Drei Tage nach der Verhaftung: Mordverdächtiger bringt sich in Bielefelder Zelle um

Bielefeld/Exter. Drei Tage nach seiner Verhaftung hat sich der mordverdächtige Deutsche (38), der 2014 in Vlotho-Exter die Seniorin Agnes N. getötet haben soll, selbst das Leben genommen. Wachtbedienstete der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede (JVA) fanden den 38-jährigen Herforder am Freitagabend, 28. Oktober, mit schweren Verletzungen in seiner Zelle. Das bestätigt der Leiter des Bielefelder Gefängnisses in einer Mitteilung. Der 38-Jährige hatte seine Untersuchungshaft in einem Einzelhaftraum verbracht. Gegen 19.45 Uhr fanden ihn JVA-Beamte mit schweren, offenbar selbst zugefügten Verletzungen in seiner Zelle. Nach sofortiger Versorgung durch Ersthelfer, wurde er von Rettungsdienst und Notarzt ins Krankenhaus gebracht. Doch dort verloren die Ärzte am späten Abend des Folgetages den Kampf um sein Leben. Cold Case nach acht Jahren kurz vor der Aufklärung Kripo und Staatsanwaltschaft nahmen die Ermittlungen zu dem Todesfall auf, konnten nach Angaben der JVA aber keine Hinweise auf ein Fremdverschulden finden. Sie gehen also von einem Suizid aus. Wie die Staatsanwaltschaft mitteilt, gab es bei Haftantritt des Beschuldigten keine Anzeichen auf eine Suizidgefahr. Dennoch wurde er nach Informationen dieser Zeitung in diesen ersten Tagen der Haft alle 15 Minuten in seiner Zelle kontrolliert. Offenbar reichte die kurze Zeit zwischen den Kontrollen aus, um seinen Plan zu vollenden. Der Fall Agnes N. aus dem Jahr 2014 hat deshalb eine besondere Bedeutung, weil die Ermittlungen der Kripo vor Jahren bereits eigentlich beendet worden waren. Doch der Fall wurde als &bdquo;Cold Case“ (unaufgeklärter Mordfall) im Herbst 2022 neu aufgerollt. LKA-Experten hatten erfolgversprechende Mikrospuren erkannt, die mit Hilfe neuartiger Spurenauswertungs- und Analysemethoden den Durchbruch brachten. Schließlich fanden die Mordermittler dadurch nachträglich DNA des 38-Jährigen an der Kleidung des Opfers. Die Staatsanwaltschaft erwirkte daraufhin am 25. Oktober Haftbefehl wegen heimtückischen Mordes aus Habgier gegen den Herforder, die Kripo nahm ihn kurz darauf in seiner Wohnung fest. Drei Tage später nahm sich der Mordverdächtige sich das Leben. Auch der Bielefelder Serienvergewaltiger täuschte die Gefängnisverantwortlichen Eine ähnliche Reaktion zeigte auch der Serienvergewaltiger Philipp G., der als Klinikarzt nach der Vergewaltigung und dem Missbrauch von 32 narkotisierten Patientinnen verhaftet und im September 2020 in die JVA Brackwede gebracht wurde. Auch er zeigte bei der Aufnahme nach außen hin keinerlei Anzeichen für eine seelische Krise. Sein Zustand wirkte so stabil, dass man in der JVA sogar auf die regelmäßigen Kontrollen verzichtet. Zwei Tage nach Verkündung seines Haftbefehls erstickte er sich in seiner Zelle und entzog sich mit seinem Tod dem drohenden Strafverfahren. Er hinterließ zahlreiche Briefe und Anweisungen für Kontaktpersonen. Experten sprechen hier eher von einem Bilanz-Suizid. Seit Jahren kritisieren Beobachter, dass es Gefangenen immer wieder gelinge, sich unbemerkt in der Zelle das Leben zu nehmen. Das gelte für suizidgefährdete Häftlinge wie auch für solche, denen keine Krise anzumerken sei. Für eine effektive Suizidprävention mangele es in den Gefängnissen an Personal, so die Kritik. Insbesondere in den Nachtschichten sei es für die dann allein verantwortlichen Beamten nur schwer möglich, alle Kontrollen in der gewünschten Form zu erledigen. Beschuldigte eines Kapitaldeliktes sind am meisten gefährdet Studien zeigen, dass Suizide im Gefängnis häufiger in der ersten Phase der Inhaftierung begangen werden. Bei Untersuchungsgefangenen sind die höchsten Suizidraten zu verzeichnen (38 Prozent). 18 Prozent der Taten ereigneten sich noch in der in der frühen Phase der Strafhaft. Besonders gefährdet sind demnach Gefangene, die wegen eines Tötungsdeliktes (Faktor 2,5), einer Körperverletzung (1,6) oder wegen eines Sexualdelikts (1,5) beschuldigt sind, heißt es in einer Mitteilung des Bundesgesundheitsministeriums zum Thema &bdquo;Suizidprävention im Justizvollzug“. Die Gewerkschaft Strafvollzug glaubt nicht, dass sich Suizide durch schärfere Kontrollen in Haft verhindern lassen. Vielmehr fehle es an der nötigen Zahl von Behandlungsmöglichkeiten in den Justizkrankenhäusern für die psychisch auffälligen Häftlinge. Künstliche Intelligenz soll die Überwachung verbessern Versuche, Häftlinge mit künstlicher Intelligenz (KI) zu überwachen und auf diese Wiese suizidale Verhaltensmuster schnell und frühzeitig zu erkennen, hatte das Justizministerium NRW mit einem Forschungsprojekt 2019 angestoßen. Von Ergebnissen dazu war seitdem nichts mehr zu erfahren. Für ein vergleichbares KI-Pilotprojekt in der niedersächsischen JVA Oldenburg wurde im Juli 2022 eigens eine für die Überwachung nötige Gesetzesnovelle verabschiedet. Anmerkung der Redaktion: Generell berichten wir nicht über Selbsttötungen, es sei denn, es gibt besondere Gründe für eine erhöhte Aufmerksamkeit. Wir halten uns möglichst zurück, da es bei Suiziden eine hohe Nachahmerquote gibt. Sollten Sie sich von besonderen Lebensumständen betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie 24 Stunden am Tag Hilfe und Beratung. In Bielefeld erreichen Sie außerdem den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt Bielefeld (werktags von 8 bis 15 Uhr) unter Tel. (05 21) 51 25 81 sowie den Krisendienst Bielefeld (werktags von 18 bis 7.30 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen rund um die Uhr) unter Tel. (05 21) 32 99 285.

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