Bielefelder Künstler stehen vor dem Nichts

Bielefeld. Das Kulturhaus Ostblock dient seit Wochen als Domizil für Flüchtlinge aus der Ukraine. Als der Entschluss von Land und Stadt stand, die einstige Flüchtlingsunterkunft im Labortrakt der ausgedienten FH wieder zu reaktivieren, packten an die 120 Kulturschaffenden von heute auf morgen meist mehr als nur ihre sieben Sachen: Sie räumten Ateliers und Probenräume, Büros und Werkstätten, nahmen das Lebensnotwendige mit nach Hause, verstauten den großen Rest in eilig dargebotenen Lagerräumen, verteilt über die Stadt.Die Solidarität mit den Menschen auf der Flucht sei ganz selbstverständlich, sagen die Ausquartierten, und es sei ein gutes Gefühl, die Heimatlosen in Sicherheit zu wissen. Doch das Paradoxe an der Situation: Viele Mitglieder des Kulturhauses Ostblock stünden jetzt selbst vor dem Nichts. "Die Menschen haben in den Räumen gearbeitet und Geld verdient, nur die wenigsten können jetzt einfach in ihrer Wohnung weitermachen wie bisher", erklärt Eren Aksahin das Drama der Räumung.Bis vor zwei Wochen probte und komponierte der Musiker im 18 Quadratmeter großen Raum 3.10 des Kulturhauses und gab dort auch Unterricht auf der Baglama. Jetzt lehre er die Schüler bei sich zu Hause, wo sie aufpassen müssen, dass die langen Hälse der Instrumente nicht ständig aneinanderstoßen und die Nerven der Nachbarn überstrapaziert werden.Erste Hilfe durch die KulturszeneDie rund 40 Arbeitsräume sind Karree förmig angeordnet, wer auf dem Flur des Kulturhauses Ostblock einmal die Runde macht, kommt an allen offenen Türen vorbei. Im Zentrum des Komplexes befinden sich Multi-Funktionsräume, die Küche und eine Galerie. Im Atelier 6.7 kreierte Designerin Julia Schürmann ihre Entwürfe, schnitt Stoffe zu, und ihre 29 Quadratmetern boten auch Platz für Nähkurse. Die könne sie jetzt wenigstens in einer befreundeten Werkstatt fortsetzen, wenn dort Feierabend sei, erzählt sie. Doch durch die Atomisierung des Vereins sei die Sorge groß, dass das Kollektiv der jungen Kreativen ohne gemeinsamen Fixpunkt nicht wieder zusammenfinde, fasst Anni Kleinert die Situation der Ostblocker zusammen - im 700 Meter vom eigentlichen Domizil an der Werner-Bock-Straße entfernten Büro der Shademakers. Die Kostüm-Könige des Karnevals der Kulturen teilen nun ihr Büro im Haus von "Tims Leihwagen" mit den Gästen aus dem Kulturhaus. Es habe viele helfende Hände aus der Szene gegeben, sagt das Trio, und es gebe sie weiterhin, wofür alle sehr dankbar seien - einzig fehle eine echte Perspektive. Rechtssicherheit von GrabelandZwar hätten Politik und Verwaltung in der jüngsten Sitzung des Kulturausschusses versprochen, sich für einen Verbleib des Vereins in der ausgedienten FH einzusetzen, doch etwas Verbindliches zum Thema wäre ihnen lieber gewesen. Das liegt nun vor in Form der offiziellen Kündigung von Seiten des Kulturamts als städtischem Vermieter. Hinter diesem Dokument verbirgt sich das eigentliche Dilemma der Einrichtung, die sich in den gerade einmal drei Jahren ihres Bestehens in einen komplexen Kultur-Kosmos verwandelt hat. Trotz Corona.Wo eingemietete Chöre und Theatergruppen den zentralen Open Space samt Bühne nutzen, und Yogis sowie Tanzgruppen regelmäßig ihre Körper biegen. Wo die "Küche für alle" gerade groß aufkochen wollte, und im vergangenen September allein die Nachtansichten an die 2.000 Besucher bezauberten: Diese Institution besitzt die Rechtssicherheit von Grabeland. Was plant das Land mit der Immobilie?Wer auf kommunaler Scholle ackert und erntet, kann ebenfalls jährlich gekündigt werden. Im Fall des Kulturhauses Ostblock ist die Situation etwas komplizierter, weil die Immobilie dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW gehört (BLB NRW), der sie wiederum an die Stadt vermietet hat, mittlerweile seit Jahren. "Die zukünftige Entwicklung der Liegenschaft ist derzeit Gegenstand einer Projektentwicklung des BLB NRW, bei der verschiedene Optionen betrachtet werden", erklärt BLB-Pressesprecher Carsten Pilz mit. Ein Verkaufsprozess nach den Regularien des Haushaltsgesetzes sei eine der denkbaren Optionen.Im Fall eines Verkaufs wäre eine Kommune klar im Vorteil, würde sie ihr Interesse an der Immobilie bei der Behörde entsprechend bekunden. Ob dies von Seiten der Stadt Bielefeld bereits geschehen sei, war bis Redaktionsschluss nicht zu klären."Wir suchen ja schon selber nach einem alternativen Standort", sagt Aksahin. Man habe sich auch die Arkaden-Passage angeschaut, die seit Jahren leer stehe - bloß seien die Mieten unerschwinglich. Im Kulturhaus zahlten die Mitglieder zwischen 2 und 6 Euro für den Quadratmeter - jeder so viel er konnte. Entsprechend lang war die Warteliste, auf der im vergangenen Jahr noch weitere 70 Kandidaten standen.

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