Bielefeld. Der Entertainer mit dem lasziven Hüftschwung, der in den 1950ern den Rock n Roll nach Deutschland brachte, bleibt im Unruhestand. Im März kommt der 83-Jährige nach Bielefeld. Olaf Neumann hat im Vorfeld mit ihm über die Arbeit an seinem Album und was die Fans bei seinem Konzert erwarten dürfen gesprochen.
Herr Kraus, Sie singen auf Ihrer neuen Platte „Idole“ die Songs Ihrer Helden aus der Kindheit: Frank Sinatra, Sammy Davis jr., Nat King Cole, Louis Armstrong, Bill Haley, Chuck Berry, Elvis Presley. Wie wäre die Musik ohne diese Pioniere?
PETER KRAUS: Dafür müsste man erst einmal die Musik von heute zerlegen. Die lebt von technischen Errungenschaften und nicht mehr von guten Kompositionen, guten Melodien und guten Texten. Mit wenigen Ausnahmen hat der Gesang in einem Werk nicht mehr Stellenwert als eine Gitarre, die ein Riff spielt. Die Lieder von heute sind nicht vergleichbar mit dem American Songbook. Wenn ich meinem ersten Producer eine Nummer vorgespielt oder vorgesungen habe, sagte er immer: „Einen Hit musst du mir auf dem Kamm vorblasen können!“ Der braucht das alles nicht, will ich damit sagen. Bei uns ist die Musik noch handgestrickt und echt.
Helge Schneider spielt auf Ihrem Album Klavier, Piano und Saxofon. Wie war es, mit ihm zu arbeiten?
Wir sind nicht zusammengesessen, sondern wir haben die Lieder, auf denen Helge mitspielen sollte, vorab aufgenommen. Damit ist mein Gitarrist André Tolba zu ihm gefahren, wo Helge seine Soli dazu gespielt hat. Ganz früher hat man sich als Band getroffen und einfach ein Mikrofon in die Mitte gestellt. Ich bin sehr froh, dass Helge auch bei einem meiner Videos mitspielt. Annett Louisan übrigens auch. Es besteht die große Hoffnung, dass Helge uns auf der Tournee einmal besucht oder wir vielleicht in irgendeiner Fernsehsendung live zusammen spielen. Super fand ich auch, dass Till Brönner mitgemacht hat. Was will man mehr.
Götz Alsmann, Till Brönner, Annett Louisan, Helge Schneider – wollten Sie mit Künstlern arbeiten, die Ihre Werte teilen?
Das würde ich sagen. Wir haben keine einzige Absage bekommen von diesen grandiosen Künstlern. Das bestätigt einen als Musiker. Es waren immer spannende Momente. Wenn dann ein Helge Schneider zurückruft, um zu fragen, ob ich noch eine Nummer hätte, auf der er Klavier spielen könne, ist das unfassbar schön.
Ihr musikalisches Programm ist getragen von den originalen, natürlichen Stimmen der Künstler und Instrumente. Ist das heute nicht mehr selbstverständlich?
Bei uns gibt es keine Tricks. Es gibt auch kein Feuerwerk und es kommt kein Nebel. Es passiert gar nichts, außer dass sieben Mann live Musik machen und das Publikum zu unterhalten versuchen.
2023 gehen Sie auf Ihre sechste Abschiedstournee. Wird es die letzte sein?
Langsam wird es gespenstisch. Fünf sollten es eigentlich sein. Aber ehrlich, die Sache mit der Abschiedstour ist zum Running Gag geworden. Diese neue Tour und das Album sind durch die viele frei gewordene Zeit während der Pandemie entstanden. Man muss der Musik treu bleiben. Ich habe in der Zeit oft mit meinem Gitarristen telefoniert, und er hat mir dann Playbacks von zum Beispiel „Mr. Bojangles“ geschickt. Da habe ich drauf gesungen und es ihm per Handy zurückgeschickt. Wenn es dann auch noch eine Plattenfirma gibt, die das unbedingt haben will, rollt der Zug wieder los. Die beste Werbung für eine CD ist eine Tournee. Aber bei meiner Tour Meine Hits – Meine Idole werde ich natürlich nicht nur die neuen Stücke spielen, sondern auch meine Hits und Evergreens. Das erwarten meine Fans und ich werde sie auf keinen Fall enttäuschen.
Bereiten Sie sich jetzt schon auf die Tour „Meine Hits – meine Idole“ vor?
Ja sicher. Wir haben kürzlich seit langer Zeit wieder live gespielt und zwischen den Rock-n-Roll-Nummern Swingtitel von Nat King Cole und Sammy Davis jr. dargeboten. Die Leute waren begeistert. Ich sagte zu ihnen, dass diese Titel sogar noch älter seien. Wir spielen jetzt auf ein paar Festivals, um sie auszuprobieren. Ziel ist, dass wir bis zur Tournee 2023 alles durchgespielt haben. Dann proben wir auch gar nicht mehr, sondern wir präsentieren lieber alles direkt auf der Bühne. Der erste Abend meiner letzten Tournee ist sogar aufgezeichnet worden, weil mein Manager meinte, ich ändere ja sowieso nichts am Programm. Da könne ich auch gleich das Auftaktkonzert live mitschneiden lassen. Da war ich dann ein bisschen nervös. Das liegt vielleicht an der langjährigen Routine. Irgendwas muss ja dabei herauskommen, wenn man seit fast 70 Jahren Musik macht.
Wie alt waren Sie bei Ihrem ersten Live-Auftritt?
16. Drei Monate später ist meine erste Single „Tutti Frutti“ erschienen. Der Gitarrist auf der Platte war übrigens clever und hatte sich aus Amerika den Originalverstärker schicken lassen. Seine Gibson klang dann auch so wie bei Little Richard. Es war nicht so, dass wir die Songs einfach nachgespielt haben. Wir mussten uns da wirklich reinknien. Little Richards Original war ein Hit auf den schwarzen Sendern in Amerika. Der weiße Rock-n-Roll-Sänger Pat Boone hat davon eine „milky version“ aufgenommen. Er war so erfolgreich, weil er nichts anderes tat als die Hits der schwarzen Kollegen in eine „feinere“ Form zu bringen. Little Richard war damals in Deutschland lange nicht so bekannt wie Boone, aber heute spricht man eigentlich nur von ihm, wenn es um „Tutti Frutti“ geht. Wäre Chuck Berry weiß gewesen, hätte es Elvis Presley gar nicht so leicht gehabt.
Sie entwickelten sich in den 1950ern zu einem der populärsten deutschsprachigen RocknRoll-Sänger und dem ersten hiesigen Teenageridol der Nachkriegszeit. Schon lange vor den Beatles bekamen Sie es mit Kreischorgien zu tun. War das von Anfang an der Fall?
In München gab es einen großen Aufschrei, dass für die Jugend nichts getan werde. Die Abendzeitung hat dann ein „Jazzkonzert für die Jugend“ veranstaltet. Alle Musik aus Amerika wurde Jazz genannt – und man malte einen Mohrenkopf auf den Flyer. Das war damals einfach so. Heute natürlich völlig unmöglich. Bei diesem erschwinglichen Jugendkonzert haben außer mir eigentlich nur ältere Musiker gespielt. Max Greger zum Beispiel im weißen Dinnerjacket. Und dann sagte ein Sprecher: „Jetzt stellt euch ein junger Münchner die neueste Musik für die Jugend vor, den „Rock n Roll!“ Und schon kam ich raus – in Jeans, ohne Socken, mit offenem Hemd und einer umgehängten Gitarre. Die Mädels haben bereits gekreischt, als ich noch gar nichts getan hatte. Es war ein wahnsinniger Erfolg. Die letzte Nummer, „Rock-A-Beatin Boogie“, habe ich dreimal gesungen, weil wir nicht mehr einstudiert hatten.
Sie haben einst in Monte Carlo Sammy Davis jr. gesehen und auch persönlich getroffen. Wie haben Sie ihn erlebt?
Sammy Davis hatte dort ein Charity-Konzert gegeben, bei dem das Publikum total versnobt war. Anschließend kam er mit seinen Musikern völlig fertig in die Bar. Ob es an Drogen oder Alkohol lag, weiß ich nicht. Und plötzlich saß er neben mir. Diese Geschichte klingt wie erfunden, aber sie ist wahr: Ich wollte ihm sagen, dass das Verhalten der Leute mir leid tut. Da fragte Sammy Davis mich: „Do you speak English?“ – „Yes, I do, of course!” – „Thats great, but I cant talk to you. I am completely stoned, man!“ Und dann ist er auf den Tisch gefallen und eingeschlafen. Das war meine Begegnung mit Sammy Davis. Immerhin – neben meinen Idol zu sitzen war grandios. Deshalb ist auch „Mr. Bojangles“ meine Lieblingsnummer auf dem neuen Album.
Wie fühlt es sich an, diesen Klassiker in Ihrer Muttersprache zu singen?
Es macht mir tierischen Spaß. Ich fand es sehr mutig, mich hinein zu quälen in diese große Clique von Interpreten dieses Liedes. Ich habe mir sehr oft auf Video angesehen, wie Sammy Davis es sang. Vielleicht sehe ich ihn ja während des Singens neben mir stehen. Es ist eine sehr berührende Geschichte. Für eine Veröffentlichung muss man übrigens die Übersetzung autorisieren lassen. Das war das Spannende an der Geschichte, aber es ist nicht einfach. Es kann ein halbes Jahr dauern, bis die Amerikaner etwas von sich hören lassen. Aber dann haben wir von „Mr. Bojangles“ einen alten deutschen Text gefunden, der schon autorisiert war. Katja Ebstein hat ihn einst gesungen.
INFORMATION
Zum Künstler
Peter Kraus hat am 24. Juni sein neues Album „Idole“ veröffentlicht. Auf seinem neuen Longplayer wird Kraus von Annett Louisan, Till Brönner, Helge Schneider und Götz Alsmann begleitet. Bis heute wurden insgesamt 17 Millionen Tonträger in der mehr als sechs Jahrzehnte langen Karriere von Kraus verkauft. Bill Haleys „Rock Around The Clock“ interpretierte Peter Kraus bereits Mitte der 1950er Jahre. Mit „Tutti Frutti“ gelang ihm 1957 sein erster eigener Tophit. 1959 folgte „Sugar Baby“. In den 60er Jahren gab der Musikstar auch in den USA, Frankreich und England Konzerte.Am 13. März 2023 treten Peter Kraus und Band um 19.30 Uhr in der Stadthalle Bielefeld auf. Tickets (ab 50 ): NW und erwin-event.de