Geschunden: Traurige Bilder der Ankunft ukrainischer Kinder in Bielefeld

Bielefeld. 34 schwerstbehinderte Kinder sind am Mittwoch bis in den Abend hinein in Bethel angekommen. Das vorläufige Ende einer fürchterlichen Flucht. Alle sind unter dramatischen Bedingungen mit ihren sieben Betreuerinnen (und deren vier eigenen Kindern) aus der Nähe von Kiew evakuiert worden. In Bussen. Vermutlich teilweise am Boden liegend, fünf Tage lang. Mangelhaft ernährt. Nun holte sie das DRK in einer gemeinsamen Aktion mit Bethel ab. Hier, in Bethel, kam der erste Junge um 15.10 Uhr an. Eine Stunde später der nächste. Jede 20 Minuten fuhr dann ein weiteres Spezialfahrzeug vor. Pausen hatte es nicht gegeben auf der Fahrt von Kolberg nach Bethel. Das DRK wollte durchfahren, hielt das für den besten Weg. &bdquo;So schnell wie möglich in den sicheren Hafen“, das sei das Motto gewesen, sagt Friederike Koch, die gemeinsam mit Anna Kollenberg maßgeblich die Fäden der Rettungsaktion zusammenhält. Kollenberg ist erschüttert: &bdquo;Wie diese Kinder mit ihren schwersten Behinderungen diese Flucht hinbekommen haben, das frage ich mich wirklich.“ Ehrenamtliche und Bethelmitarbeiter empfangen vor Ort die Transporte. Zwei Ukrainisch sprechende Bethel-Jährlinge übersetzen. Viele Kinder werden in Matten getragen, die Helfer bekommen Anweisungen der DRK-Experten. Hier anfassen, da stützen, hier sind Griffe – und so geht es in das freigezogene Haus Mamre, in dem Hunderte gespendete Kuscheltiere auf allen Betten liegen. Ein bisschen was für die geschundenen Seelen. Ein Arzt untersucht hier sofort die Kinder. Es werden provisorische Krankenakten angelegt. Heute folgen Corona-Tests. Fieber muss gemessen werden. Manche Kinder werden auch auf dem Arm ins Haus getragen. So von Antje Wörmann. Sie hilft aus; wie alle hier trägt sie Schutzkleidung und FFP-2-Maske. Sie trägt einen Jungen einfach so ins Haus, hemdsärmelig. Der Junge hat Beine, die spiegeln, wie sein Zustand ist. Dünn wie ein kleiner Ast. Apathisch schaut er auf den Boden neben sich. Ob er begreift, was mit ihm geschieht, ist offen. Schwer fällt Wörmann das Tragen nicht. Die Blicke der Umstehenden sprechen für sich: Die Beinchen erzählen zu viel über das, was hinter dem Jungen liegt. Am späteren Nachmittag kommen noch mehrere sehr kleine Kinder. Rollstühle für sie gibt es noch nicht, auch sie müssen getragen werden. Verängstigt schauen sie auf die Menschen, die sie erwarten, auf das Haus, das nun ihr Zuhause sein wird. Ihre Angst ist spürbar. Kaum vorstellbar, welche Dimension ihre Angst gehabt haben muss, als sie ihre Flucht vor dem Krieg begannen, nahe Kiew. Was die fünf Tage bis zur polnischen Grenze mit ihnen gemacht haben. Zwar sagen alle hier, es werde den Kindern in Bethel besser gehen als in der Ukraine, das aber bezieht sich auf die therapeutischen Möglichkeiten. Auf die Standards in Deutschland. Ihr Umfeld jedoch ist ihnen genommen. Sie werden lange bleiben, das ahnt jeder. Stefan Helling-Voß, Geschäftsführer von &bdquo;Bethel regional“: &bdquo;Es ist ein Glücksfall, dass wir gerade einige Häuser hatten, die wir sehr schnell für die Geflüchteten nutzen können.“ Doch sei bereits jetzt mit mehr als 100 Menschen mit Behinderung (77 weitere kommen heute an) das Ende der Möglichkeiten erreicht.Es sei eine gewaltige Aufgabe. Leider bisher kaum organisatorisch unterstützt von Bund und Land. Und: Bedauerlicherweise sei bisher nur ein Drittel der in NRW angefragten Träger bereit, sich einzubringen – Menschen aufzunehmen, so wie Bethel. Hier gelte: Auch Haus Ararat werde weiterhin für gut 90 Waisenkinder offengehalten, betont er. Habe die Stadt eine Gruppe und frage Bethel an, werde man auch diese Kinder aufnehmen. In Haus Mamre werden sich nun erst einmal sieben Bethel-Mitarbeiter mit den sieben Betreuerinnen aus der Ukraine um die Gruppe kümmern – zwei Nachtwachen kommen hinzu. Viele Fachlichkeiten sind gefordert – von Pflegefachkräften bis hin zur Kinderintensivmedizin. Auch aus dem Kinderhospiz sind Helfer da, so der Leiter, Rene Meistrell. &bdquo;Es ist ja das gleiche Klientel, eben Kinder mit schweren Erkrankungen“, erklärt er. Dann reiht er sich wieder ein in die Gruppe der Helfer – die Kinder ins Haus bringen, den DRK-Helfern was zu Essen und Trinken anbieten, Kontakt zu den ukrainischen Betreuerinnen aufnehmen. Diese sind per Anordnung der Behörden in der Ukraine in Bethel, haben alles zurückgelassen, auch Familienmitglieder. Auch sie gehören zu der Schicksalsgruppe, die nun in Bethel gestrandet ist und Hilfe braucht. Und bekommt.

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