Von Bielefelder Klinik-Arzt vergewaltigt: „Ich fühlte mich wie tot“

Bielefeld. Die junge Frau hatte sich enorm verändert. Das sagten ihr Menschen aus dem nahen Umfeld. Alexandra K. (Name geändert) war seit drei Jahren nicht mehr dieselbe – misstrauisch, schüchtern, mit großen Hemmungen vor körperlicher Berührung. Dazu litt sie unter Schmerzzuständen, Erschöpfung, Schlafstörungen, Panikattacken. Die 26-jährige, einstmals selbstbewusste junge Frau erkannte sich selbst nicht wieder. Als ihr bei einer gynäkologischen Routineuntersuchung eine Geschlechtskrankheit attestiert wurde, verstand Alexandra die Welt nicht mehr. &bdquo;Ich hatte keine Ahnung, wo ich mir die geholt haben konnte“, sagt sie, die seit zwei Jahren einen festen Freund hat. Dass Alexandra Opfer eines Assistenzarztes am Klinikum Bethel geworden war, erfuhr sie erst Jahre später. Der NW hat sie ihre Geschichte erzählt. &bdquo;Sobald meine Freundin weg war, tauchte der Arzt auf“ Erst als im Januar dieses Jahres plötzlich die Kripo vor ihrer Haustür in Bayern stand, klärte sich die Lage. Doch davor stand ein gewaltiger Schock: &bdquo;Ich kam von der Arbeit heim, es war schon dunkel, da standen drei unbekannte Menschen vor unserer Haustür, zuerst dachte ich an ein Unglück in der Familie, bei meinem Freund“, erinnert sie sich. Dann teilten ihr ein Kripobeamter, eine Seelsorgerin und eine Beamtin mit, dass sie mutmaßlich Opfer einer Vergewaltigung im Bielefelder Klinikum Bethel geworden sei.&bdquo;Es hat sich alles gedreht, mir war schlecht, dann kamen die Erinnerungen zurück“, schildert sie. Die Bilder von dem Krankenhausaufenthalt im Mai 2019 seien mit Wucht in ihr Leben eingebrochen. Damals war sie 24 und zur Abklärung diffuser Kopfschmerzen und von Ohnmachtsanfällen mit Mutter und Freundin in die Notaufnahme des Evangelischen Klinikums Bethel (EvKB) gegangen: &bdquo;Mir ging es total schlecht, ich musste im Rollstuhl geschoben werden.“ Man entschied, sie über Nacht stationär aufzunehmen, um tags drauf weitere Untersuchungen durchzuführen. &bdquo;Ich hatte ein total seltsames Gefühl, wollte eigentlich nicht bleiben“, erinnert sie sich. An der Decke des Stationsflurs flackerte das Neonlicht in den Röhren, es war ein Uhr nachts. Ihre Bettnachbarin sei, wie sie später erfuhr, ein &bdquo;Kripofall“ gewesen, hilflos aufgefunden. Sie schlief tief und fest. Sie hatte das Gefühl, hier nicht in den besten Händen zu sein Als sich die Freundin mit den Worten: &bdquo;Hier bist du in den besten Händen“ verabschiedete, habe sie sie nicht gehen lassen wollen. Sie wollte, dass die Freundin bei ihr bleibt, bis der nette Assistenzarzt, der ihr zum Bleiben über Nacht geraten hatte, zurückkam, um das angekündigte Schmerzmittel zu verabreichen. &bdquo;Ewig tauchte der nicht auf, doch sobald meine Freundin weg war, war er da, in Begleitung einer Krankenschwester“, berichtet Alexandra. Er habe &bdquo;ruckzuck“ ein Medikament aus der Kitteltasche gezogen und es ihr in den bereits gelegten Zugang gespritzt. Innerhalb von Sekunden habe sich alles gedreht, dann sei sie weg gewesen. Den Rest der Nacht versuchen nun die Ermittler aufzuhellen. Seit dem Suizid des fraglichen Assistenzarztes Philipp G., dem man erst weitere zwei Jahre später Missbrauch und Vergewaltigung von sedierten Patientinnen zur Last legen konnte, sind Polizei und Staatsanwaltschaften mit dem Fall gewaltigen Ausmaßes befasst. Alexandra K. erinnert sich, dass sie morgens um 7 Uhr auf der neurologischen Station im Klinikum Bethel aufwachte: &bdquo;Das Bett war voller Blut und ich fühlte mich wie tot.“ Auf die Bescherung im Bettzeug angesprochen, habe eine Krankenschwester nur erwidert, sie habe sich im Schlaf den Zugang gezogen, der habe neu angelegt werden müssen. Außerdem, so Alexandra, habe die Schwester auf Nachfrage von Tropfen gesprochen, die ihr der Arzt zur Beruhigung gegeben habe. &bdquo;Es war eine Spritze und die hat mich total abgeschossen“, berichtigt Alexandra, nun vollends verunsichert und mit dem Gefühl, hier nicht in den besten Händen zu sein. &bdquo;Es gibt sieben Videos allein von dieser Tat“ or dem geplanten MRT am Nachmittag, das zur Abklärung der eigentlichen Symptome angesetzt worden sei, habe ihr Vater sie besucht und einen kleinen Spaziergang mit ihr gemacht. Sie müsse wohl einen desolaten Eindruck gemacht haben, zudem hatte man zuvor festgestellt, dass ihr Kreatininwert (Nierenwert, über die Nieren werden Medikamente abgebaut, d.Red.) völlig aus dem Ruder gelaufen war. Was genau ihr in jener Nacht passiert ist, lässt sich erst Jahre später rekonstruieren. Das Ergebnis erschüttert sie bis heute, wenngleich es endlich Erklärungen für die Symptome liefert: Sie war tatsächlich eines der rund 30 Opfer des 34-jährigen Assistenzarztes Philipp G., allein in der Klinik. Das ließ sich zweifelsfrei mit Detailfotos aus dem umfangreichen Videomaterial belegen, das der Arzt von seinen Übergriffen angefertigt hatte. &bdquo;Es gibt sieben Videos von dieser Tat“, sagt die junge Frau entsetzt, die seit ihrer Informierung im Januar arbeitsunfähig ist. Stück für Stück erschließt sie sich heute, inzwischen mit therapeutischer Unterstützung, was ihr geschehen ist. Seit drei Jahren leidet Alexandra K. unter unerklärlichen Unterleibsschmerzen, fühlte sich in ihrem Körper nicht mehr wohl. &bdquo;Das Bewusstsein hat das Geschehen verdrängt, aber der Körper hat mir immer wieder gezeigt, dass etwas nicht stimmt“, kann sie sich das nun erklären. Hätte man sie Anfang 2022 nicht über das Verbrechen aufgeklärt, sie hätte sich dennoch Hilfe gesucht, sagt sie. Bakterien konnten unbemerkt in ihrem Körper wirken Dass professionelle Opferhilfe nicht selbstverständlich ist, musste die 26-Jährige dann aber auch noch erleben: Bei der 24-Stunden-Nothilfe, deren Kontaktnummer ihr die Beamten aushändigten, sagte man ihr, sie solle ihr Leben &bdquo;jetzt doch einfach weiterführen“, immerhin habe sie doch drei Jahre lang gar nichts gewusst. Nichts gewusst hat Alexandra von zwei weiteren Geschlechtskrankheiten, die nur nach besonderer Analyse festgestellt wurden. Deren Bakterien über Jahre unbemerkt im Körper wirken konnten. Heute hat sie eine sehr belastende Therapie zur Bekämpfung der Keime hinter sich. Ob die ausreicht, um Folgeschäden auszuschließen, muss sich zeigen. &bdquo;Dieser feige Mensch, der sich durch Selbstmord entzog, hat meinen Unterleib kaputt gemacht“, bricht es aus ihr hervor. Die Unsicherheit bleibt. Und die Wut darüber, dass die Klinik nach ersten Hinweisen von Patientinnen wenig unternahm, um dem Arzt auf die Schliche zu kommen. Alexandra K. hofft daher auf ein Gerichtsverfahren gegen mögliche Verantwortliche der Klinik. Und sie versucht ihre Zuversicht wiederzugewinnen. Eine große Stütze ist dabei ihr zukünftiger Ehemann. Zugleich ist ihr klar, dass die Bewältigung der Ereignisse vom Mai 2019 dauern wird: &bdquo;Die Nachricht davon ist immerhin das Puzzlestück, nach dem ich jahrelang gesucht hatte“, sagt sie mit Tränen in der Stimme. Und sie ergänzt: &bdquo;Jetzt kann ich anfangen, damit abzuschließen.“

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