Hilfe für die Armen Besonderes Angebot: "Suppenbus" hält regelmäßig am Bielefelder Hauptbahnhof

Bielefeld. Ihre Tochter halte es nicht aus, sie so zu sehen. "Ich soll zu ihr ins Ausland kommen", sagt Vera. Doch die 84-Jährige schüttelt energisch den Kopf. Sie möchte nicht weg aus Bielefeld, wo sie seit mehr als 50 Jahren lebt - zumeist in Armut. An diesem Mittwochnachmittag wartet die kleine Frau mit dem zerfurchten Gesicht in der Nähe des Hauptbahnhofes auf einen weißen Bulli. Weitere Menschen, die sichtlich nicht zu den Gewinnern gehören, finden sich ein, stehen teils in kleinen Grüppchen beisammen. Pünktlich um 16 Uhr taucht der "Suppenbus" auf. Die warme Mahlzeit für diesen Tag ist für rund 50 Menschen gesichert. Dafür sorgen ein neues Angebot und ein neuer Verein in der Stadt. Der Bielefelder Gastronom Dominik Stollberg ist normalerweise bekannt für seine Ochsenbraterei auf dem Weihnachtsmarkt und seinen Catering-Betrieb. Als Fleischsommelier kennt er sich mit feinsten Speisen aus, dem Brackweder Restaurant "Mediterranée" hat er als Event- und Party-Location neues Leben eingehaucht. Doch der 38-Jährige weiß auch um die Schattenseiten des Lebens, schon früher hat er für Bedürftige gekocht und Pastor Michael Geymeier von der Heilsarmee mit Essen beliefert. Doch dann kam Corona, sein Betrieb hatte von einem Tag auf den anderen keine Aufträge mehr. Und schließlich verließ auch noch Michael Geymeier Bielefeld. Das Leid der Bedürftigen, sagt Dominik Stollberg, sei in dieser Zeit nicht kleiner geworden, eher noch viel größer. Weil bei der Heilsarmee nach dem Wechsel andere Prioritäten gesetzt worden seien, habe er kurzerhand zusammen mit Transportunternehmer Stefan Wulfmeyer im Winter selbst die Initiative ergriffen und bei der Stadt eine Konzession für den "Suppenbus" beantragt. Die läuft noch über Stollberg Catering, soll aber auf den in Gründung befindlichen Verein "Miteinander stark" übergehen. Dachdecker spendet Bulli Neben Stollberg packt an diesem Tag auch Dachdeckermeister Ingo Dedermann mit an. Der Inhaber der Firma Barczewski hat den weißen Transporter gespendet. Jetzt hilft er, den Pavillon aufzubauen, die Biertischgarnituren hinzustellen, alles mit Kabelbindern zu verzurren, denn an diesem Tag weht ein strammer Wind. Weitere Helfer packen die Wärmebehälter auf die Tische, stellen Kaffee- und Teekannen bereit, es gibt Brötchen, Bananen, etwas Süsses. Dann kann es mit der Essensausgabe losgehen. Ein junger Mann, der wahrscheinlich obdachlos ist, mit langen, verfilzten Haaren und zerrissenen Hosen, wird gebeten, eine Maske aufzusetzen, als er sich seine Portion Ochsenbraten mit deftiger Soße und Kartoffelsalat abholt. Weil er keine hat, bekommt er von Dedermann eine in die Hand gedrückt, die er auch klaglos aufsetzt. Er verdrückt sich mit seiner Menübox in eine Tiefgarageneinfahrt an der Nahariyastraße. Auch Vera hat sich in die Schlange eingereiht, gemeinsam mit einer 61-Jährigen, die ihre schwäbische Heimat noch nach Jahrzehnten nicht verhehlen kann und sich heute besonders schick gemacht hat - mit cremefarbenem Wollhut, neckischem Halstuch und brauner Cord-Jeansjacke. "Alles Second-Hand, selbst die Unterhose", sagt Marion (Name geändert). Auch Vera hat ihre braune Jacke aus der Kleiderkammer. Ein Knopf fehlt. "Ja und", meint die gebürtige Jugoslawin, "ist aber alles sauber." Bei allen Essenausgaben der Stadt unterwegs Die beiden kennen sich seit Langem, treffen sich auch regelmäßig beim Bielefelder Tisch, wo sie fast täglich das Essen to go oder das im Saal an der Heeper Straße in Anspruch nehmen. "Nur so komme ich über die Runden", sagt Vera mit einem Achselzucken. Sie habe 600 Euro Rente im Monat, erzählt die 84-Jährige, die viele Jahre in der Gastronomie gearbeitet hat. Grundsicherung habe sie nicht beantragt, sagt Vera. Warum nicht? Vera zuckt mit den Achseln. Immer habe sie ihren Lebensunterhalt durch Arbeit verdient. Als sie mit 65 Jahren nur 480 Euro Rente bekommen habe, sei ihr nichts anders übrig geblieben, als weiter zu arbeiten. Bis 79 habe sie weitergemacht, auch um in ihrer 42-Quadratmeter-Wohnung bleiben zu können. "Viel Arbeit, und wenn Du damit fertig bist, bist Du kaputt." Marion gibt ebenfalls ungeschönte Einblicke in ihr problembeladenes Leben: Ihr Mann ist Frührentner und trockener Alkoholiker, beiden leben von Hartz IV. Die 61-Jährige, die in Pflegeheimen in der Großküche gearbeitet hat, leidet an Depressionen, besucht demnächst eine Tagesklinik. Ihre erwachsenen Kinder würden sie unterstützen, sagt Marion, wobei sie offen lässt, ob sie Kontakt haben oder sie um Hilfe gebeten hat. Sie ist froh, bei den Tafel-Besuchen, bei der Recycling-Börse oder auch am Suppenbus bekannte Gesichter zu sehen. Diese Kontaktmöglichkeiten seien ihr wichtig. "Unser aller Zuhause ist ja in der Regel nicht so vorzeigbar", meint sie und lacht dabei. Bis zu 90 Gäste in Spitzenzeiten Die meisten der Gäste am "Suppenbus" werden von den Helferinnen und Helfern mit Namen angesprochen und gesiezt. "Damit gebe ich ihnen Würde", betont Hedi Hesse. Sie gehört wie Marlene van Randenborgh zur christlichen Gemeinschaft Saint'Egidio aus Bielefeld, die sich auch die Hilfe für die Armen auf die Fahnen geschrieben hat. Sie haben schon Pastor Geymeier unterstützt und helfen nun auch Dominik Stollberg und seinem Team. Das Angebot des "Suppenbusses" haben sie unter Bielefelder Bedürftigen bekannt gemacht. "Relativ schnell waren mittwochs 40 bis 45 Gäste da", sagt Stollberg, "in der Spitze waren es auch schon mal 90." Darum möchte der Verein "Miteinander stark" nach seiner Gründung nach Möglichkeit gerne noch einen zweiten Ausgabetag anbieten. Dominik Stollberg ist es wichtig, Hilfe auf Augenhöhe und möglichst niedrigschwellig anzubieten. "Wir möchten schnell und unkompliziert Hilfe leisten." Bislang werde das Angebot hauptsächlich von einigen engagierten Bielefelder Geschäftsleuten getragen, als Verein hoffe man noch mehr Sponsoren auf sich aufmerksam machen zu können. Und weitere Ehrenamtliche. "Wir brauchen mehr Menpower", so der 38-Jährige, der zunehmend seltener vor Ort ist und sich mehr um das Administrative kümmert. Bislang verteile sich alles auf nur auf sieben oder acht Schultern. Auch Tierfutter und Hygieneartikel Kurz nach 17 Uhr sind das Essen, Kaffee und Tee, die ebenfalls kostenlos ausgegeben werden, aus. Es gibt einige enttäuschte Gesichter. Doch das Angebot ist eben nicht unbegrenzt vorhanden. Neben einer warmen Mahlzeit gibt auch ein kleines Kontingent an Tierfutter oder Hygieneartikel. Alles wird gerne genommen. Zumeist seien alle Gäste zufrieden und entspannt, betont Stollberg. Vielleicht kommt am nächsten Mittwoch auch die 65-jährige Marianne wieder, die nach Abzug aller Kosten 42 Euro zur Verfügung und den Suppenbus erstmals ausprobiert hat und nur "irgendwas zu Essen erwartet hat". Der Ochsenbraten hat sie positiv überrascht. Wer Kontakt zum Verein "Miteinander stark" aufnehmen möchte, dessen Homepage noch in Arbeit ist, kann dies per E-Mail tun: info@miteinanderstark-bielefeld.de

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