Verwirrung um Jahnplatz-Radwege, die keine sind: Blinde vors Rad geleitet

Bielefeld. Fußgänger und Radfahrer sollen auf dem neuen Jahnplatz aufeinander acht geben. Die Umsetzung dieser Mischverkehrszone ist Neuland für die Stadt und für seine Nutzer. Vieles muss sich also noch einspielen. Nach den ersten Tagen hat man teilweise den Eindruck, dass einige schon verstanden haben, dass es hier um Rücksicht geht. Andere versuchen hier Rechte durchzusetzen, die sie gar nicht haben. Besonders gefährdet sind allerdings diejenigen, die die Gefahr gar nicht sehen können. Und die werden mitten ins Konfliktfeld geführt. Blinde auf dem Radweg Zwei sehbehinderte Bielefelder haben sich gemeldet, nachdem sie durch das taktile Leitsystem auf dem Boden, dass Blinde und Sehbehinderte sicher über den Platz führen soll, ohne Vorwarnung direkt auf den Radweg geführt wurden. Dafür sind die Leitrillen Sehbehinderte folgen an belebten Orten wie Haltestellen sogenannten Leitstreifen. Das sind auf dem Boden verlegte Rippen oder Rillen, die den Menschen über den Blindenstock die Laufrichtung anzeigen. &bdquo;Wenn ich normalerweise einem solchen Streifen folge, überquere ich keine Straße oder einen Radweg“, erklärt ein 45-jähriger Bielefelder, der 90 Prozent seiner Sehkraft verloren hat. Hier ist das anders. Die Rippen leiten die Blinden direkt quer über den Radweg. &bdquo;Dabei kann ich die Radfahrer nicht hören. Da muss ich doch eine Vorwarnung bekommen.“ Dies könnte etwa durch eine Unterbrechung der Leitlinie durch Noppen – ein sogenanntes Aufmerksamkeitsfeld – geschehen. Ist hier ein Fehler geschehen? Radweg ist kein Radweg Auf Anfrage berichtet Andreas Bruder, Vorsitzender des Blinden- und Sehbehinderten-Vereins Bielefeld, dass diese Leitlinien durchaus so gewollt sind: &bdquo;Denn formalrechtlich ist der schwarze Asphalt, auf dem die Radler über den Jahnplatz fahren, kein Radweg“, erklärt er. Der Bereich der querenden Leitlinien ist sogar noch hervorgehoben, indem der schwarze Asphalt an dieser Stelle nochmals durch Pflastersteine unterbrochen ist: &bdquo;Der Fußgänger ist an dieser Stelle bevorrechtigt“, erklärt Bruder. Darauf haben wir bestanden, nachdem klar war, dass das Kopenhagener Modell am Jahnplatz nicht umgesetzt würde. Schwarzer Weg folgt auf roten Tatsächlich bestätigt auch Barbara Choryan, Nahverkehrsbeauftragte der Stadt, dass mit Erreichen des Jahnplatzes der Radweg nicht mehr benutzungspflichtig ist. Der Radweg sei tatsächlich aufgehoben. Denn hier handelt es sich um eine Mischverkehrszone, in der theoretisch alle gleichberechtigt sind. Wer vom Oberntorwall oder der Herforder Straße heranradelt, bemerkt diese Veränderung allerdings nur durch den Farbwechsel des Radweges: Der ist plötzlich nicht mehr rot, sondern durch schwarzen Asphalt und mehrere Radler-Piktogramme zu erkennen. Eine Auflösung der Radwegs in Form eines Schildes findet sich nicht. Plötzlich Absteigepflicht? Im Gegenteil: Am Oberntorwall steht plötzlich zweimal das Verkehrszeichen &bdquo;Sonderweg für Fußgänger“ (das Symbol einer Mutter mit Kind auf blauem, rundem Schild). Dort müssten Radler theoretisch absteigen und bis zum Jahnplatz schieben. Doch ihr Radweg ist immer noch deutlich durch Piktogramme erkennbar. Fehlt hier der Zusatz &bdquo;Radler frei“? Choryan bestätigt: &bdquo;Das ist noch nicht gut gelöst.“ Vorrang nicht zu bemerken Dass zahlreiche Radler diesen feinen Unterschied gar nicht erkennen, zeigt sich daran, dass sie mit wildem und teilweise aggressivem Klingeln die Fußgänger von &bdquo;ihrem“ Radweg auf dem Jahnplatz wegscheuchen. Dass die aber hier sogar bevorrechtigt sein könnten, wie der Blindenverein sagt, darauf kommen die wenigsten. Die Bedeutung der quer verlaufenden Blindenleitlinie ist für die Radler ohnehin nicht als Zeichen eines Vorrangs zu erkennen. &bdquo;Die Stadt weiß gar nicht, wie sie diesen Bereich beschildern soll“, sagt Bruder, der auch Vorsitzender des städtischen Beirats für Behindertenfragen ist. Tatsächlich gibt es kaum Verkehrszeichen. Eigenverantwortung ist das Ziel. Doch die rechtliche Situation auf dem schwarzen Radweg bleibt dadurch unklar. Ist es noch ein Radweg? Oder ist er aufgelöst. Sind Fußgänger und Radler gleichberechtigt oder haben die Fußgänger Vorrang und wenn ja, wo? Choryan betont: &bdquo;Auch für uns ist das alles Neuland.“ Sie hofft, dass man mit Aufklärungskampagnen mehr Klarheit schaffen könne. Kopenhagener Modell von der Stadt nicht gewollt Andreas Bruder betont, dass er die gesamte Situation auf dem Jahnplatz bedauere. &bdquo;Die Stadt wollte das viel zitierte Kopenhagener Modell ja gar nicht umsetzen.“ Dort führe ein durch Bordsteine abgesenkter Radweg mit Benutzungspflicht an den Haltestellen vorbei. &bdquo;Das war nicht gewollt, damit die Radfahrer auch abbiegen können.“ Blindenhund sucht Bordstein &bdquo;In Kopenhagen ist die Überquerung der Fußgänger zur Haltestelle sogar mit Ampeln geregelt“, sagt Bruder. Erst wenn die Radler bei Rot stehen bleiben, können die Fußgänger sicher auf die andere Seite. Für Sehbehinderte seien Bordsteine sichere Erkennungszeichen. Das Fehlen einer solchen Kante sei ein leider typisches Problem: Bruder selbst bewegt sich in der Stadt mit einem Blindenhund. &bdquo;Der ist darauf trainiert, am Bordstein anzuhalten. Sonst folgt er dem direkt sichtbaren Weg zum Ziel.“ Bruder habe den Jahnplatz noch nicht getestet, sei daher gespannt, ob sein Hund den Radweg erkenne und anhalte. Startschwierigkeiten Dennoch sei er der Auffassung, dass man dem Platz und der Stadt die Möglichkeit einräumen sollte, sich zurechtzuruckeln. &bdquo;Es gibt immer ein paar Startschwierigkeiten.“ So fehlten wohl auch noch die Blindenknöpfe an den Ampeln, die durch akustische Signale das Umspringen auf Grün hörbar machen. Aufgrund von Lieferschwierigkeiten bei elektrischen Bauteilen konnten die noch nicht eingebaut werden. &bdquo;Das müssen wir einfach abwarten.“ Ein ersten Ortstermin mit dem Blinden- und Sehbehinderten-Verein sowie dem Amt für Verkehr soll es in Kürze geben. Radler an Bushaltestellen Auch für Radler gibt es übrigens ganz ungeachtet der neuen Jahnplatz-Situation eine wesentliche Verkehrsregel, die sie immer am Jahnplatz beachten müssen: Paragraf 20 der Straßenverkehrsordnung gibt vor, dass an Bus- und Bahnhaltestellen nur vorsichtig vorbeigefahren werden darf. &bdquo;Wenn Fahrgäste ein- oder aussteigen, darf rechts nur mit Schrittgeschwindigkeit und nur in einem solchen Abstand vorbeigefahren werden, dass eine Gefährdung ausgeschlossen ist.“ Die Aussteigenden dürfen demnach auch nicht behindert werden. Wenn nötig, heißt das Absteigen und Warten.

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