Krasse Zeiten: Was Bielefelder Schüler jetzt stärkt

Bielefeld. Es ist, wie es ist, aber es wird, was du daraus machst. Nicht immer einfach, bei all den Negativnachrichten den Optimismus nicht zu verlieren. Immer mehr Schüler leiden unter psychischen Problemen. Immer stark sein zu sollen, kann auch mehr als stressen, sagen Schüler. Alles nicht so einfach. Dass Schwäche zeigen total in Ordnung ist, sich Hilfe zu suchen, bevor etwas aus dem Ruder läuft, haben Nicole (18), Johanna (17) und Margarita (16) bei einem besonderen Projekttag an der Marienschule zur psychischen Gesundheit gelernt. Über Tabuthemen sprechen Depressionen, Suizidgedanken, Angst- oder Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie: &bdquo;Das sind alles Themen, über die man sonst eben nicht spricht“, berichten die drei. Leistung stehe im Schulalltag oft im Vordergrund. Immer die oder der Beste sein. Hinzu kämen oft total unrealistische Ideale und schräge Trends wie aktuell &bdquo;Brazilian Butt Lift“ (BBL), schönheitschirurgische Eingriffe, die von Influencern vermittelt werden. Und Selbstdarstellung mit allerlei Filtern. Das habe im Lockdown noch mehr an Gewicht bekommen, weil echte Treffen zeitweise kaum möglich waren. Schwach zu sein, oder sich Fehler einzugestehen, falle vielen schwer. &bdquo;Im Projekt wurde die Themen offen angesprochen, wir haben sehr viel über psychische Krankheiten gelernt – und was dahintersteckt“, sagt Nicole. &bdquo;Vorher haben einige sich eher darüber lustig gemacht, oder fanden’s einfach gruselig“, ergänzt Margarita. Der oder die sei doch nur einfach faul und solle sich nicht so anstellen, höre man oft bei Depressionen. Andere haben doch noch viel schwerwiegendere Probleme. Oft würden die Menschen abgestempelt, und auf ihre Krankheit reduziert. &bdquo;Wir haben gelernt, dass es nicht erst wirklich schlimm werden muss, bevor man sich Hilfe sucht“, ergänzt Johanna. Man sei damit nicht allein. Beeindruckt habe auch der Bericht eine Betroffene, die die Stufe am Projekttag besucht hat. So gehe man nochmal ganz anders mit den Krankheitsbildern und auch Vorurteilen um. Die Zeit der Unbeschwertheit ist vorbei &bdquo;In der Krisenzeit haben wir angefangen erwachsen zu werden“, sagt Johanna. Die Zeit der Unbeschwertheit sei im Lockdown und bei all den aktuellen Ereignissen jetzt irgendwie vorbei, meinen auch die anderen. Aber: &bdquo;Es wird kommen, was kommen soll, wir können es eh nicht ändern“, sagt Nicole. Mitgefühl für die Menschen in der Ukraine sei wichtig. Aber es helfe auch nicht, sich von den Nachrichten ganz runterziehen zu lassen. Hilfreich sei, im eigenen Leben immer wieder den Blick auf das Positive zu richten und sich an kleinen Dingen zu erfreuen. Oder einfach mal etwas Neues auszuprobieren. Aber eben sich auch zu trauen, über Ängste und Sorgen zu sprechen, nicht immer nur schön und stark sein zu wollen. Klar beschäftige es sie, wenn beispielsweise im LK-Fach Unterricht ausfalle, weil Lehrer fehlten oder es Streit mit Freunden gibt. Was gut tut Was gut tut, auch mit Blick auf trübe Herbsttage oder stressige Prüfungssituationen – und auch schon durch den Lockdown getragen hat? Das ist unterschiedlich, berichten die drei. So ist es für Johanna der Zusammenhalt: Familie und engste Freunde. Für Nicole die Beziehung zu ihrem Freund, und ebenfalls enge Freunde. &bdquo;Ich war sehr abhängig von anderen Leuten“, sagt hingegen Margarita. Sie habe sich im Lockdown sehr mit sich selbst beschäftigt, sehr viel reflektiert. &bdquo;Der eigene Selbstwert darf nicht von anderen abhängen“, sagt die 16-Jährige. Ihre Gedanken jeden Abend aufzuschreiben, oft in Gedichtform, habe ihr sehr geholfen. Im Stabiel-Projekt haben sie eine kleine, aber aus ihrer Sicht sehr hilfreiche Übung kennengelernt: Vier Sekunden lang einatmen, den Atem vier Sekunden lang halten, dann vier Sekunden ausatmen: Das sei sehr beruhigend und hilfreich in Notsituationen, bei Prüfungsstress oder selbst auch bei Panikattacken. Das sagt die Lehrerin Beratungslehrerin Martina Kober hat das Stabiel-Projekt an die Marienschule geholt. Psychischen Erkrankungen das Tabu zu nehmen und offen darüber sprechen zu können, sei ganz wichtig. Das helfe auch, sich bei anderen Themen zu öffnen, ernst genommen zu fühlen und sich bei Bedarf Hilfe zu holen. &bdquo;Keiner musste etwas von sich preisgeben, es ging erst einmal um das allgemeine Verständnis für die Thematik“, sagt Kober. Und zu schauen, was einem selbst in Krisenzeiten gut tun kann. Im Nachgang hätten aber ganz viele angefangen zu erzählen, auch die anfangs oft eher zurückhaltenderen Jungs. Der Tag habe nach dem offiziellen Part erst so richtig begonnen. &bdquo;Hier gibt es in jedem Jahrgang mindestens fünf Schüler oder Schülerinnen, die in psychologischer Behandlung sind“, ergänzt Kober. Dass man auch mit einer psychischen Erkrankung ein erfülltes Leben führen könne, sei auch eine Erkenntnis des Projekts gewesen. Manches könne man jetzt besser einordnen. &bdquo;Auch das Klima in der Stufe hat sich positiv verändert.“ Sie könne das Projekt nur weiterempfehlen. Info zum Projekt Das Stabiel-Konzept stammt aus Kanada und ist in Bielefeld jetzt ein Kooperationsprojekt der Andreas-Mohn-Stiftung, der Schulberatungsstelle und des Vereins Psychiatrie-Erfahrener Bielefeld (VPE). Unterrichtsprogramm zur Förderung der psychischen Gesundheit Zielgruppe: 8. bis 10. Klasse (auch für ältere Jahrgänge möglich) Durchführung durch Lehrkräfte oder Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter 6 Module, 8 Unterrichtsstunden; flexibles zeitliches Format: Regelunterricht oder Projekttage Materialien werden zur Verfügung gestellt Kostenlose halbtägige Fortbildung für durchführende Personen / Lehrkräfte vorab Auf Anfrage können auch schulinterne Fortbildungen oder Beratungen angeboten werden Kontakt und weiter Infos unter https://www.andreas-mohn-stiftung.de/de/projekte/gesundheit-und-soziales/stabiel/

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