"Ihr habt jedes Maß verloren": Kleine Fußballvereine schreiben Brandbrief

Bielefeld. Jetzt musste es einfach mal raus. Drei Bielefelder Sportvereine haben eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie umfängliche Abwerbe-Versuche von talentierten Kindern und Jugendlichen durch andere Klubs anprangern. Adressat der Erklärung ist in diesem Fall der VfR Wellensiek. Die Leiter der Jugendfußball-Abteilungen des SV Ubbedissen, des TuS 08 Senne I und des SV Gadderbaum 08 gehen damit in die Offensive. Dabei wird klar: Die drei genannten Vereine bilden im fußballerischen Sinne den Anfang der Nahrungskette. Der VfR Wellensiek steckt mittendrin, eine Stufe höher agiert der VfL Theesen – der die jungen Kicker wiederum an klassenhöhere Vereine verliert. Willkommen im Haifischbecken Jugendfußball.Im Kern des &bdquo;informellen Protestes“ durch Ubbedissen, Senne und Gadderbaum heißt es: &bdquo;Einige von uns, insbesondere Ubbedissen und Senne, erleben (...) im zurückliegenden halben Jahr eine beispiellose, jahrgangsübergreifende, an ganze Mannschaftsteile unserer Vereine gerichtete ,Spieleransprachewelle’ – im besonderen aus Wellensiek – die, falls erfolgreich, die Integrität unserer betroffenen Mannschaften massiv schädigen wird und in der Folge die Abmeldung dieser Teams verursachen kann.“»Ihr sägt an dem Ast, auf dem ihr selber sitzt« Dabei betonen die drei Vereine, dass die sogenannte Spieleransprache formal vollkommen korrekt sei, wenn der interessierte Verein den &bdquo;kleineren“ Kollegen schriftlich darüber in Kenntnis setzt. Dies werde in den allermeisten Fällen befolgt – das Problem liegt in der Summe.Die nicht nur an den VfR Wellensiek, sondern an die &bdquo;werten Sportsfreunde der ,gehobenen’ Amateur- und Jugendfußballvereine“ gerichtete Schlussfolgerung: &bdquo;Euer inzwischen in die Breite unserer Teams zielendes Verhalten schädigt unsere Mannschaften, Strukturen und Vereine mit den dazugehörigen Folgen für uns. Letzten Endes aber, sägt ihr an dem Ast, auf dem ihr selber sitzt.“"Da fiel kein Wort von Spieleransprache" Den finalen Auslöser der Erklärung liefert Marcel Oelker, Jugendleiter des SV Ubbedissen: &bdquo;Ein Spiel unserer Kreisliga-B-Jugend am 2. März gegen den VfR Wellensiek II, das wir 4:0 gewonnen haben. Ich habe mir die erste Halbzeit gemeinsam mit dem kommissarischen Jugendwart des VfR, Wolfgang Beine, angeschaut. Da fiel kein Wort von Spieleransprache. Und 70 Minuten nach Abpfiff bekamen wir eine Mail, in der er uns informierte, dass Wellensiek fünf unserer Spieler ansprechen wird.“ Einer der Spieler sei dann schon am nächsten Morgen, während der Schulzeit, von Wellensieker Seite kontaktiert worden.Wellensieks Wolfgang Beine räumte in seiner Funktion als Interessenvertreter Fußball-Junioren ein, &bdquo;dass das am Rande des Spiels mal Thema war.“ Nach seinem Empfinden sei der Gesprächsbedarf aber wohl doch nicht so groß gewesen. &bdquo;Sonst muss man doch sagen: wir müssen ein ernstes Wort miteinander reden.“ Grundsätzlich findet Beine den Protest merkwürdig. &bdquo;Wenn es ein Problem gibt, würde ich denken, dass man erstmal mit uns spricht. Vor dem Schreiben hat sich keiner beschwert. Wenn es nach mir geht: Ich würde gern mit den Kollegen reden, das werde ich anbieten.“ Oelker jedoch verweist auf eine Mail vom 3. Februar 2021, in der er die Ankündigung einer &bdquo;Spielerkontaktaufnahme“ von Wellensieker Seite – wie er selbst einräumt – durchaus provokant beantwortet habe: &bdquo;Versteht mich nicht falsch, aber der Zeitpunkt, die Art und Weise und das ständige Abwerben von anderen Vereinen geht mir langsam ziemlich gegen den Strich. Darüber hinaus muss auch nur der Verein abwerben, der selber nicht gut genug ausbildet (...)“. Auf diese Mail, sagt Oelker, habe von Wellensieker Seite niemand reagiert.»Ihr habt jedes Maß und jede Mitte verloren« Ebenso sauer wie Oelker ist Stefan Mahne, der Jugendleiter des TuS 08 Senne I: &bdquo;Ich bin auch einer derjenigen, bei denen diese Ankündigungen der Kontaktaufnahme regelmäßig aufschlagen. Abgesehen davon, dass in den Mails unser Vereinsname falsch genannt wird, habe ich aus Wellensiek schon Ankündigungen von Gesprächen mit Spielern von der Spvg. Heepen bekommen. Ich habe am 7. Februar 2022 auf den ,Spieleransprache-Irrläufer’ reagiert und gegen die ausufernde Spieleransprache-Praxis aus Wellensiek protestiert. Mit den Worten: Ihr habt jedes Maß und jede Mitte verloren. Eine Antwort habe ich nicht erhalten. Die Ansprache-Mails gingen in derselben Frequenz (...) weiter. Verbindlich kann ich für uns 13 Spieleransprachen durch Wellensiek seit November 2021 nachweisen.“ Noch einmal Wellensieks Wolfgang Beine: &bdquo;Auch unsere Spieler werden von anderen Vereinen angesprochen. Wir stehen da irgendwie dazwischen. Wenn andere Verein bei uns schauen, heißt das auch für mich, dass wir so viel nicht falsch machen können mit unserer Jugendarbeit. Wir sind auch attraktiv für andere Vereine. Wir haben zuletzt sieben oder acht Spieler an Theesen abgegeben.“ Der VfL Theesen ist also das nächste Glied der Nahrungskette."Das könnte eine ganze Mannschaft kaputtmachen“Dessen Jugendvorstand Felix Rathert sagt: &bdquo;Wir achten darauf, dass wir die Kinder nicht schon früh, in der E-Jugend, ansprechen und auch nicht viele auf einmal. Man sollte nicht sieben, acht Spieler pro Jahrgang aus einer Mannschaft rausholen, das könnte eine ganze Mannschaft kaputtmachen.“Zur Positionierung des VfL sagt Rathert: &bdquo;Spieler kommen und gehen. Bei uns gucken auch Arminia Bielefeld, Paderborn, Verl oder Rödinghausen. Wir hatten es auch schon, dass Rödinghausen bei uns zehn Spieler angesprochen hat. Wellensiek war zuletzt fast der Leidtragende, wir haben die meisten Spieler vom VfR geholt. Die machen eine vernünftige Jugendarbeit. Für uns ist es auch eine Auszeichnung, wenn Spieler zu Arminia oder Paderborn in ein Nachwuchsleistungszentrum wechseln.“ Fußball-Kreis appelliert an Fairplay Ganz so viel Spielerabwerbungen wie Senne und Ubbedissen hat der SV Gadderbaum nicht, gleichwohl gehören die 08er ebenfalls zum Trio der Unterzeichner. Deren Abteilungsleiter Jörg Steinbrück sagt: &bdquo;Wir haben akut nicht das Problem, aber wir unterstützen die Initiative klar. Auch, um die Eltern dafür zu sensibilisieren, wie ihr Verein mit den Kindern und Jugendlichen umgeht.“Die Abwerbepraxis unter den Vereinen ist auch beim Fußballkreis bekannt. Hans Keuch, Vorsitzender des Kreisjugendausschusses und stellvertretender Kreisvorsitzender, sagt: &bdquo;Wir vom Kreis-Jugendausschuss können nur an das Fairplay appellieren. Wir haben selbst keine Handhabe, sondern können nur Empfehlungen geben.“ Natürlich gehe es auch darum, Talente so gut wie möglich zu fördern: &bdquo;Wenn aber vier, fünf Jugendliche eine Mannschaft verlassen, tut das den Vereinen weh.“ Keuch verweist auf den Kreisjugendtag am 23. März. &bdquo;Da wäre eine Gelegenheit, das Thema Spielerabwerbungen zu besprechen.“

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