Streit um Corona-Regeln: Schluss mit dem verbissenen Schlagabtausch

Rechthaberei, verkürzte Fakten, Dialogunfähigkeit – die Fronten zwischen vielen Menschen sind nach zwei Jahren Pandemie verhärtet. Die Spaltung der Gesellschaft ist erkennbar, auch wenn Kanzler Olaf Scholz das nicht so sieht. Der Riss geht durch Kollegien, Familien, Freundeskreise. Es gibt &bdquo;vermintes Gelände" in den Gesprächen, auch wenn sich der Fokus der meisten Menschen jetzt zu Recht auf Putins Krieg in der Ukraine und die nötige Hilfe für Geflüchtete verlagert. Covid-19 ist nicht weg, auch nicht aus den Köpfen und Seelen der Menschen. Damit ist hier nicht die direkte physische Bedrohung gemeint, denn aktuell lautet die offizielle Lesart in Medizin und Wissenschaft: Hohe Inzidenzen, aber eine geringe Krankheitslast. Öffnungen scheinen jetzt verantwortbar. Auch einer Minderheit sollte man sich widmen Langfristig scheint man sich auf die Strategie zu verlegen, mehr und mehr den zielgenauen Schutz Vulnerabler zu gewährleisten und auf Eigenverantwortung zu setzen, statt auf die Fortschreibung des Gießkannenprinzips. In den Köpfen und Seelen aber hat die Pandemie ebenfalls Spuren hinterlassen. Dabei muss eine Spaltung nicht die Teilung in zwei gleich große Hälften bedeuten. Auch wenn es eine Minderheit ist, die einen Großteil der Corona-Krisenbewältigung schwer mittragen konnte, manches als unverhältnismäßig empfand, den Blick auf die kollateral Geschädigten für vernachlässigt hält, das Niedermachen Andersdenkender schmerzlich erlebt hat – auch ihnen sollte man sich widmen, denn das Wegklappen selbst eines kleineren Teils der Gesellschaft führt zu einer vermeidbaren Unwucht. Gemischt besetztes Podium in der Johannisgemeinde Wie lassen sich Irritationen, teils aggressive Zuschreibungen auf beiden Seiten, der fehlende Diskurs, die &bdquo;Cancel Culture" wieder einfangen? Eine Gruppe Bielefelder hat darüber nachgedacht, wie das Gemeinwesen wieder in einen fruchtbaren Dialog kommen kann. Einen ersten öffentlichen Auftritt gab es zu Wochenbeginn. Der neue Verein &bdquo;Demokratiemanufaktur" lud zur 1. Bielefelder Dialog-Werkstatt ins Gemeindehaus der Johanniskirche im Bielefelder Westen ein. Gefördert von der Sparkasse Bielefeld und der Volksbank Bielefeld-Gütersloh, wurde auf einem Podium über vieles gesprochen. Resultiert haben die Gespräche aus zwei Jahren der Angst und Sorge um die Gesundheit, divergierenden Positionen, extremer Polarisierung der Meinungen, aus Maßnahmen-Chaos und lückenhafter Datengrundlage sowie Impfkontroverse. Fairer Umgang statt Schlagabtausch Auf dem Podium saßen Menschen aus sehr unterschiedlichen Lebensbereichen: Neben dem Leiter des Bielefelder Amtsgerichts, Jens Gnisa, auch Alarmtheaterleiter Harald Otto Schmid, die Juristin Nicole Reese, die sich für die Rechte von Kindern stark macht, Peter Hebeisen (Leiter des Bildungsinstituts &bdquo;Kraftprotz"), die Ärztin Christine Krishnabhakdi. Für die Politik hätte Jan-Maik Schlifter (FDP-Ratsherr) teilgenommen, wenn er nicht krankheitsbedingt hätte absagen müssen. Eine Aufzeichnung ist im Internet auf Youtube unter go.nw.de/3tWKH0m zu finden. Die Organisatoren und schließlich die Diskutanten hofften, mit ihrem Vorstoß &bdquo;die offene Diskussion wieder salonfähig zu machen", Respekt vor der Haltung des Gegenübers anzuregen sowie einen fairen Umgang statt des in den Coronajahren häufig beobachteten &bdquo;Schlagabtauschs" vorzuleben. Offen zu sein für die Perspektive des Anderen. Das ist mit dieser ersten Auflage des Formats durchaus gelungen. Widerstreitende Argumente – es tat gut, wieder einen respektvollen Diskussionsstil zu erleben. Richter Jens Gnisa fasste in seinem Abschluss-Statement zusammen, er habe &bdquo;die andere Meinung nicht als Störfaktor, sondern als Bereicherung wahrgenommen". "Müssen einander viel verzeihen" Nicole Reese benannte Mechanismen: &bdquo;Wenn ich Menschen als moralisch minderwertig oder reflexhaft als Querdenker abqualifiziere, muss ich mich auf der Sachebene nicht mit ihnen auseinandersetzen." Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat es schon im Frühjahr 2020 gewusst: &bdquo;Wir werden (. . .) einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen." Er hoffte schon damals, dass &bdquo;wir nicht so unerbittlich werden (...), dass wir in dieser Pandemie im Umgang miteinander Maß halten." Weitgehend vergeblich. Also sollten wir jetzt aus den Fehlern lernen. Vorausgesetzt, sie kommen auf den Tisch. Vielleicht werden aus erbitterten Kontrahenten, aus echten und unterstellten Querdenkern, aus militanten Impfgegnern und ebenso militanten Impfbefürwortern dann wieder Nachbarn, Kollegen, Freunde und Verwandte. Wie denken Sie darüber? Ich freue mich auf Ihre Anregungen unter heike.krueger@nw.de

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