das Ideale ist, ist ja keine Erkenntnis des Sommers 2022, damit müssen sich die Stadtplaner auseinandersetzen. Wir brauchen mehr Grün, vernünftige Sitzplätze zum Verweilen, ohne Konsumpflicht. In einer langen Fußgängerzone wie der Bahnhofstraße wären auch drei bis vier Spielgeräte für Kinder ganz angenehm. Das sind kleine Dinge, man muss sie halt nur tun. Wie steht es um Ihre Besucherfrequenz? Wir liegen in den letzten drei Monaten im Schnitt zwischen 90 und 94 Prozent gegenüber 2019. Es gab zwei Samstage mit 45.000 und 46.000 Besuchern, das ist wirklich gut. Der schwächste Tag war mit 22.000 Besuchern. Zu den Zielgruppen läuft gerade eine neue Auswertung. 2019 haben die bis 25-Jährigen ein Drittel unserer Kunden ausgemacht, zudem kommen viele Familien mit kleinen Kindern. Was rechnen Sie sich fürs Weihnachtsgeschäft aus? Ich glaube, die Stimmung ist dank der ganzen Pakete, die gerade in Berlin geschnürt werden, nicht mehr ganz so pessimistisch. Ich denke aber, es wird ein etwas verhalteneres Weihnachten. Bei den Kindern wird mit Sicherheit am wenigsten gespart. Die hohen Spritpreise werden mehr Menschen in der Stadt halten, die sonst auch mal zum Shoppen in umliegende Städte gefahren sind. Wie steht es im Loom mit dem Thema &bdquo;Energie“? Schwierig, wie überall. Wir haben wirklich alles geprüft – jedes Watt zählt. Wir schalten unser Loom-Logo nun später ein und früher aus. Wir haben alle Lichtvouten im Haus ausgeschaltet, die Schaltzeiten aller Lüftungsanlagen überprüft und mit Maß reduziert. Das war spannend. Wenn wir richtig liegen und wir gehen von einer Stromersparnis im hoffentlich zweistelligen Bereich aus.

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