Kritik an Plan für Bielefelder Heroin-Praxis

Bielefeld "Wir sollten nicht vergessen, weshalb wir heute hier sind", sagt Michael Wiese, Geschäftsführer der Drogenberatung Bielefeld. Burkhard Blienert, der Beauftragte der Bundesregierung für Drogenfragen, ist am Donnerstag zum "Internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebraucher" in das Drogenhilfezentrum an der Borsigstraße gekommen. Hinter dem etwas sperrigen Gedenktag-Namen verbergen sich traurige Schicksale: Fast 2000 Menschen sind 2021 in Deutschland am Konsum illegaler Drogen verstorben, 15 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Neun von ihnen starben in Bielefeld. Die tödlichste Droge ist nach wie vor das Herion. Um Wege, die Heroinsucht in den Griff zu bekommen, geht es an diesem Gedenktag ebenfalls. Dazu gehören auch umstrittene. Der Düsseldorfer Mediziner Christian Plattner möchte in der früheren Hauptpost an der Nahariyastraße eine Diamorphinpraxis einrichten und dort pharmazeutisch hergestelltes Heroin, das ist Diamorphin, an Schwerstabhängige abgeben. Bis zu 300 Abhängige, meist mit langen Drogenkarrieren und kaum noch therapierbar, aus der ganzen Region sollen dort das Substitut, den Ersatz für "schmutziges" Straßenheroin, verabreicht bekommen. Sie müssen täglich kommen, manche sogar zwei- bis dreimal an einem Tag. "Das ist in dieser Größenordnung nicht beherrschbar", sagt Michael Wiese. Diamorphin eigne sich zwar gut zur Substitution. Aber so viele Menschen, die zumeist von auswärts kämen und all die Folgeerscheinungen der Abhängigkeit mitbrächten, würden zu einer Belastung für die Stadtgesellschaft. Sie hielten sich eben nicht nur kurz in der Stadt auf, sondern blieben über viele Stunden. Das könne auch von den Betreuungsangeboten, die die neue Praxis machen will, nicht aufgefangen werden. Er schätzt, dass aus Bielefeld selbst nur rund 50 Abhängige für eine Diamorphin-Gabe in Frage kämen. Überdimensionierte Großpraxis Eine Praxis, die sich Patienten in dieser Größenordnung widmet, kann sich auch Bielefelds Sozialdezernent Ingo Nürnberger vorstellen. Selbst den umstrittenen Standort in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof würde Nürnberger dafür in Kauf nehmen. Doch die geplante Großpraxis hält er für überdimensioniert. "Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie da eine Zusammenarbeit mit den örtlichen Drogenhilfeeinrichtungen funktionieren soll", sagt er. Und die wäre Bedingung für die Genehmigung der Diamorphin-Praxis. Für die Genehmigung ist allerdings nicht die Stadt, sondern die Bezirksregierung in Detmold zuständig. Nürnberger hofft, dass die Bezirksregierung die Praxis nicht genehmigt. "Auch wenn ich weiß, dass die rechtlichen Hürden für eine Nicht-Genehmigung hoch sind." Plattner hat die Räume im Postgebäude bereits angemietet. Aktuell soll der Ausbau der Praxis ruhen. Der Arzt plant weitere vier Diamorphin-Praxen in NRW. Und vier gibt es auch schon: in Düsseldorf, Iserlohn Holzwickede und Wuppertal. Hat sich da ein Geschäftsmodell auf den Schultern der Abhängigen entwickelt? Der Bundesbeauftragte Burkhard Blienert, ein früherer SPD-Bundestagsabgeordneter, will das nicht kommentieren. Er lobt vielmehr die in Bielefeld über Jahre gewachsenen Strukturen, die in der Stadt zu einem ausgewogenen Miteinander geführt hätten. "Das Bielefelder Modell hat sich bewährt." Im Drogenkonsumraum an der Borsigtraße bereitet Krankenpfleger Frank Griwatz unterdessen die nächsten Sets für die Abhängigen vor, die sich unter hygienischen Bedingungen den nächsten Schuss setzen wollen. Auch das ist im Drogenhilfezentrum möglich. Jeweils ein Löffel, Vitamin C-Pulver, Pflaster, Desinfektionstücher und eine Spritze liegen in Pappschalen bereit. "40 bis 50 Menschen kommen täglich, manche auch zweimal am Tag", sagt er. Im Aufenthaltsraum des Zentrums ist am Tag der Drogentoten ein Bord mit kleinen Vasen aufgestellt. Wer will, kann sich eine Rose nehmen, sie in eine der Vasen stellen und dazu eine Zettel anheften, auf dem ein paar Worte zum Gedenken stehen: an die, die in Bielefeld ihr Leben wegen der Drogensucht verloren haben.

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